Ki und Leistungsnachweise

KI und das grosse Umdenken

25.11.2025
2/2025

Was bedeutet Studieren eigentlich noch, wenn KI die Antworten auf alles liefert? Fest steht: Lernziele und Prüfungsformen werden sich ändern müssen.

Die neue Technologie stellt die Institutionen auf den Prüfstand. Was sollen die Studierenden eigentlich noch lernen, wenn sich alles in Sekundenschnelle von einer Maschine beantworten lässt? Wie können Dozierende kontrollieren, welches Wissen sich die Studierenden angeeignet haben? Und: Braucht es diese Kontrolle und Bewertung überhaupt noch? Es sind drängende Fragen, die aber nicht einfach zu beantworten sind.

Bereits wenige Monate nachdem ChatGPT online gegangen war, publizierte das Ressort Bildung der ZHAW eine Richtlinie, die die Nutzung von KI-Tools bei Leistungsnachweisen regelt. Das Ressort sieht den Einsatz von künstlicher Intelligenz als integralen Bestandteil des digitalen Wandels und strebt deshalb eine verantwortungsvolle Nutzung von KI in der gesamten Institution an. Bei Prüfungen gibt es die Ansätze, KI zu verbieten, um Grundkompetenzen zu testen, oder gezielt zuzulassen, was jedoch eine Anpassung der Aufgabenstellung erfordert. Bei schriftlichen Semester- oder Abschlussarbeiten gilt grundsätzlich eine Kennzeichnungspflicht für die Verwendung von KI. Dieser klassische Leistungsnachweis hat jedoch an Aussagekraft verloren, denn es gibt keine zuverlässigen Möglichkeiten, den Einsatz von KI zu kontrollieren. Lisa Messenzehl-Kölbl, Leiterin der Fachgruppe Lehrtechnologien und Didaktik im Ressort Bildung, erklärt: «KI zwingt Dozierende dazu, stärker auf das Lernen als Prozess zu fokussieren. Die neue Technologie bringt uns zur Kernfrage der Bedeutung von Leistungsnachweisen zurück. Diese Diskussion müssen wir jedoch in der gesamten Gesellschaft führen und sie fängt bereits bei den Benotungen in der Primarschule an. Dennoch müssen die Studierenden Grundkompetenzen beherrschen, um auch ohne KI Zusammenhänge zu erkennen. Dafür sind Prüfungen in unserem heutigen Bildungssystem das etablierte Instrument.»

«KI zwingt Dozierende dazu, stärker auf das Lernen als Prozess zu fokussieren und bringt uns zur Kernfrage der Bedeutung von Leistungsnachweisen zurück.

Lisa Messenzehl-Kölbl, Leiterin Fachgruppe Lehrtechnologien und Didaktik

Um den Einsatz von KI während digitaler Prüfungen zu kontrollieren, setzt die ZHAW auf die digitale Prüfungsaufsicht SMOWL, eine Software, die während der Prüfung Screenshots der Bildschirme der Studierenden erstellt und bestimmte Computeraktivitäten dokumentiert. Bestehen Zweifel an der Eigenleistung, kann anhand dieser Aufzeichnungen nachvollzogen werden, welche Websites oder Anwendungen während der Prüfung verwendet wurden. Fabian Jasper-Möller, Fachexperte für digitale Prüfungen, erläutert: «Das Setting schafft Fairness und Objektivität bei der Bewertung. SMOWL ist zudem eine grosse Chance für kompetenzorientierte Prüfungen, da beispielsweise auch realitätsnahe Programmier- oder Open-Book-Prüfungen durchgeführt werden können, bei denen die Verwendung spezifischer Tools, wie Programmierumgebungen als Teil der Prüfung beabsichtigt sind.»

«Lernen muss etwas anstrengend bleiben. Wenn wir Muskeln aufbauen wollen, schicken wir auch nicht unsere Freunde ins Gym.»

