Ernährung der Zukunft

Linsen und Bohnen statt Futtermais 

25.11.2025
2/2025

Unsere traditionelle Ernährung belastet Klima, Gewässer und Böden. ZHAW-Forschende untersuchen, wie auf Schweizer Feldern mehr pflanzliche Lebensmittel angebaut werden können. 

Auf rund 60 Prozent der Schweizer Ackerflächen wachsen heute Futtermittel für Tiere. Um alle Kühe, Rinder, Schweine und Hühner zu ernähren, müssen zudem Soja und Getreide aus dem Ausland importiert werden. Unsere Vorliebe für Fleisch, Milchprodukte und Eier verursacht grosse Umweltbelastungen wie etwa den Ausstoss von Treibhausgasen, Gewässerverschmutzung, Verlust der Artenvielfalt und der Bodenfruchtbarkeit. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, braucht es dringend eine Umstellung unserer Ernährung sowie der Landwirtschaft.

Am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) werden verschiedenen Aspekten dieser Transformation erforscht. Die Forschungsgruppe Geography of Food hat zum Beispiel im Auftrag des WWF Schweiz 30 sogenannte Future Foods definiert. Darunter finden sich Gemüse wie Federkohl, Catalogna und Schwarzwurzel, aber auch Kohlenhydrat-Lieferanten wie Süsskartoffel und Sorghumhirse oder Hülsenfrüchte wie Soja, Lupine und Ackerbohne. Zu Beginn des Projekts standen über 100 Sorten als mögliche Future Foods zur Auswahl. Bei der Eingrenzung untersuchten Expertinnen und Experten, ob sie sich für hiesige Witterungsbedingungen eignen, wie sich der Anbau auf die Biodiversität und die Böden auswirkt, welche Nährstoffe sie enthalten und wie ihr Marktpotenzial aussieht. Diejenigen mit dem besten Ergebnis fanden Eingang in eine Broschüre sowie eine Website mit detaillierten Angaben zu Nährstoffen und Rezeptideen. Mit diesen Informationsmaterialien hat der WWF letztes Jahr zusammen mit Grossverteilern eine Kampagne durchgeführt. «Die 30 empfohlenen Nahrungsmittel bieten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten und können einen wichtigen Beitrag zu einer gesunden und umweltfreundlicheren Ernährung leisten», sagt Projektleiter und IUNR-Dozent Roman Grüter. 

Hülsenfrüchte statt Fleisch 

Ein Ziel der Forschungsgruppe ist auch die sogenannte Proteinwende: Um den täglichen Proteinbedarf zu decken, sollen statt tierischer Produkte vermehrt Hülsenfrüchte, Nüsse und Kerne auf den Teller kommen. Die pflanzlichen Eiweisslieferanten werden jedoch heute vorwiegend aus dem Ausland importiert, während die Schweizer Landwirtschaft stark auf Tierhaltung und Milchwirtschaft setzt. In den Berggebieten, wo Ackerbau schwierig ist, sei dieser Ansatz berechtigt, sagt Grüter. «Doch das Narrativ des Graslandes Schweiz ist nur teilweise stimmig.» Denn auch im Flachland werde auf einem Grossteil der Böden Tierfutter wie Mais, Gerste und Kunstwiese angebaut. Bei Letzterer handelt es sich um eine angesäte Wiese mit verschiedenen Gräsersorten und Klee. Für eine Fruchtfolge, welche den Boden langfristig fruchtbar erhält, sei Kunstwiese zwar wertvoll, räumt Grüter ein. «Doch je nach Standort könnte eine Reduktion des Kunstwiesenanteils viel Fläche freigeben für Kulturen, die der direkten menschlichen Ernährung dienen.» 

Alle Akteure einbeziehen 

Im Rahmen eines weiteren Projekts, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wird, untersuchen die Forschenden in Wädenswil das Potenzial von Hülsenfrüchten und Ölpflanzen in der Schweiz. Dabei betrachten sie eine breite Palette an Faktoren – vom Anbau, den Umweltauswirkungen, den Verarbeitungsmöglichkeiten über die Akzeptanz der Landwirtschaft, der Vermarktungsorganisationen und der Kundschaft bis zu politisch gesteuerten Lenkungsmassnahmen. «Aktuell wird der Anbau von Proteinpflanzen für die direkte menschliche Ernährung im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln nicht stark gefördert», bedauert Grüter. Für die Landwirtschaft lohne sich die Umstellung deshalb kaum. Komme dazu, dass Kulturen wie Linsen, Ackerbohnen, Soja oder Eiweisserbsen stärker von den Wetterbedingungen abhängen als die Fleisch- und Milchwirtschaft. «In einem verregneten Sommer kann es im schlimmsten Fall zu einem totalen Ernteausfall kommen.»

