Abschiedsinterview

«Es ist eine Ehre, die ZHAW zu leiten»

29.11.2024
2/2024

Nach 13 Jahren als Rektor der ZHAW geht Jean-Marc Piveteau Ende Januar 2025 in Pension. Im Interview blickt er zurück und verrät, welche Begegnungen ihn besonders gefreut haben.

Vier Jahre nach dem Zusammenschluss zur ZHAW übernahmen Sie das Amt des Rektors. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung und was war für Sie die wichtigste Aufgabe?

In den ersten Jahren identifizierten sich die meisten Mitarbeitenden noch nicht stark mit der ZHAW. Die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit, über die Grenzen der Departemente hinweg, war für mich zentral. Nicht nur um Identität zu schaffen, sondern auch, um als Fachhochschule einen Beitrag zu den grossen Herausforderungen wie der Energiewende oder der gesellschaftlichen Integration zu leisten. Dies klappt nur interdisziplinär. Heute gibt es viele gemeinsame Projekte von verschiedenen Instituten, etwa das Data Lab, das Digital Health Lab, GEKONT, CYPHER oder AGe+ (Anm. Redaktion: siehe Glossar am Ende des Interviews). Im Gegensatz zur Anfangsphase kommt die Initiative für interdisziplinäre Zusammenarbeit heute von unten, von Forschenden, Dozierenden oder Mitarbeitenden.

 

Sie haben im Rahmen Ihrer Amtstätigkeit viele hochrangige Persönlichkeiten getroffen, zum Beispiel mehrere Bundesräte und den Dalai Lama. Gibt es eine Begegnung, die für Sie besonders prägend war?

Für mich waren vor allem die Begegnungen mit Studierenden oder jungen Mitarbeitenden speziell, wenn diese mir mit Begeisterung von ihren Projekten oder Zielen erzählt haben. Dann spürte ich den Sinn von dem, was ich jeden Tag mache. Wir sind hier, um junge Leute auszubilden, und wenn ich merke, dass es funktioniert, macht mich das wirklich stolz.

 

Die ZHAW ist während Ihrer Amtszeit enorm gewachsen: Es gibt 30 Prozent mehr Bachelorstudiengänge, 50 Prozent mehr Masterstudiengänge, das Kostenvolumen von Forschung und Entwicklung hat sich mehr als verdoppelt, diverse Bautätigkeiten waren nötig, um die Infrastruktur für das Wachstum zu gewährleisten – worauf sind Sie besonders stolz?

Vor allem darauf, dass die Weiterentwicklung auf allen Stufen vorangetrieben wird. Es ist eine Ehre, eine so dynamische Hochschule zu leiten. Ich picke ungern etwas Einzelnes heraus, denn es gibt vieles, was mich stolz macht. Eine wichtige Errungenschaft ist, dass wir uns in den europäischen Raum eingebracht haben: die Förderung der EU-Forschung, der Mobilität, von Double Degrees mit europäischen Partnern, die Mitgliedschaft in der European University Association (EUA) und bei EELISA. Um die Studierenden auf die globalisierte Arbeitswelt vorzubereiten, ist diese europäische Verankerung enorm wichtig.

«Das Leben lässt sich nicht strategisch planen.»

Jean-Marc Piveteau, Rektor der ZHAW von 2011 bis Januar 2025

Für Sie waren die strategischen Schwerpunkte Energieforschung, digitale Transformation und unternehmerisches Denken zentral. Sind Sie zufrieden damit, wie sich diese Bereiche während Ihrer Amtszeit entwickelt haben?

Ich bin sehr zufrieden mit unserer Entwicklung und dass wir unsere Expertise mit einem interdisziplinären Ansatz in diesen Bereichen einbringen. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Die ZHAW ist noch nicht die Enterprise University, die ich mir wünsche, und auch an der europäischen Verankerung der Hochschule müssen wir weiterarbeiten.

 

Die Welt verändert sich immer schneller. Welche Kompetenzen muss eine Hochschule vermitteln, um die Absolventinnen und Absolventen für die Zukunft zu wappnen?

Das Wichtigste ist Handlungsfähigkeit: Dass sie mündig sind, sich einbringen und ihr Umfeld weiterentwickeln können. Kritisches Denken ist eine zentrale Fähigkeit, aber auch unternehmerisches Denken. Und natürlich müssen wir ihnen in einem Bereich die Grundlagen vermitteln. Wie sie sich danach beruflich weiterentwickeln, ist absolut offen.

 

Lifelong Learning wäre vielleicht noch ein Stichwort.

Klar, die Fähigkeit, sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen, ist wichtig. Das Lernen endet nicht mit dem Studium. Heute wissen das alle, aber vor zehn oder zwanzig Jahren war das überhaupt noch nicht selbstverständlich.