Fabian Jasper-Möller, Fachexperte für digitale Prüfungen

Längerfristig stellt sich jedoch in jedem Fachbereich die Frage, wie die Leistungsnachweise neu konzipiert werden können, um das Know-how der Studierenden zu testen, ohne KI zu verbieten. Dozierende aus verschiedenen Departementen und eine Studentin nehmen dazu Stellung.  

Matthias Meyer – der Zukunftsoptimist

«Meine Studierenden sollen lernen, wie sie in fünf Minuten ihren Mitstudierenden ein frei gewähltes und selbst erarbeitetes Thema aus der Schnittmenge der Gesundheitsökonomie und Gesundheitsförderung und Prävention vermitteln können. Der Leistungsnachweis in meinem Modul sieht wie folgt aus: Die Studierenden erstellen eine wissenschaftsbasierte Dokumentation des gewählten Themas und nutzen diese, um mit KI verschiedene didaktische Produkte, etwa ein Poster, eine Präsentation, einen Podcast und ein Lernvideo, zu produzieren. Anschliessend müssen die Studierenden diese beurteilen.

Studierende brauchen klare Richtlinien im Umgang mit KI. Die grösste Frage für mich ist jedoch: Was müssen wir heute noch lernen? In der Gesundheitsförderung und Prävention ist es absolut zentral, gewisse Fakten zu kennen, beispielsweise welche Substanzen wie wirken. Doch die Art und Weise, wie wir uns dieses Wissen vermitteln, wird sich verändern.

Neue Lehr- und Lernformen

Künftig werden sich die Studierenden vielleicht mit Chat-Tools Wissen aneignen, während die Dozierenden eher eine Coaching-Funktion übernehmen, die Zusammenhänge erklären und bei Rückfragen oder für Diskussionen zur Verfügung stehen. So wie früher das Zehnfingersystem geübt wurde, müssen die Studierenden heute üben, wie sie richtige Prompts formulieren, um KI so effizient wie möglich zu nutzen. Ebenso müssen wir ein Verständnis dafür schaffen, welche KI-Systeme es gibt, dass sie mit falschen oder ideologisch geprägten Inhalten trainiert sein können und teilweise halluzinieren. KI wird nicht mehr verschwinden – lernen wir, damit umzugehen.»

Rainer Gabriel – der Visionär

«Seit fünf Jahren schreiben unsere Studierenden die Prüfungen Open Book und gemäss dem Modus ‘Open Internet’. Sie dürfen also alle Hilfsmittel verwenden, die sie möchten, inklusive LLMs wie ChatGPT. In den letzten zwei Jahren haben wir gemerkt, dass das allgemeine Niveau der Noten enorm gestiegen ist und zahlreiche Studierende die Prüfung perfekt lösen. Es ist beeindruckend, wie gut die Ergebnisse der KI teilweise sind.

Das Kontrollieren von Wissen wird so zur Farce. Vielleicht brauchen wir einen generellen Paradigmenwechsel: Weg vom Outcome und dessen Bewertung in Noten hin zum Prozess. Viele Studierende wollen weiterhin ein Arbeitsblatt richtig lösen, weil sie das in der Schule so gelernt haben. Wie sie dorthin kommen, ist ihnen oft egal. Vielleicht sollte die Aufgabe künftig sein, sich in einer Gruppe mit einem Thema zu beschäftigen, es zu diskutieren und Varianten zu schaffen, ohne direkt an die richtige Antwort im Kästchen zu denken. Entsprechend braucht es vielleicht auch keine Benotung mehr, sondern eine Bewertung, ob sich die Studierenden an den Diskussionen beteiligt und den Lernprozess ernst genommen haben.

Individuelle Lernunterstützung

Die Rolle der Dozierenden wird sich stark verändern. Wir sind vermutlich längerfristig nicht mehr in der Rolle der Expert:innen, die Wissen vermitteln, sondern Mentor:innen, die individuell unterstützen und auch die Grenzen und Verzerrungen der LLMs aufzeigen, Verknüpfungen machen und die Studierenden auf ihrer Reise an die Hand nehmen. Generell brauchen wir an allen Hochschulen eine AI Literacy – wir müssen wissen, welche Rolle sie spielen soll und wie wir sie in den Unterricht integrieren. Denn einen Schritt zurück gibt es nicht.»

