Alice Delorme Benites ist Professorin für Mensch-Maschine-Kommunikation und Leiterin des Instituts für Mehrsprachige Kommunikation.  
Strukturwandel

Mit neuem Namen in die Zukunft 

25.11.2025
2/2025

Das Institut für Übersetzen und Dolmetschen wurde 2025 umbenannt in Institut für Mehrsprachige Kommunikation. Die Institutsleiterin Alice Delorme Benites erklärt, wie KI das Berufsfeld verändert und was Sprachprofis in Zukunft können müssen.  

Alice Delorme Benites, wie kam es dazu, dass Sie Ihr Institut umbenannt haben?  

Der Name wurde unserer Tätigkeit schon seit Längerem nicht mehr gerecht. Wir befassen uns auch mit Technikkommunikation, barrierefreier Kommunikation und mit Mensch-Maschine-Kommunikation. Zudem wird der Begriff «Übersetzen» immer mehr mit einer maschinellen Tätigkeit assoziiert als mit einer menschlichen. Der neue Name steht dafür, was wir wirklich tun: Wir stellen sicher, dass mehrsprachige Kommunikation funktioniert. Wir untersuchen diese wissenschaftlich und bilden Profis aus. 

Wie haben Sie die Entwicklung der technologischen Hilfsmittel miterlebt? 

In der Übersetzungsbranche sind solche Tools schon seit über 20 Jahren im Einsatz. Einerseits gibt es sogenannte Computer-Assisted Translation Tools (CAT-Tools): Die zu übersetzenden Texte werden in eine Software eingelesen und von einer Person übersetzt. Erkennt die Software Übereinstimmungen mit bereits vorhandenen Übersetzungen, können diese übernommen werden. Andererseits gibt es maschinelle Übersetzungstools, bei denen die Software selbstständig übersetzt. Wir haben diese Tools fortlaufend in die Forschung und in die Lehre integriert. Der Wendepunkt war 2016, als DeepL und Google Translate mit neuronal-maschinellen Übersetzungen aufkamen und diese wirklich gut waren. Davor waren die Ergebnisse der maschinellen Übersetzung meilenweit davon entfernt, was eine schlechte menschliche Übersetzerin produzierte. Plötzlich lieferten unsere Studierenden perfekt übersetzte Texte ab, die alle sehr ähnlich klangen. Beim Korrigieren dachte ich jeweils, ich lese 20 Mal denselben Text – was bei menschlichen Übersetzungen überhaupt nicht der Fall ist. So mussten wir unsere Leistungsnachweise schon damals überdenken. Als 2022 ChatGPT aufkam, waren wir nicht überrascht – nur davon, dass es alle gleich nutzten.  

«Wir brauchen nicht mit der Maschine zu konkurrenzieren.» 

Alice Delorme Benites, Leiterin Institut für Mehrsprachige Kommunikation

Wie beeinflussen KI-Tools und deren einfache Verfügbarkeit die Berufsbilder von Übersetzern und Dolmetscherinnen? 

Schon bei den CAT-Tools prophezeiten einige den Untergang der Übersetzungsbranche, was eindeutig nicht der Fall war. Andere hingegen sagen heute, KI werde uns genauso wenig ersetzen, wie es die CAT-Tools taten. Ich sehe aber einen grossen Unterschied: Mit KI-Tools arbeiten nicht nur Sprachprofis, sondern alle. Durch sie ist die Tätigkeit des Übersetzens in der öffentlichen Meinung vom Menschen auf die Maschine übergegangen. Während sich die Fachwelt überlegt, wie man die Tools in die Prozesse integrieren kann, geht die öffentliche Meinung immer mehr in die Richtung, dass es keine Übersetzerinnen und Übersetzer mehr braucht. Davor dürfen wir die Augen nicht verschliessen. Darum haben wir das Studium so angepasst, dass es zukunftsfähig ist.   

Welche Überlegungen waren dabei zentral? 

Wir brauchen nicht mit der Maschine zu konkurrenzieren. Die Rolle von Sprachprofis wird immer mehr in Richtung Beratung gehen. Nehmen wir das Beispiel einer Stadtverwaltung. Diese hat verschiedene Informationen für die nichtdeutschsprachige Bevölkerung: Broschüren, Infoveranstaltungen, Webtexte, touristische Stadtführungen und vieles mehr. Sprachprofis können die Stadt beraten, für welche Zwecke eine KI-Übersetzung ausreicht und wo sich eine menschliche Übersetzung lohnt. Wenn KI eingesetzt wird, benötigen sie ein Tool, eine Schulung dazu, wie man die Qualität sicherstellt, und ausserdem spezifische Workflows. Unsere Absolventinnen und Absolventen sind in der Lage, für ein Unternehmen massgeschneiderte Lösungen zusammenzustellen oder unternehmensseitig solche Lösungen einzuführen.  

Sind denn solche Personen auf dem Arbeitsmarkt gefragt? 

