Die «Exoten» haben sich etabliert
Sie arbeiten dort, wo ihre Ideen umgesetzt werden. Im abgelegenen Wergenstein konzipieren Mitarbeitende des Instituts für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) Entwicklungsprojekte für strukturschwache Regionen. Ihr Fachbereich hat im Corona-Jahr an Bedeutung gewonnen.
Das Haus mit der dunklen Holzfassade, den roten Fensterläden und der grossen Terrasse fällt auf. Mitten in Wergenstein, auf 1489 Metern über Meer gelegen, beherbergte es ursprünglich Feriengäste aus der Metall- und Uhrenindustrie. 2007 ist der Hotel- und Restaurantbetrieb erweitert worden. Im Center da Capricorns ist seither auch ein Ableger des Forschungsbereichs Tourismus und nachhaltige Entwicklung der ZHAW untergebracht. «Wir arbeiten nicht im Elfenbeinturm», sagt Stefan Forster, Leiter des Forschungsbereichs und Initiant der Aussenstelle. «Wir sind Teil von dem, was wir lehren. Wir setzen Forschungsergebnisse praktisch um.» Das zehnköpfige Team konzipiert und leitet schweizweit Entwicklungsprojekte für den ländlichen Raum. Es zeigt auf, wie Natur- und Kulturwerte touristisch erlebbar gemacht werden können. «Es braucht sichtbare Angebote», sagt Stefan Forster. Er erwähnt regionale Produkte und organisierte Erlebnisse wie Themenwanderungen oder kulturelle Aktivitäten.
Die ZHAW-Mitarbeitenden sammelten erste Erfahrungen direkt vor ihrer Haustüre. Sie halfen dabei, den Naturpark Beverin zu realisieren. Zusammen mit der Bevölkerung entwickelten sie Ideen, wie die Landwirtschaft und das lokale Gewerbe gestärkt und ein nachhaltiger Tourismus gefördert werden könnten. Eine Sennerei und ein Schlachthof sind bereits saniert worden. Ein Käselager und eine Fleischtrocknerei sind hinzugekommen. Und auf der Alp Nurdagn sind ein «Beizli» sowie Gästezimmer eingerichtet worden
Ohne die Akzeptanz der Bevölkerung geht es nicht
«Wir nehmen die Anliegen und die Werte der Einheimischen auf», sagt Rebecca Göpfert, welche die Forschungsgruppe in Wergenstein leitet. Sie wendet einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit dafür auf, partizipative Prozesse zu begleiten. «Die Menschen einzubinden, ist aufwendig», berichtet sie. Von der Idee bis zur Umsetzung vergingen einige Jahre. Dass ein Projekt von den Einheimischen getragen werde, sei jedoch entscheidend. «Ohne diese Akzeptanz ist kein Erfolg möglich», bestätigt Stefan Forster. «Wir versuchen jeweils darzulegen, dass die Chancen grösser sind als die Risiken.»
Die Gemeinden rund um den Piz Beverin haben von der Expertise des Teams profitiert. «Sie hatten einen starken Partner an ihrer Seite, der die Entwicklungspläne vorangetrieben hat», sagt Remo Kellenberger, der bereits seine Diplomarbeit dem Naturpark widmete und später dessen Geschäftsstelle leitete. Einen Naturpark zu realisieren, sei ein komplexes Unterfangen, sagt er. «Es erfordert ein mehrjähriges Engagement, welches auf freiwilliger Basis so nicht geleistet werden kann.» Der Naturpark Beverin, der seit 2013 autonom funktioniert, ist für die Forschungsgruppe bis heute eine wertvolle Referenz. Das Projekt machte ihre Tätigkeit für die Bevölkerung sichtbar, sorgte für Glaubwürdigkeit und zog weitere Aufträge nach sich.
Das kleine Team organisiert sich
In Wergenstein zu arbeiten, sei ein Privileg, sagt Nathalia Trüb. «Der Ort ist unglaublich schön.» Bevor die wissenschaftliche Assistentin Corona-bedingt ins Homeoffice wechselte, war sie zwei bis drei Mal pro Woche vor Ort. «Nur schon die Anreise ist speziell», sagt sie. Die Mitarbeitenden organisieren sich über eine Whatsapp-Gruppe. So finden jene, die den öffentlichen Verkehr nutzen, für die letzte Etappe eine Mitfahrgelegenheit. Für diese Idee sind sie 2019 mit dem IUNR Nachhaltigkeitspreis belohnt worden.