Shaline Freuler – die Pragmatische

«Ich habe das sprachliche Gymnasium gemacht und dort noch auf die klassische Art fliessend Italienisch gelernt. Darauf bin ich stolz und ich liebe es, die Sprachen, die ich beherrsche, in persönlichen Gesprächen anwenden zu können. Sprache ist der Schlüssel zu Gesellschaften und Kulturen; KI kann da nicht mithalten, weil die emotionale Komponente fehlt.

Beim Schreiben hingegen fühle ich mich mittlerweile mit KI sicherer. Dass wir alle mit KI die Rechtschreibung überprüfen, ist nichts Neues. Manchmal kann sie mir aber auch Vorschläge machen, wie meine Texte noch besser werden. Das bedeutet nicht, dass ich alle Vorschläge eins zu eins übernehme, aber als Begleiterin im Schreibprozess ist sie hilfreich. KI ist auch meine Sparring-Partnerin und Inspirationsquelle – beispielsweise wenn es darum geht, interessante Themen oder Blickwinkel für journalistische Artikel zu finden und Fragenkataloge für Interviews zusammenzustellen.

Praxis bietet Mehrwert

Es ist gut möglich, dass sich der Unterricht künftig mittels KI verändern wird. Am meisten schätze ich an der ZHAW die Praxismodule. Hier lerne ich am meisten. Bei theoretischen Vorlesungen wie Wirtschaft könnte ich mir vorstellen, die Inhalte zu Hause zu lernen und an die Hochschule zu kommen, um konkrete Fallbeispiele mit den Dozierenden zu besprechen oder Übungen zu lösen.

Angst vor KI habe ich keine. Im Journalismus ist bereits heute das reine Schreiben nicht mehr zentral. Es braucht unterschiedliche Kompetenzen und ein Grundwissen über verlässliche Quellen, um die KI-Ergebnisse einordnen zu können. Für die ZHAW erachte ich es als wichtig, dass sie als Hochschule mit der Zeit mitgeht und KI gezielt einsetzt, wo es Sinn macht.»

Jeannette Philipp – die Menschliche

«Studierende müssen die Sprache nach wie vor beherrschen, um zu beurteilen, ob die KI-Ausgaben korrekt und in der Kommunikationssituation passend sind. In meinem Modul müssen die Studierenden eine Überzeugungsrede halten. Mit der Zeit haben wir gemerkt, dass die meisten ihre Rede mit KI vorbereiten und dann auswendig lernen.

Reagieren und überzeugen können

Neu bekommen die Studierenden jetzt am Prüfungstag zwei Themen zur Auswahl und haben dann eine Stunde Zeit, ohne KI ihre Rede vorzubereiten. Wir möchten sehen, ob sie wirklich selbst argumentieren, strukturieren und formulieren können. Das sind genau die Fähigkeiten, die sie später im Job in persönlichen Gesprächen brauchen. Die Ansprüche an eine typische Verhandlungssituation oder ein wichtiges Kundengespräch eignen sich da gut: Kommt plötzlich ein unerwarteter Einwand, muss man sofort reagieren können, die eigene Position anpassen, spontan überzeugen. Diese Schnelligkeit im Denken und Argumentieren – das ist es, was wir trainieren. Das kann keine KI übernehmen. Die Studierenden merken das selbst. Sie sagen mir oft: 'Das ist irgendwie nicht meins' oder ‘Das würde ich so nie sagen’. Die Studierenden wissen genau: Wer nur nachplappert, was die Maschine ausgespuckt hat, fliegt beim ersten Nachbohren im Gespräch auf.

Was ich mir für die Zukunft wünsche? Dass wir KI-Tools noch besser ins Studium einbauen. Könnten Studierende über die ZHAW günstig Pro-KI-Lizenzen kaufen, könnten wir sie noch konsequenter in den Unterricht integrieren. Die Studierenden müssen beides können: mit KI umgehen und trotzdem diese menschlichen Kompetenzen behalten, die man nicht outsourcen kann.»

