Mehr als der Gratisapfel im Pausenraum
Während der Corona-Pandemie ist das betriebliche Gesundheitsmanagement in den Fokus gerückt. Doch in der Bürowelt 4.0 ist es zunehmend schwierig, die Voraussetzungen für gesundes Arbeiten zu schaffen.
Gesundheit am Arbeitsplatz, das bedeutete lange, den Arbeitnehmenden in seiner körperlichen Gesundheit zu schützen: Durch unfallverhütende Massnahmen, durch ergonomische Bürostühle oder den berühmten Gratisapfel im Pausenraum. Heute stehen psychische Probleme wie Burnout und emotionale Erschöpfung zuoberst auf der Liste der gesundheitlichen Probleme am Arbeitsplatz. Hauptauslöser ist Stress.
Die Arbeitswelt 4.0 hat neue Arbeitsformen hervorgebracht, welche die Gesundheit beeinflussen: Die Arbeit wird vernetzt, autonom, mobil und ortsunabhängig vollbracht. Die Gesundheitsförderung Schweiz, eine von Kantonen und Versicherern getragene private Stiftung, hat deshalb auch neue Handlungsfelder der Zukunft für die Gesundheit am Arbeitsplatz identifiziert: die Digitalisierung, neue agile Arbeitsformen, Gig Economy und den Umgang mit Daten. «Die digitale Transformation hat deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit», sagt auch Irene Etzer-Hofer, Leiterin der Fachstelle Betriebliches Gesundheitsmanagement am Departement Gesundheit. Die digitale Transformation habe die Art der Zusammenarbeit in den Unternehmen verändert. Und die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung deutlich beschleunigt.
Nachholbedarf bei Sensibilisierung und Strategie
Im Zuge dieser Entwicklungen hat die Bedeutung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) zugenommen. Das BGM-Monitoring der Gesundheitsförderung vom August dieses Jahres zeigt ein kontinuierlich gestiegenes Engagement der Unternehmen in den letzten Jahren. Jedoch: «Nachholbedarf besteht bei der Sensibilisierung zu Stress und psychischer Gesundheit sowie bei Massnahmen zur strategischen Verankerung, zur Überprüfung der Wirksamkeit von BGM und zum Einbezug von Mitarbeitenden», heisst es in der Mitteilung.
«Ein positiver Effekt der Pandemie ist, dass die Unternehmen wieder realisieren, dass auch sie hinsichtlich der Arbeitsgestaltung Verantwortung übernehmen müssen.»
Das BGM ist ein Bündel an Massnahmen und Prozessen, um Gesundheit, Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu stärken. Klassische Handlungsfelder sind etwa die Arbeitsorganisation, die Arbeitsplatzgestaltung, die Arbeitssicherheit sowie das Absenzen- und Casemanagement. Das BGM bewegt sich hierbei auf der Verhaltens- und auf der Verhältnisebene: Der einzelne Mitarbeitende muss für seine Gesundheit sorgen, doch der Arbeitgeber trägt die Verantwortung, die entsprechenden Verhältnisse zu schaffen, damit dies möglich ist. «Ein positiver Effekt der Pandemie ist, dass die Unternehmen wieder realisieren, dass auch sie hinsichtlich der Arbeitsgestaltung Verantwortung übernehmen müssen», sagt Etzer. Diese Last könne nicht nur auf die Schultern der einzelnen Mitarbeitenden geladen werden; das BGM sei integrativer Teil der Unternehmensentwicklung.
Büroräume zum Wohlfühlen
Gerade die Arbeitsumgebung, die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, habe nun die Aufmerksamkeit, die sie auch verdiene, sagt Lukas Windlinger. Er ist Leiter Kompetenzgruppe Betriebsökonomie und Human Resources am Departement Life Sciences und Facility Management und befasst sich mit dem Thema Workplace Management. Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie hat er mit seinem Team einen Leitfaden zu «Gesundheitsförderlichen Büroräumen und Workplace Change Management» verfasst, herausgegeben von der Gesundheitsförderung Schweiz.
In einer fünf Seiten langen Checkliste sind Kriterien aufgeführt, die Einfluss auf die psychische Gesundheit haben. So soll das Büroraumkonzept auf Basis einer Tätigkeits- und Bedarfsanalyse der Mitarbeitenden erstellt werden, zudem sollen keine Statusunterschiede ersichtlich sein. Darunter fällt auch der Entscheid über offene oder geschlossene Büroräume: Der Mitarbeitende soll sich visuell und auch akustisch von den anderen Kolleginnen und Kollegen abschirmen können, wenn er dies braucht.