«In so einem kleinen Team ist man aufeinander angewiesen», sagt Stefan Forster. Dass man sich gut verstehe, sei besonders wichtig. Alle sind gewohnt, selbstständig und mobil zu arbeiten. Einige unterrichten regelmässig in Wädenswil. Der Professor ist in die Leitung des Instituts für Umwelt und Natürliche Ressourcen eingebunden und so stark mit der «Heimbasis» vernetzt. Die alljährliche Strategiewoche zur Lehrentwicklung findet jeweils in Wergenstein statt. Studierende reisen für Exkursionen oder Abschlussarbeiten an den Schamserberg. Aber auch mit anderen Fachrichtungen der ZHAW tauscht sich die Forschungsgruppe aus. «Wir können in der Region Türen öffnen», sagt Forster und erwähnt eine laufende Studie des Departements Soziale Arbeit, welche die soziokulturellen Auswirkungen der Fusion zur Gemeinde Ilanz/Glion untersucht.
Nathalia Trüb schätzt die unterschiedlichen Arbeitsplätze: «Sie machen die Anstellung attraktiv.» Im Lockdown hat es sich ausgezahlt, dass das Team bereits Erfahrung damit hatte, ausserhalb der Büros zu arbeiten und virtuell zu kooperieren. Es führte Sitzungen mit Projektpartnern, Workshops und Veranstaltungen für die Bevölkerung online durch. «Das ging erstaunlich gut, hat uns aber auch Grenzen aufgezeigt», bilanziert Stefan Forster. Vor dem Bildschirm sei es beispielsweise schwieriger, gemeinsam kreativ zu sein, als im persönlichen Kontakt.
Naturnaher Tourismus liegt im Trend
Den Themen, welchen sich die Forschungsgruppe widmet, hat die Krise Aufschwung verliehen. Das Interesse an der eigenen Umgebung, am Regionalen ist gestiegen. Viele Schweizerinnen und Schweizer verbrachten ihre Ferien im eigenen Land. «Corona hat den Trend zu mehr Verbundenheit mit der Natur verstärkt», stellt Forster fest. Die Nachfrage nach umweltschonenden Angeboten, die lokal Wertschöpfung generierten, habe noch einmal deutlich zugenommen. Ethische und ökologische Aspekte seien wichtiger geworden. «Die Gäste konsumieren bewusster. Und sie sind bereit, für nachhaltigen Tourismus mehr Geld auszugeben.»
Einzelne Ausflugsziele haben in den Sommermonaten aber zu viele Menschen angezogen. Die Frage, wie Besucherströme besser gelenkt und allenfalls begrenzt werden können, hat im Corona-Jahr an Dringlichkeit gewonnen. «Die Arbeit wird uns nicht ausgehen», ist Rebecca Göpfert daher überzeugt. Die Aussenstelle habe sich in der Region etabliert, sagt sie. «Am Anfang wussten viele nicht so genau, was wir machen. Wir sind als Exoten wahrgenommen worden.»
Sich in einem abgelegenen Dorf einzurichten, habe Mut erfordert, sagt Stefan Forster. Dieser habe sich jedoch ausgezahlt. Die Hochschule habe dazu beigetragen, das einstige Ferienheim neu zu positionieren. Sie habe der ganzen Region einen Entwicklungsimpuls gegeben. Für die Zukunft wünscht sich der Professor: «Dass wir agil bleiben, brennende Fragen aufnehmen und unsere Vorreiterrolle behalten.»
Jubiläumswettbewerb: Die Gewinner sind …
Gross war die Resonanz auf unseren Jubiläumswettbewerb «Wünsch dir was!». 210 Teilnehmende stimmten für ihre Wunschgeschichte und wollten gewinnen. Das Resultat war knapp. Das Rennen machte mit 119 Stimmen der Beitrag über das Center da Capricorns in Wergenstein, die Aussenstelle der ZHAW in Graubünden, den Sie hier auf dieser Doppelseite lesen können.
Aus allen Einsendungen wurden per Zufallsgenerator folgende Gewinner ausgewählt:
- Den 1. Preis, eine Nacht im Hotel «Capricorns» in Wergenstein, gewinnt Lilian Nutz aus Lippoldswilen.
- Der 2. Preis, eine Flasche ZHAW-Wein, geht an Viktor Wagner aus Flawil.
- Der 3. Preis war ebenfalls eine Flasche ZHAW-Wein, dessen Gewinner nicht genannt werden möchte.
Wir gratulieren herzlich!
Vielen Dank allen für die rege Teilnahme an unserem Jubiläumswettbewerb in unserer 50. Ausgabe.
0 Kommentare
Sei der Erste der kommentiert!