«Lebensmittel aus der Nähe stärken unseren Bezug zu den Produkten»

Sonja Trachsel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen

Wichtig wäre deshalb auch die Intensivierung der Forschung, um Sorten für die hiesigen klimatischen Bedingungen zu züchten, stellt der Umweltwissenschaftler klar. Darum sei zentral, die relevanten Akteurinnen und Akteure des Ernährungssystems in Studien einzubeziehen. Dazu gehören neben den Bauern auch Verarbeitungs- und Transportbetriebe, Händler, Gastronominnen, Konsumenten, Politikerinnen, Behörden sowie Umweltschutz- und Gesundheitsorganisationen. «Der partizipative Ansatz verhilft uns zu Wissen aus der Praxis und ermöglicht uns, anwendungsorientierte Lösungen zu entwickeln», erklärt Grüter. Im Rahmen von Workshops diskutieren die Beteiligten Themen wie Ernährungstrends, Klimawandel und politische Bedingungen aus ihren verschiedenen Perspektiven. 

Vom nahen Bauernhof statt aus dem Ausland 

Weiter soll die lokale Verankerung gestärkt werden. In den drei Pilotregionen Knonauer Amt, Baselland und Yverdon-les-Bains regen die Forschenden derzeit regionale Netzwerke des Ernährungssystems an. Dabei wollen sie Absatzmärkte für Bioprodukte mit kurzen Wegen schaffen – zum Beispiel Wochenmärkte, Gemüseabonnemente oder kleinere Läden mit lokalen Produkten. In grösseren Städten gebe es derartige Angebote schon länger, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sonja Trachsel. In ländlichen Regionen dagegen bestehe noch Potenzial. «Lebensmittel aus der Nähe stärken unseren Bezug zu den Produkten», erklärt Trachsel. Damit steige die Bereitschaft, faire Preise zu bezahlen, was den Bäuerinnen und Bauern wiederum ein besseres Einkommen sichere. 

In Wädenswil ist ein Projekt  für die sogenannte regionale Transformation bereits im Gange. Im Rahmen von «Ernährungszukunft Wädenswil» soll eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft gefördert werden. Zum Beispiel will man Institutionen dazu anhalten, mehr lokale Produkte zu verwenden, sowie Detailhandel und Gastronomie über die Haltbarkeit von Lebensmitteln aufklären, um Foodwaste zu vermeiden. Angedacht sind auch finanzielle Zustüpfe für Landwirtschaftsbetriebe, die klimafreundlich produzieren. 

App für den Austausch über Nischenkulturen 

Brigitte hat dieses Jahr Winterlinsen angesät. Dank Trockenheit, viel Wind und Geduld sei das überraschend gut gegangen, schreibt die Bäuerin aus dem Kanton Solothurn auf der landwirtschaftlichen App AgroPionier. Roman erkundigt sich nach der Höhe des Ertrags, worauf Brigitte antwortet, nach der Trocknung seien es etwa 1,4 Tonnen gewesen. Die App und die dazugehörende Website wurden von der Forschungsgruppe Geography of Food gemeinsam mit der Universität Zürich und dem Strickhof entwickelt. Drittmittel stammen aus dem Fonds der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen DIZH. Seit Februar 2025 stehen die digitalen Anwendungen Landwirtinnen und Landwirten zur Verfügung, die sich über ihre Erfahrungen mit Nischenkulturen austauschen wollen. Dazu gehören zum Beispiel Leinsamen, Emmer, Haferwurzel, Ackerbohnen, Lupinen und andere Hülsenfrüchte. Bei einem Teil davon handelt es sich um traditionelle Kulturen, die unterdessen aber hierzulande kaum noch angebaut werden. Auf über 80 Prozent der offenen Ackerflächen in der Schweiz wachsen heute nämlich lediglich sechs verschiedene Kulturen: Weizen, Mais, Gerste, Raps, Zuckerrüben und Kartoffeln. 

Schnittstelle zwischen Landwirtschaft, Forschung und Dienstleistern 

Um den zunehmenden Wetterextremen durch die Klimaveränderung zu trotzen und mehr pflanzliche Lebensmittel zu produzieren, braucht es eine Diversifizierung. Doch innovative Bäuerinnen und Bauern seien oft auf sich alleine gestellt und ungenügend vernetzt, beobachtet Projektleiter Roman Grüter. «Wir wollen mit ihnen neues Wissen über den Anbau von Nischenkulturen generieren.» AgroPionier setzt auf den sogenannten Farmer-Science-Ansatz, der Landwirtinnen und Landwirte in die Datensammlung und Analyse einbindet. Auch Ergebnisse aus der Forschung sowie Dienstleistungen wie Trocknungs- und Veredelungsmöglichkeiten werden in der App erfasst. 

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