Diversität vorleben und Wissen weitergeben wollen Simon Stettler (l.) und Janna Kraus.

Gleichberechtigung geht uns alle an

21.06.2022
2/2022

Diversität hat viele Gesichter. Im Monat Juni steht die LGBTIQ+-Community im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und der Festlichkeiten des Pride Month. Impact hat mit zwei Vertreter:innen der ZHAW-Community gesprochen.

Was sieht eine Gesellschaft als Norm an? Und was geschieht, wenn Menschen von dieser Norm abweichen? Mit diesen Themen hat sich Simon Stettler schon oft beschäftigt. Stettler studiert am Departement Angewandte Linguistik der ZHAW im Bachelor Angewandte Sprachen. Als non-binäre Person – Stettler definiert sich weder als Mann noch als Frau – ist Stettler Teil der LGBTIQ+ -Community und stellt das Konstrukt der Normalität gerne in Frage.

«Queere Menschen gelten oft als komisch oder abnormal. Meiner Ansicht nach müssen wir ganz von der Unterscheidung zwischen normal und abnormal wegkommen», sagt Stettler. Das führe zu einer unnötigen Spaltung zwischen der queeren Community und der heteronormativen Gesellschaft. Dabei gehe es doch vielmehr um ein Miteinander und um gleiche Möglichkeiten für alle. 

Aktiv werden und aufklären

Stettler engagiert sich unter anderem in der Peer2Peer-Gruppe der ZHAW – diese vereint Vertreter:innen aller Funktionsstufen der ZHAW, welche sich unter dem LGBTIQ+ Spektrum verorten – und in der Intersektion Q+ des Studierendenvereins Alias und empfindet dieses Engagement als Bereicherung für den Studienalltag: «Ich sehe dadurch hinter die Kulissen der ZHAW und weiss, wie die ZHAW als Institution funktioniert».

Auch im ZHAW-Umfeld geht Stettler offen mit der Non-Binarität um und hat Verständnis, wenn Menschen nicht auf Anhieb die korrekte Ansprache finden. «Optisch bin ich männlich-präsentierend und ich klinge männlich. Wenn mich eine Person, mit der ich nur einmalig zu tun habe, mit Herr Stettler anspricht, ist das für mich kein Problem», sagt Stettler. Wenn Stettler mehrfach mit Personen zu tun hat, weist Stettler diese aber auf die Non-Binarität hin.

«Bei mir gibt es keinen Raum für sexistische, homophobe oder transphobe Äusserungen im Unterricht.»

Janna Kraus, Dozentin an der ZHAW

Auch Janna Kraus ist Mitglied der Peer2Peer-Gruppe an der ZHAW. Sie doziert am Departement Life Sciences und Facility Management (Abteilung Transversalis) zu den Themen Kultur, Gesellschaft und Sprache mit Fokus auf Wissenschafts- und Technikgeschichte. Auch Kraus gehört zur queeren Community, weiter möchte sie ihre Identität nicht definieren. «Ich sehe für mich persönlich im professionellen Kontext keinen Mehrwert darin, meine Identität für alle offen aufzuschlüsseln », erklärt Kraus und ergänzt: «Aber meine Lebensrealität weicht nun mal von der Norm ab und das hat auch für die Arbeit Konsequenzen.» 

Ihr Privatleben ist selbstverständlich nicht Teil ihrer Lehre, dennoch fliessen Themen wie Familienmodelle, Geschlechterrollen und die Komplexität von biologischem Geschlecht in Kraus’ Tätigkeit als Dozentin mit ein. «Gerade wenn es um Kurse zu Zukunftsvorstellungen geht, sind diese Fragen automatisch Thema», sagt Kraus. Ausserdem sieht sie es als ihre Pflicht, im Klassenzimmer ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle sicher fühlen. «Bei mir gibt es keinen Raum für sexistische, homophobe oder transphobe Äusserungen.» Im Kontext des Unterrichts sei es ihre Aufgabe, im Hochschulkontext Aufgabe der ZHAW, dieses Umfeld zu schaffen. 