Morgan Kavanagh und Davide Garassino – die Innovatoren

«Der Bereich Übersetzen wurde bereits 2016 mit neuartigen Tools konfrontiert, die den klassischen Dolmetscher- und Übersetzungs-Beruf stark veränderten. Dieser Vorsprung ist heute ein Vorteil für die Entwicklung des Studiengangs. Übersetzen, das heisst, eine Sprache in eine andere zu übersetzen, sehen wir schon lange nicht mehr als klassische Rolle. Maschinen sind da schneller. Der Beruf ist zu einer strategischen Funktion geworden, die Übersetzungen in die Wege leitet, kulturelle Details und Kontext überprüft. Unsere Studierenden kommen bereits mit einer hohen Grundkompetenz in verschiedenen Sprachen in unseren Studiengang. Grammatik und Textanalyse stärken wir vor allem im ersten Semester – ganz ohne KI. Denn der Spracherwerb ist mehr als nur ein schriftlicher Prozess. Es ist das Verständnis von Kulturen, Aussagen, die zwischen den Zeilen getätigt werden, und Nuancen. Gerade hier ist es wichtig, dass wir Dozierenden als Begleiter auftreten.

Studierende einbinden

Es ist bereits seit 20 Jahren bekannt, dass das Konzept Vorlesung für die Wissensvermittlung ineffizient ist. Die künstliche Intelligenz reibt es uns nun unter die Nase, dass wir viel zu lange am Faktenvermitteln festgehalten haben. Es war schon vor KI klar, dass 20 Prozent der Studierenden schummeln und dabei nichts lernen. In unserer Lehre setzen wir auf das Konzept ‘Flipped Classroom’. Wir haben uns längst wegbewegt vom frontalen Unterricht und Auswendiglernen hin zur Einbindung der Studierenden. Sie sollen definieren, was bei einem Thema wichtig ist und wie man sich dieses Wissen erarbeitet. Dieses soziale Setting, dieses Arbeiten in Gruppen, ist uns sehr wichtig, denn diese Kompetenz brauchen die Studierenden später auch in der Arbeitswelt. Zudem haben Sprachtechnologien in unseren Studiengängen einen hohen Stellenwert, Stichwort Language Engineering. Studierende sollen sich Programmierwissen aneignen, sodass sie künftig KI mit Unterstützung ihres sprachlichen Wissens gut steuern und den Output differenzieren können.

Man darf akzeptieren, dass gewisse Dinge mit KI schneller und einfacher gehen. Eine schöne Erkenntnis unserer Studierenden ist, dass sie weiterhin motiviert sind, die Sprachen gut zu beherrschen, da sie im sozialen Kontext, also in persönlichen Gesprächen, nicht einfach auf KI ausweichen können. Dies bestätigt bei uns auch weiterhin die Relevanz von mündlichen Prüfungen.»

An KI geht kein Weg mehr vorbei

Und welche Vision hat das Ressort Bildung für den Hochschulbetrieb? «Ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren den Umgang mit KI gelernt haben, keine zeitaufwendigen Routinearbeiten mehr machen müssen und Prüfungen gar nicht mehr so wichtig sind, sondern die Studierenden mit Chatbots lernen und im Prozess von Dozierenden eng begleitet werden», sagt Lisa Messenzehl-Kölbl. Fabian Jasper-Möller ergänzt, dass das Lernen weiterhin ein bisschen anstrengend sein muss, damit es wirksam ist: «Wenn wir Muskeln aufbauen möchten, schicken wir ja auch nicht unsere Freunde ins Gym.»

Und was antwortet ChatGPT auf die Visions-Frage? «Die Lehre wird hybrider und flexibler – mehr Online-Elemente, aber auch stärkerer Fokus auf Interaktion, Seminararbeit, Gruppenarbeit, auch in Präsenz.» Der Algorithmus spiegelt in diesem kleinen Versuch der Autorin die befragten Personen dieses Beitrags gekonnt wider. Ob sich die Vorhersage bestätigt, werden wir in spätestens zehn Jahren herausfinden.

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