Entrepreneurial University: «Alle Studierenden sollen bei uns Unternehmergeist erleben»

20.06.2023
2/2023

Unternehmerisches Denken soll zum unverkennbaren Profil der ZHAW werden. Denn Unternehmergeist sei nicht nur für Firmengründungen wichtig, sondern auch für bestehende Organisationen, um Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig gestalten zu können, sagt Rektor Jean-Marc Piveteau im Interview.

Welches sind Ihrer Ansicht nach die drei wichtigsten Eigenschaften, die Entrepreneurinnen und Entrepreneure auszeichnen?

Jean-Marc Piveteau: Wenn ich mich auf drei fokussieren soll, dann wären das Enthusiasmus, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen.

Weshalb?

Enthusiasmus ist sehr wichtig, um sich selbst und andere zu motivieren und zu überzeugen. Risikobereitschaft, weil man bereit sein muss, etwas auszuprobieren, was bisher vielleicht noch niemand gemacht hat. Und nicht zuletzt braucht es Durchhaltevermögen, denn sicher bleiben Rückschläge oder gar Misserfolge nicht aus.  

Die genannten Eigenschaften sind sicher auch für den Rektor einer Hochschule wichtig. Wie halten Sie Ihren Entrepreneurial Mindset lebendig?

Wo kann man dies im Alltag besser leben als an einer Hochschule, einem Ort, an dem immer Neues entwickelt wird? In inspirierenden Begegnungen mit Forschenden, Dozierenden, Studierenden, Absolventinnen und Absolventen spürt man den Mut und die Begeisterung, etwas Neues erarbeiten oder Startups gründen zu wollen. Der Funke springt über.

«Wir als Hochschule wollen verstärkt Menschen anziehen, die wachsen wollen an komplexen und schwierigen Herausforderungen.»

Rektor Jean-Marc Piveteau

Die ZHAW sieht sich als Entrepreneurial University. Was bedeutet das für Sie? 

Unternehmergeist, wie ich ihn mir für die ZHAW wünsche, ist eine Frage der Haltung. Wir als Hochschule wollen verstärkt Menschen anziehen, die wachsen wollen an komplexen und schwierigen Herausforderungen. Die Hochschule soll Eigeninitiative fördern, auf nachhaltige Wertschöpfung zielen und offen machen für die Zusammenarbeit über interdisziplinäre Grenzen hinweg.

Gibt es Vorbilder für diese Art von Hochschulen?

In der EU und in der angelsächsischen Welt gibt es bereits Hochschulen, die sich «Entrepreneurial Universities» nennen. Mir ist es aber sehr wichtig, dass wir als ZHAW unser ganz eigenständiges Profil entwickeln. Für unsere Fachhochschule, die in der Schweizer Bildungslandschaft verankert ist, ist mein Hauptanliegen – und das sehe ich als unseren Bildungsauftrag: Alle Studierenden sollen bei uns während des Studiums unternehmerisches Denken erleben und leben.

Wie müssen die entsprechenden Bildungsangebote aussehen?

Künftig sollen Studierende mehr Eigenverantwortung für ihre Bildungsreise an der ZHAW übernehmen können. Auch ausserhalb der Curricula soll es Aktivitäten geben wie Summer oder Winter Schools, zu denen sich Studierende verschiedener Fachrichtungen treffen und wo sie gemeinsam unternehmerische Fähigkeiten und eine unternehmerische Haltung entwickeln können. In Werkstätten und Laboren sollen Studierende verstärkt experimentieren, Prototypen herstellen und aus Fehlern lernen können. Und es soll Orte geben, an denen sie die Projekte, für die sie brennen, präsentieren können. Die Projekt- und Abschlussarbeiten sind bereits heute sehr praxisorientiert. Wir wollen künftig vermehrt auch offene Diskussionen und Co-Creation-Formate mit der Industrie und der Gesellschaft fördern.

Beim Thema Entrepreneurship denkt man in der Regel zuerst an Startups.

Unternehmerisches Denken nur mit Firmengründung oder technischer Innovation in Verbindung zu bringen, ist zu eng gedacht. Es muss in allen Studiengängen erlebt und vermittelt werden. Spannend ist zum Beispiel am Departement Soziale Arbeit das neue Social Entrepreneurship Lab. Hier stehen nicht IT, Künstliche Intelligenz oder Technik im Vordergrund, sondern Fortschritt, der das gesellschaftliche Zusammenleben weiterbringen soll. 

Wie will man die «Entrepreneurial University» konkret realisieren?

Unternehmerisches Denken zu fördern, ist nichts Neues an der ZHAW. Das machen wir bereits seit Jahren.

Wo wird das sichtbar?

An der School of Management and Law gibt es zum Beispiel das Institut für Innovation und Entrepreneurship, das seit Jahren in den thematischen Schwerpunkten Business Innovation und Entrepreneurship forscht, lehrt und berät und darin führend ist. Im Master of Business Administration wurde der Schwerpunkt Innovation and Entrepreneurship etabliert. Und seit 2015 gibt es jedes Jahr eine ZHAW Startup Challenge für Studierende. Auch die School of Engineering fördert mit einer Entrepreneur-Initiative Studierende, die ein Startup gründen wollen, vermittelt ihnen Mentorinnen und Mentoren oder leistet Brückenfinanzierung. Erwähnt sei ebenso der neue Master of Science in Preneurship for Regenerative Food Systems am Departement Life Sciences und Facility Management, bei dem Studierende sehr selbstbestimmt ihre Bildungsinhalte zusammenstellen können. Nicht zuletzt werden mit dem Sustainability Booster vor allem Businessideen von Studierenden gefördert, die einen positiven Impact auf die Umwelt haben. Ich könnte hier noch vieles aufzählen.