Solche Fachleute wird es in jedem internationalen oder mehrsprachigen Unternehmen brauchen, es gab aber bisher keine Ausbildung. Man konnte sich höchstens mit Weiterbildungen im Bereich Technologie dafür qualifizieren. Ich beobachte den Jobmarkt seit vier Jahren intensiv. Die Jobbezeichnungen haben sich verändert. Es werden weniger Übersetzerinnen und Übersetzer gesucht, dafür aber zum Beispiel «AI Language Specialists» oder «Language Solution Integrators», also Personen, die an der Schnittstelle zwischen Sprache und Technologie arbeiten.  

Welche Kompetenzen werden in Zukunft gefragt sein? 

Allgemein werden die Kompetenzliste und die Aufgabenliste in der Language Industry immer länger: Gute Sprachkenntnisse in zwei oder drei Sprachen, Sprachtechnologiekenntnisse und neu auch der Umgang mit Menschen sind wichtig, also nicht nur Teamfähigkeit, sondern auch, dass man Kunden betreuen kann. Ausserdem muss man den menschlichen Mehrwert im KI-gestützten System gut verkaufen können. 

Wie sieht dieser menschliche Mehrwert aus? 

KI-Tools übersetzen nicht schlecht, Sprachprofis bringen aber Sprachgebrauchs- und Kulturkenntnisse mit, um beurteilen zu können, ob der Output der Maschine gut ist. In der Werbung zum Beispiel muss man genau wissen, wie man die Zielgruppe anspricht. Sprachliche Nuancen können den Erfolg einer Kampagne massiv beeinflussen. Die Beurteilung und Optimierung der KI-gestützten Arbeit basiert weiterhin auf hervorragenden Sprachkenntnissen. 

«Der neue Name steht dafür, was wir wirklich tun: mehrsprachige Kommunikation ermöglichen.» 

Alice Delorme Benites, Leiterin Institut für Mehrsprachige Kommunikation

Welche Anpassungen haben Sie an den Curricula des Bachelorstudiengangs «Mehrsprachige Kommunikation» und des Masterstudiengangs «Language and Communication» vorgenommen? 

Wir vermitteln nach wie vor einen grossen Rucksack an Kompetenzen: Sprache, Kultur, Textkompetenz und das Wissen, was gute Kommunikation zwischen zwei Kulturen ausmacht. Auf beiden Stufen fokussieren wir neu mehr auf Schnittstellen mit Sprachtechnologien, Beratungstätigkeit, strategischem und unternehmerischem Denken. Im Bachelorstudiengang gibt es drei Richtungen: «Informationsdesign», also technische Kommunikation, bleibt als Berufsfeld sehr gefragt. Daneben gibt es neu die Richtung «Multimodale Kommunikation», eine gute Mischung aus Sprache, Sprachtechnologie und Entrepreneurship, die einen zum Beispiel für Consulting und Projektmanagement fit macht. Neu ist auch die Richtung «Language Engineering», die sehr stark auf Sprachtechnologien ausgerichtet ist. Absolvent:innen wissen, was eine Technologielösung können muss, wie man sie in einem Unternehmen einführt, wartet und weiterentwickelt. Es ist nahe an Data Science. Im Masterstudiengang sind Leadership und Change Management zentral. Die Absolvent:innen sollen Teams leiten und strategisch weiterentwickeln können, unabhängig davon, was der nächste Technologiesprung bringt. Wir haben aber bewusst die Übersetzungskurse beibehalten, denn beim Übersetzen lernt man nicht nur übersetzen, sondern auch Kultur, denken, schreiben und kreativ sein. Übersetzen ist die praktische Anwendung aller Kompetenzen, die für gelungene Kommunikation benötigt werden. 

Ist diese Neuorientierung ein allgemeiner Trend an Hochschulen? 

Wir sind weltweit praktisch die Einzigen, die diesen Weg eingeschlagen haben. Lange wurden wir auf Fachkonferenzen schräg angeschaut, man fragte uns: «Wieso schafft ihr euch selbst ab?» Aber heute fühlen wir uns bestätigt. In anderen Ländern mussten Übersetzungsinstitute schliessen, weil es keine Studierenden mehr gab. Andere kommen jetzt auf uns zu und sind an unserem Ansatz interessiert. Wir befassen uns auch in der Forschung stark mit den Möglichkeiten und Grenzen von KI-Tools in verschiedenen Kontexten, etwa im Gesundheits- oder Asylwesen. Dabei geht es nicht darum, ob der Mensch oder die Maschine besser ist, sondern darum, ein klares Bild davon zu bekommen, was die Tools leisten und wo menschliche Expertise gefragt ist.  

Studieren am Institut für Mehrsprachige Kommunikation

Weitere Infos zu den Studiengängen «Mehrsprachige Kommunikation» und «Language and Communication».

0 Kommentare

Sei der Erste der kommentiert!

Kommentar ist erforderlich!
Name ist erforderlich!
Gültige E-Mail ist erforderlich!
This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.