open research Data

Bewegungsdaten für alle

29.11.2024
2/2024

Bewegungsdaten werden selten veröffentlicht. Der Prozess ist aufwendig, die Bedenken bezüglich Datenschutz gross. ZHAW-Forschende haben deshalb Richtlinien erarbeitet, die Bewegungslabore in der Schweiz bei der Bereitstellung von Open Research Data künftig unterstützen sollen. 

Sie misst den menschlichen Gang, die Aktivität von Muskeln oder die Kräfte, die auf ein Gelenk wirken: Die Bewegungsanalyse, bei der Daten zu Abläufen, aber auch Störungen des menschlichen Bewegungsapparats erhoben werden. Sie kommt in verschiedenen Bereichen zum Einsatz, etwa bei der Entwicklung neuer Produkte wie zum Beispiel von Schuhen, in der Rehabilitation oder für die klinische Entscheidungsfindung. Die Erhebung von Bewegungsdaten ist dabei meistens aufwendig und ressourcenintensiv. So müssen passende Probandinnen und Probanden rekrutiert, deren Bewegungen in speziellen Laboren mithilfe von High-End-Kameras und Markern erfasst und mit leistungsfähigen Computern aufbereitet und analysiert werden – eine Datenerhebung also, die mit viel Vor- und Nachbereitung verbunden ist und einiges an Ressourcen benötigt.

Angesichts dieses Aufwands wäre es sinnvoll, wenn Bewegungsdaten aus einzelnen Forschungs- und Entwicklungsprojekten öffentlich zugänglich wären und so mehrfach wiederverwendet werden könnten – von anderen Wissenschaftlerinnen, von Therapeuten oder Produktentwicklerinnen. Bloss: Solche Open Research Data (ORD) sind in der Bewegungsanalyse rar gesät. «Der Anteil an öffentlich zugänglichen Daten aus Bewegungslaboren ist klein», sagt Michelle Haas. Die Bewegungswissenschaftlerin am Departement Gesundheit gehört zum Team von «MoveD – Open Research Data in Swiss Movement Laboratories». Das von swissuniversities finanzierte Forschungsprojekt des Instituts für Physiotherapie möchte die Veröffentlichung von ORD aus den Schweizer Bewegungslaboren fördern. Dafür haben die Forschenden Guidelines erarbeitet, mit denen die Bereitstellung von Daten vereinfacht und unterstützt werden soll.  

«Forschende werden an Publikationen gemessen – Datenpublikationen gehören aber noch nicht dazu.»

Michelle Haas, Bewegungswissenschaftlerin am Departement Gesundheit

Grosser Aufwand, kleiner Stellenwert  

Eines der grössten Hindernisse, das einer stärkeren Publikation von Bewegungsdaten im Weg steht: Der Prozess benötigt Zeit und bindet Ressourcen. «Für ORD müssen zusätzliche Metadaten und Informationen zur Datenerhebung und zu den Probandinnen und Probanden erfasst werden, die Daten in ein offenes Format umgewandelt und so strukturiert werden, dass sie mit anderen Softwares und Datenstrukturen kompatibel sind», schildert Haas ein paar der Aufgaben, die ORD mit sich bringen. Viele Forschende scheuten diesen Zusatzaufwand und nutzten die Zeit lieber für weitere Forschung. Das habe wohl auch mit dem geringen Stellenwert von Datenpublikationen zu tun, vermutet Haas. «Wir Forschende werden an unseren Publikationen gemessen – Datenpublikationen gehören im Moment aber noch nicht dazu.»  

Daten genügen Standards nicht 

Werden Daten trotzdem öffentlich zugänglich gemacht, entsprechen sie laut Haas häufig nur teilweise den Anforderungen an ORD. «Sie werden beispielsweise als Anhang zu Publikationen veröffentlicht – was es schwierig macht, sie zu finden.» Oftmals genügten die Daten deshalb nicht den international anerkannten FAIR-Prinzipien für ORD. Der FAIR-Grundsatz besagt, dass Daten auffindbar (findable), zugänglich (accessible), kompatibel (interoperable) und wiederverwendbar (reusable) sein sollten. Die MoveD-Guidelines, die in Zusammenarbeit mit einigen Schweizer Bewegungslaboren erarbeitet worden sind, zeigen auf, wie Daten so aufbereitet werden können, dass sie den FAIR-Prinzipen entsprechen. Die Guidelines decken dabei den gesamten Lebenszyklus der Daten ab – von der anfänglichen Planung über die Erhebung, Verarbeitung und Analyse bis zur Veröffentlichung. Eine entsprechende Mustervorlage hilft ausserdem dabei, Metadaten mit einem geringeren Aufwand zu erfassen.  

Bedenken wegen Datenschutz 

Auch auf ethische und rechtliche Fragestellungen gehen die Richtlinien ein. «Ein Workshop mit Mitarbeitenden der Bewegungslabore in der Schweiz hat gezeigt, dass bei diesen Fragen grosse Unsicherheiten bestehen», erklärt Michelle Haas. Bedenken bestünden vor allem bezüglich des Datenschutzes – neben dem Zusatzaufwand wohl einer der Hauptgründe dafür, dass Bewegungsdaten eher selten als ORD aufbereitet werden. «Wie bei anderen Forschungsprojekten im Gesundheitsbereich werden sensible persönliche Daten erhoben.» Der Schutz dieser Daten und damit auch der Persönlichkeitsrechte von Studienteilnehmenden nimmt deshalb einen hohen Stellenwert ein – ein Schutz, der mit der Veröffentlichung der Daten theoretisch geschwächt werden kann. «Auch bei vermeintlich anonymisierten Daten besteht ein gewisses Risiko, dass sie in Kombination mit weiteren Angaben Rückschlüsse zur Person zulassen, von der sie stammen», führt Michelle Haas aus.   

