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Über 500 000 Tonnen Flachglas werden in der Schweiz jährlich weggeworfen – obwohl Glas ideale Voraussetzungen für die Wiederaufbereitung mitbringt. Ein Pilotprojekt soll nun beweisen, dass Flachglas recycelt werden kann.
Konnte man früher Eisblumen an den Fenstern bestaunen, sorgen moderne Fenster dafür, dass sich weder Hitze noch Kälte in die Gebäude einnisten. Durch die Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben für die Wärmedämmung ist damit zu rechnen, dass bis 2050 alle Fenster, die vor dem Jahr 2000 eingebaut wurden, ersetzt werden. Was aus energetischer Sicht sinnvoll sein kann, ist aus der Sicht der Abfallströme jedoch ein Problem: Die Produktion von mehrfachverglasten Fenstern ist sehr ressourcenintensiv und es gibt bisher keinen Recyclingprozess für Fensterglas. «Es ist leider günstiger, Flachglas auf der Deponie zu entsorgen, als den Aufwand zu bezahlen, alte Fenster vom Rahmen zu trennen und wieder aufzubereiten. Aktuell enden 82 Prozent des Flachglases auf der Deponie, 18 Prozent werden zusammen mit Flaschenglas eingeschmolzen – was aber einem Downcycling entspricht. Obwohl sehr viel graue Energie in Fenstern steckt, gibt es bisher keine Recyclingpflicht», erklärt Michelle Schneider vom Institut für Konstruktives Entwerfen.
«Es ist günstiger, Flachglas auf der Deponie zu entsorgen, als den Aufwand zu bezahlen, alte Fenster vom Rahmen zu trennen und wieder aufzubereiten.
Pilotprojekt in Winterthur
Schneider forscht seit drei Jahren daran, wie man Fenster wiederverwenden oder zumindest recyceln kann, zuerst im Rahmen ihrer Abschlussarbeit im Masterstudiengang Architektur, heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Als sie von einem Ersatzneubauprojekt ganz in der Nähe des Departements Architektur und Bauingenieurwesen erfuhr, witterte sie ihre Chance und gleiste mit mehreren Industriepartnern ein Pilotprojekt auf. Sämtliche 375 Fensterflügel des Abbruchgebäudes wurden ausgehängt und sorgfältig von den PVC-Rahmen getrennt. Das Recyclingunternehmen Sibelco prüfte, ob sich das Glas für die Produktion von neuem Fensterglas eignet. «Die Herausforderung war, dass 50-jährige Fenster die hohen Anforderungen an die Reinheit erfüllen, denn auf Fenstern befinden sich oft Putz, Klebstoffe oder andere Mineralstoffe. Ausserdem besteht die Gefahr, dass die Fenster auf Abbruchbaustellen oder beim Transport mit anderen Stoffen verunreinigt werden, etwa mit Teer», erläutert Schneider.
Erster Meilenstein im Projekt: Die Fenster haben die Reinheitsanforderungen erfüllt. Sie wurden eingeschmolzen und werden jetzt zu neuen Fenstern verarbeitet, die einst den Ersatzneubau zieren könnten. Ganz ohne zusätzliche Ressourcen kommt das Vorhaben nicht aus, denn das neue Gebäude wird mehr Fenster haben als das alte und Dreifach- statt Zweifachverglasungen.
Recyclingpflicht ist greifbar
«Die Kosten unseres Verfahrens sind zwar noch immer höher als für die Deponie, aber wir stehen auch erst am Anfang. Wenn sich Unternehmen auf die Wiederverwertung von Fenstern spezialisieren, lassen sich die Prozesse optimieren und die Kosten deutlich senken. Das Wichtigste ist aber vorerst, aufzuzeigen, dass Flachglasrecycling mit etwas Mehraufwand machbar ist. Dies könnte die Tür für eine Recyclingpflicht öffnen», sagt Schneider. Das hätte eine grosse Hebelwirkung: «Würden alle Fenster, die jährlich in der Schweiz ausgebaut werden, wieder eingeschmolzen und wiederverwendet, liessen sich 350 Mio. Kilogramm CO2 einsparen im Vergleich zu Fenstern aus Primärrohstoffen. Das sind etwa so viele Emissionen, wie wenn die gesamte Basler Bevölkerung nach New York fliegen würde.»
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