 

Sie haben Mathematik an der ETH Zürich studiert. Wenn Sie heute vor der Wahl eines Studiengangs stehen würden, für welchen würden Sie sich entscheiden?

Das ist schwierig zu beantworten. Ich stehe am Ende meiner Karriere und bin in einer völlig anderen Lebenssituation als eine Person, die sich für ein Studium entscheiden muss.

 

Und wenn Sie einer jungen Person einen Rat geben müssten?

Vielleicht, dass das Leben voller Überraschungen ist und man es nicht strategisch planen kann. Ich hatte viele Pläne für meine Karriere, aber es ist immer anders gekommen. Mit 18 hätte ich nie gedacht, dass ich einmal Rektor einer Hochschule werde. Man sollte einfach seinen Interessen folgen und Chancen ergreifen, wenn sie sich bieten. Manchmal muss man auch ein bisschen Glück haben und ein Karriereschritt führt zum nächsten.

 

Als Präsident der Schweizer Delegation haben Sie bei der nationalen Open-Science-Strategie mitgewirkt. Wie offen soll die Forschung einer Fachhochschule sein? Wünschen sich Partner aus Industrie und Wirtschaft nicht handfeste Wettbewerbsvorteile aus den Forschungsprojekten, die sie mit einer Fachhochschule durchführen?

Was Sie ansprechen – Open Research Data –, hat die Open-Science-Delegation lange beschäftigt: Sollen die Daten, die Forschungsergebnissen aus öffentlich finanzierten Projekten zugrunde liegen, frei zugänglich sein? Es macht keinen Unterschied, ob es Grundlagenforschung oder anwendungsorientierte Forschung ist. Es geht vor allem darum, dass man die Ergebnisse reproduzieren kann und dass mit denselben Forschungsgeldern nicht mehrmals die gleiche Forschung finanziert wird. Wenn mit der Forschung eine Innovation geschaffen wird, müssen die Daten so veröffentlicht werden, dass man die Ergebnisse validieren kann, aber es ist trotzdem möglich, die Ergebnisse zu schützen. Das ist kein Widerspruch. Die Forderung nach Open Research Data ist eine Realität, und für uns lautet die Frage: Wollen wir als ZHAW nur mitmachen oder wollen wir die Praxis auch aktiv mitgestalten? Bei Kooperationen mit Praxispartnern muss man natürlich immer deren Perspektive beachten und umsichtig sein mit der Verbreitung der Erkenntnisse und der Forschungsdaten.

 

Welchen Ratschlag haben Sie an Ihre Nachfolgerin Regula Altmann-Jöhl?

Ich freue mich sehr, dass sie meine Nachfolgerin ist. Sie hat sehr viel Erfahrung und sie wird das Amt sehr gut ausführen – dazu braucht sie keine Ratschläge von mir.

Zur Person

Jean-Marc Piveteau stammt aus Fribourg. Er promovierte in Mathematik an der ETH Zürich und war danach an der IHES in Paris und der ETH Zürich in der Forschung tätig. Bei der Ascom Tech AG brachte er sein Wissen als Forschungsingenieur ein und bei der UBS arbeitete er von 1993 bis 2001 in verschiedenen leitenden Funktionen. Von 2001 bis 2011 war er an der Hochschule für Technik Rapperswil tätig, zuerst als Professor für Internet-Technologien, später auch als Institutsleiter, Mitglied der Hochschulleitung und Prorektor.

Glossar

Data Lab: Eine virtuelle, departementübergreifende Organisation der ZHAW, die innovative Forschungsprojekte basierend auf Data Science durchführt.

Digital Health Lab: Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Fachleuten aus den Bereichen Biomedizin, Gesundheit, Technologie und Wirtschaft, die anwendungsorientierte, interdisziplinäre Forschung und Entwicklung betreibt.

GEKONT: Eine Initiative der ZHAW, welche die internen Kompetenzen für eine nutzenorientierte Entwicklung, Implementierung und Anwendung von Gesundheitstechnologien bündelt.

CYPHER: Das Kompetenznetzwerk «Child and Youth Public Health Research» bringt Forschende der ZHAW mit Entscheidungsträgern aus Politik und Praxis zusammen.

AGe+: Der ZHAW-Schwerpunkt «Angewandte Gerontologie» befasst sich mit Lösungsansätzen für die Herausforderungen der alternden Gesellschaft auf der Grundlage interdisziplinärer, interprofessioneller und partizipativer Forschung und Entwicklung.

EELISA (European Engineering Learning Innovation and Science Alliance): Konsortium von zehn europäischen Hochschulen (eine sogenannte «European Universities alliance») aus acht Ländern, mit dem Ziel, eine Brücke zwischen Ingenieur-, Natur- und Geisteswissenschaften für integrative, nachhaltige und digitale Gesellschaften zu schlagen.

(Bilder: Conradin Frei)

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