«Die neue Initiative ZHAW entrepreneurship soll eine zusätzliche Dynamik in die schon existierenden Bestrebungen bringen. Wir schalten jetzt einen Gang höher.»

Rektor Jean-Marc Piveteau

Und was ist neu an der Initiative ZHAW entrepreneurship, die Ende 2021 startete?

Die Initiative soll eine zusätzliche Dynamik in die schon existierenden Bestrebungen bringen. Wir schalten jetzt einen Gang höher. Wichtig ist das gute Zusammenspiel zwischen allen bereits existierenden Initiativen. Bei ZHAW entrepreneurship mit Anita Buchli und Hanna Brahme als Co-Leitung setzen wir derzeit auf zwei Handlungsfelder: Zum einen wollen wir an der ZHAW eine Community von Entrepreneurinnen und Entrepreneuren ins Leben rufen. Das ist die Idee hinter der Initiative ZHAW Visioneur. Zum anderen soll ein hochschulweiter Innovationsprozess etabliert werden. Auch wir als Hochschule müssen Strukturen und Arbeitsweisen überdenken und transformieren. In der derzeitigen Pilotphase prüfen wir, mit welchen Aktivitäten und Formaten die Kultur des Austausches sowie Enthusiasmus und Risikobereitschaft innerhalb der Hochschule gefördert werden können. Bei der der derzeitigen Innovation Challenge sollen sich neue Ideen herauskristallisieren.

Unternehmerisches Denken ist ein Merkmal, das menschliche von Künstlicher Intelligenz unterscheidet. In Zeiten, in denen durch Künstliche Intelligenz immer mehr Berufsbilder verschwinden, könnte diese Eigenschaft noch wichtiger werden.

Der Wandel, der sich in vielen Branchen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt vollzieht, erfordert Mitarbeitende mit unternehmerischen Fähigkeiten und Denkweisen. Diese wollen wir aus- und weiterbilden, damit unsere Absolventinnen und Absolventen noch attraktiver für den Arbeitsmarkt werden. Sie sollen mutig die Herausforderungen der Zukunft angehen können. 

Wie viele Startups oder Spin-offs entstanden im ZHAW-Umfeld in den vergangenen Jahren?

Bei den Spin-offs – also den Unternehmensgründungen mit Innovationen aus der ZHAW heraus – sind es fünf oder sechs und einige sind noch in der Pipeline. Die Startups zu zählen, ist etwas schwierig. Wir erfahren nicht immer von den Firmengründungen. Da dürfte die Anzahl aber um ein Vielfaches höher liegen als bei den Spin-offs. Acht Jungunternehmen sind allein aus den Gewinnerinnen und Gewinnern der jährlichen ZHAW Startup Challenge hervorgegangen, und an der School of Engineering sind es seit 2013 über 40 Neugründungen gewesen. Die Mehrheit unserer Studierenden wird nach dem Studium jedoch in bereits bestehenden Organisationen und in mittelgrossen oder grossen Unternehmen arbeiten. Aber auch dort wird selbstverständlich unternehmerisches Denken erwartet angesichts der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, vor denen wir alle stehen.

«Unternehmerisches Denken nur mit Firmengründung oder technischer Innovation in Verbindung zu bringen, ist zu eng gedacht.»

Rektor Jean-Marc Piveteau

Haben Sie schon mal daran gedacht, ein eigenes Unternehmen zu gründen?

Um ehrlich zu sein, nein. Ich bin kein Entrepreneur, ich bin ein Intrapreneur. Vor meiner Tätigkeit an der ZHAW war ich bei Ascom, einem börsennotierten Schweizer Unternehmen für Telekommunikation und Services, tätig. Als Forschungsingenieur musste ich dort Kundinnen und Kunden akquirieren sowie Produkte verkaufen. Auch später bei der UBS in der IT-Abteilung wurde unternehmerisches Denken erwartet. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass man Entrepreneurship breiter denken muss als im Zusammenhang mit Unternehmensgründungen.

Wie wird die ZHAW als Entrepreneurial University in fünf bis zehn Jahren aussehen?

Jede Absolventin und jeder Absolvent soll sagen können: Ich habe an einer Hochschule studiert, an der unternehmerisches Denken etwas sehr Wichtiges ist. Wir haben dieses unternehmerische Denken wirklich erlebt und gelebt. In der Community Visioneur wird man sich zu Innovationen austauschen, und die Zahl der Startups und Spin-offs aus dem ZHAW-Umfeld wird steigen. Die ZHAW wird dann ein Ort sein, an dem sich unternehmerisch denkende und handelnde Menschen treffen und gemeinsam an Herausforderungen wachsen und die Zukunft kreativ mitgestalten.

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