Erschwerend kommt laut der Forscherin hinzu, dass ethische und rechtliche Vorgaben häufig einen Interpretationsspielraum haben. «Das führt dazu, dass sich ihre konkrete Auslegung von Fall zu Fall unterscheidet», sagt Michelle Haas und illustriert diese Herausforderung an einem Beispiel: Ob ein Datensatz ausreichend anonymisiert sei, hänge laut Gesetzgebung auch vom Aufwand ab, den es benötige, um trotzdem Rückschlüsse auf die Person machen zu können. «Das Gesetz sieht die Anonymisierung als gegeben an, wenn dieser Aufwand unverhältnismässig hoch ist – doch was heisst das im konkreten Fall?» Die im MoveD-Projekt erarbeiteten Guidelines unterstützen Bewegungswissenschaftlerinnen bei der Beurteilung rechtlicher und ethischer Fragen. Und sie vermitteln das Wissen, das es braucht, um Bewegungsdaten ausreichend zu anonymisieren oder zu verschlüsseln. 

In den Laboren getestet 

Das Projekt befindet sich derzeit in der Disseminationsphase: Die Guidelines werden über verschiedene Kanäle bekannt gemacht, beispielsweise auf Kongressen und via Newsletter, und stehen auf dem Online-Repositorium Zenodo zur Verfügung. Ausserdem werden sie von mehreren Bewegungslaboren in der Schweiz getestet und validiert. «Das Feedback der Labore fliesst in einem iterativen Prozess in die Guidelines ein», sagt Michelle Haas. Auch das MoveD-Projektteam testet das Resultat ihrer bisherigen Arbeit in einem Projekt. «Die Aufbereitung der Daten aus dem Projekt soll zeigen, ob die Guidelines ausreichend sind.» 

Spitäler schlauer machen 

Das Spital der Zukunft nutzt digitale Technologien und moderne Organisationsformen, vernetzt Abläufe und Daten – und steigert so Qualität und Effizienz. Von der Vision eines Spitals als eines durchdigitalisierten und intelligenten Systems ist das Schweizer Gesundheitswesen noch weit entfernt. Rückenwind erhält es nun von «Smart Hospital – Integrated Framework, Tools & Solutions (SHIFT)», einem Flagship-Projekt von Innosuisse. Geleitet wird dieses von der ZHAW, die mit dem Universitätsspital und der Universität Basel, der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz sowie zahlreichen Spitälern und Industriepartnern bis 2025 an einer Blaupause der Digitalisierung arbeitet. Kern des Projekts ist eine Wissensdatenbank, die Spitälern als Quelle und Inspiration für den digitalen Wandel dienen soll. Die Datenbank wird laufend um Ergebnisse und Erkenntnisse aus den elf Subprojekten ergänzt. Diese demonstrieren, wie neue Technologien im klinischen Betrieb, aber auch beim Spitalmanagement konkret eingesetzt werden können. Das SHIFT-Team wurde 2023 mit dem Prix d’Excellence  von santeneXt ausgezeichnet – die Organisation ehrt damit Spitzenleistungen im Bereich Gesundheitsinnovation und digitale Transformation. 

Mit Open Data die Ergotherapie stärken 

Die Ergotherapie in der Schweiz ist weiblich, regional ungleich verteilt und liegt bei der Versorgungsdichte im europäischen Mittelfeld. Solche und weitere Fakten zur Schweizer Ergotherapie-Landschaft wurden erstmals in einer gemeinsamen Studie der ZHAW, der Fachhochschule Westschweiz HES-SO, der Fachhochschule der italienischen Schweiz SUPSI, der Stiftung für Ergotherapie und des Ergotherapie-Verbands Schweiz erhoben. Die zwischen 2023 und 2024 veröffentlichten und nun als Open Data zugänglichen Resultate zeigen unter anderem: 4000 bis 4500 Personen arbeiten in der Schweiz in dem Beruf, rund 90 Prozent davon sind Frauen. Auf 10’000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen gut vier Therapeutinnen, regional schwankt dieser Wert jedoch erheblich. So ist die ergotherapeutische Versorgung in der Innerschweiz schwächer als etwa in der Westschweiz. Die Daten aus einer schweizweiten Online-Befragung von Betrieben und selbstständigen Therapeutinnen liefern ein detailliertes Bild des Berufsstands – und schaffen damit die Basis, um diesen weiterzuentwickeln. Sie erlauben es zum Beispiel, Versorgungslücken in Regionen oder spezifischen Arbeitsbereichen zu identifizieren und daraus berufspolitische Massnahmen abzuleiten, etwa gegen den Fachkräftemangel. Die Ergebnisse stehen auf der Open-Data-Plattform SWISSUbase zur Verfügung – für weitere Forschung, politische Entscheidungsfindung oder Medienberichte.  

(Bild: Gorodenkoff/Adobestock)

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