Farbe bekennen und Vielfalt feiern

Dieser Aufgabe hat sich die ZHAW dieses Jahr speziell angenommen und feiert im Juni das erste Mal offiziell den Pride Month, was Stettler sehr begrüsst. «Die ZHAW ist eine renommierte Hochschule und über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Wenn eine solche gesellschaftlich anerkannte Institution sich öffentlich für LGBTIQ+-Themen stark macht, hat dies enorm positiven Einfluss», begründet Stettler. Auch Kraus betont die Wichtigkeit der öffentlichen Positionierung: «Es ist essenziell und dringend nötig, immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen. Aus meiner Sicht hat eine Hochschule die Verpflichtung, sich klar für die LGBTIQ+-Community auszusprechen.» Die ZHAW positioniere sich laut Kraus dadurch auch als sicheren Arbeitsplatz und sichere Bildungsstätte für alle. 

«Macht sich eine anerkannte Institution wie die ZHAW öffentlich für LGBTIQ+-Themenstark, hat dies enorm positiven Einfluss.»

Simon Stettler, studierende Person im Bachelor Angewandte Sprachen

Beide betonen aber, dass es mit mehr Sichtbarkeit und einer klaren Positionierung nicht getan sei. Aus Stettlers Sicht sind wichtige Massnahmen vor allem administrativer und organisatorischer Natur. Die Einführung der dritten Geschlechtsoption – dass beim Erfassen der Personalien neben Mann und Frau auch eine dritte Option angeboten wird – sieht Stettler als oberste Priorität.

Handeln und Lösungen erarbeiten

Als Person, welche Sprachwissenschaften studiert, sieht Stettler natürlich auch den Sprachleitfaden, welcher an der ZHAW derzeit erarbeitet wird, als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Janna Kraus stimmt beiden Punkten zu und führt aus: «Mit dem Sprachleitfaden werden alle ZHAW-Angehörigen zum Thema geschult und es werden grosse Verbesserungen geschaffen, um konstantes Misgendering zu verhindern».

Hohe Priorität haben für Kraus aber vor allem infrastrukturelle Anpassungen, genauer der Ausbau von sanitären Anlagen. «Ein Beispiel: Aktuell gibt es nur Einrichtungen für Binden und Tampons auf den Frauentoiletten. Was also machen trans Männer? Mit solchen Fragen müssen wir uns beschäftigen. Wenn Leute nicht mal in Ruhe aufs WC können, dann ist der Rest ein bisschen Deko», betont Kraus. Geschlechtsneutrale Toiletten würden diesbezüglich Abhilfe schaffen. Sie wisse natürlich, dass gerade Anpassungen an der Infrastruktur Zeit brauchten, da es sich um bauliche Massnahmen handelt. «Ich plädiere aber für temporäre Lösungen, die nicht abschliessend perfekt sein müssen», sagt Kraus. 

Miteinander zu mehr Gleichberechtigung

Das Schöne an der ZHAW sei, dass die Wege kürzer und die Hierarchien flacher sind als bei altehrwürdigen Universitäten. «Daraus ergeben sich grosse Chancen zur Gestaltung und Mitsprache, die man sich nicht entgehen lassen sollte», sagt Kraus. Stettler meint, man brauche zwar manchmal einen längeren Atem, um Massnahmen umzusetzen. Dafür sei es umso schöner, noch innerhalb der Studienzeit Erfolge zu erzielen. «Der Pride Month ist dafür ein gutes Beispiel, und ich möchte auch alle ausserhalb der LGBTIQ+-Community einladen, mit uns zu feiern», sagt Stettler. Denn Gleichberechtigung geht uns alle an.

Manifest der Peer2Peer-Gruppe der ZHAW

Die Peer2Peer-Gruppe hat Mitte 2020 ein Manifest verfasst, welches aufzeigt, wie in den Bereichen Lehre, Kommunikation, Administration, Facility Management und ganz allgemein im Hochschulalltag LGBTIQ+-Diversity integriert und Diskriminierungen abgebaut werden können. Die Hochschulleitung hat daraufhin die Stabsstelle Diversity beauftragt, die vorgeschlagenen Aktionsfelder zu priorisieren und Massnahmen zu konkretisieren. Aktuelle Vorhaben sind zum Beispiel eine vereinfachte Namens- und Personenstandsänderung für trans Menschen und die Erarbeitung eines Sprachleitfadens für gendergerechte Sprache.

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