«Das Büroraumkonzept soll auf Basis einer Tätigkeits- und Bedarfsanalyse der Mitarbeitenden erstellt werden.»
Oder die Gestaltung soll freundlich, einladend und ästhetisch wirken, moderat bunt sein und mindestens eine Pflanze je drei Arbeitsplätze vorsehen. Allgemein wird dem Thema Natur eine hohe Bedeutung beigemessen: mit den Elementen Holz, Stein oder Wasser, Naturmotiven auf Bildern bis hin zu Klängen aus der Natur, der Aussicht aufs Grüne und Aussenflächen zur Regeneration. Wichtig dabei: Die Nutzenden müssen durch alle Phasen der Veränderung der Büroräume mit einbezogen werden. Denn die Veränderung der Arbeitsumgebung ist ein sehr emotionales Thema für die Betroffenen. Der Arbeitsplatz ist für viele eine Konstante in der sich rasant verändernden Arbeitswelt.
Sich selbst organisieren und managen
Gesundheitsförderliche Verhältnisse im Unternehmen und am Arbeitsplatz sind das eine. Die örtliche und zeitliche Flexibilisierung der Arbeit stellt aber auch hohe Anforderungen an das Verhalten der Mitarbeitenden. Die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen zusehends, so Etzer. Selbstbestimmung und Autonomie in der Arbeit haben zwar viele Vorteile, diese zeigen sich aber nur dann, wenn die Arbeits- und Erholungsphasen gut geplant werden. Aktuelle Studien zeigen, dass zum Beispiel im Homeoffice mehr gearbeitet werde und damit auch mehr gesundheitliche Probleme entstehen, so Etzer.
In agilen oder hybrid zusammenarbeitenden Teams ist die Selbstorganisation wesentlich bedeutender als in traditionellen Teams. Diese Selbstorganisation birgt auch ein hohes zwischenmenschliches Konfliktpotenzial – ein weiterer Auslöser für negativen Stress. Die von Vorgesetzten und Mitarbeitenden gemeinsam entwickelte Teamkultur und entsprechend formulierte Teamziele wie auch mentale Strategien zur Stressbewältigung sind deshalb wichtiger geworden.
Ein Netz von Arbeitsplätzen
Der Arbeitsplatz sei heute nicht mehr nur ein Ort, sondern ein Netz von Orten, sagt Windlinger. Für den Arbeitgeber und die Verantwortlichen im Unternehmen sei es deshalb zunehmend schwierig, auf das Gesundheitsverhalten der Angestellten direkt einzuwirken, so Etzer. Der oder die Vorgesetzte hat noch mehr die Aufgabe, Orientierung zu schaffen, damit die örtlich und zeitlich flexibel arbeitenden Teammitglieder doch am gleichen Strang ziehen und alle auf die gleichen Ziele hinarbeiten. Im virtuellen Raum ist dies eine Herausforderung.
Wichtig für den langfristigen Erfolg sei, das Gesundheitsmanagement ganzheitlich zu betreiben: «Gesundheit muss bei allen Entscheidungen des Unternehmens mitgedacht werden», sagt Etzer. Der Früchtekorb und das Gratiswasser reichen hier nicht. Idealerweise ist das BGM systematisch ausgerichtet und integrativer Bestandteil der Unternehmenskultur. Erst damit zeigen sich nachhaltige Vorteile für das Unternehmen: Grundsätzlich bedeute Gesundheit auch Motivation und Leistungsfähigkeit, so Etzer. Und mehr Flexibilität und Eigenverantwortung kann auch zu einer höheren Zufriedenheit bei der Arbeit führen – wenn die Ressourcen mit der Arbeitsbelastung einhergehen. Zudem trägt in Zeiten des «War for Talents» ein gut verankertes BGM zur Mitarbeitendenbindung und zur Attraktivität des Arbeitgebers bei.
Weiterbildungen zum Thema Gesundheit im Unternehmen
Angewandte Psychologie
WBK Leistung steuern und Gesundheit fördern
WBK Auf dem Weg zur agilen Organisation I - Führen in der VUCA-Welt
WBK Auf dem Weg zur Agilen Organisation II – Real-Case-Labor
WBK Flexible neue Arbeitsmodelle und Arbeitsplatzgestaltung
WBK Konfliktmanagement
WBK Achtsam – aufmerksam – fokussiert
WBK Persönlichkeit führt – sich und andere wirksam entwickeln
WBK Job Crafting
Gesundheit
CAS Betriebliche Ergonomie
WBK Gesundheitsförderung und Prävention in der Arbeitswelt
Life Sciences und Facility Management
CAS Workplace Management
School of Management and Law
CAS Rechtliche Einflussfaktoren & HR
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