Neuer Studiengang: Kreislaufwirtschaft in all ihren Facetten
Um klimaneutral zu werden, braucht es völlig neue, ganzheitliche Businessmodelle. Noch fehlt es den Unternehmen aber an entsprechenden Fachkräften. Genau hier setzt der neue ZHAW-Masterstudiengang Circular Economy Management an.
Kreisläufe sind im Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen der ZHAW ein zentrales Thema. Wasser aus dem Meer verdunstet, kondensiert zu Wolken, fällt als Regen auf die Erde, sammelt sich zu Seen und Flüssen und strömt zurück ins Meer: der Wasserkreislauf. Blätter fallen zu Boden, zersetzen sich, geben Nährstoffe frei und werden von den Wurzeln der Bäume und Sträucher wieder aufgenommen: der Nährstoffkreislauf. «Kreislaufwirtschaft hat für uns bisher vor allem bedeutet, Kreisläufe in Prozessen aus naturwissenschaftlicher Sicht zu optimieren», sagt Institutsleiter Rolf Krebs. «Die Wirtschaftlichkeit war da eher nachgelagert.»
«Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft braucht Lösungen, die ökologisch sinnvoll sind – aber auch technisch machbar und wirtschaftlich attraktiv.»
So wie am Departement Life Sciences und Facility Management in Wädenswil klingt es auch in anderen Abteilungen der ZHAW: Das Thema Kreislaufwirtschaft ist in den letzten Jahren zwar immer wichtiger geworden, wurde aber bisher vor allem durch die eigene Departementsbrille betrachtet. «Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft braucht aber nicht nur Lösungen, die ökologisch sinnvoll sind – sondern auch technisch machbar und wirtschaftlich attraktiv», betont der Dozent für angewandte Bodenökologie. Genau aus diesem Grund wird in diesem Herbstsemester der neue interdisziplinäre Masterstudiengang Circular Economy Management eingeführt. Geleitet wird er von Krebs gemeinsam mit Christian Zipper von der ZHAW School of Engineering und Christian Vögtlin von der ZHAW School of Management and Law.
Neue Gesetze treiben die Wende zur Kreislaufwirtschaft an
«Ressourcen sparen und Energie effizienter nutzen war schon Ende der achtziger Jahre ein Thema», sagt Christian Zipper, der Stoff- und Energieflussanalysen, Ökobilanzierung und Risikomanagement unterrichtet. Nur habe das, was wir heute Kreislaufwirtschaft nennen, damals eigentlich nur ressourcen- und energieintensive Branchen wie die Stahl- und Zementindustrie interessiert. «Im Vordergrund stand nicht die Umwelt, sondern der Wunsch, Kosten für Produktion und Entsorgung zu senken.» Seit einigen Jahren nimmt vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Debatte um die Folgen des Klimawandels und des Ressourcenverbrauchs laut dem promovierten ETH-Umweltnaturwissenschaftler in Unternehmen ganz grundsätzlich das Bewusstsein zu, dass man Rohstoffe zurückgewinnen und wiederverwerten kann und muss.
«Die EU ist weiter als die Schweiz, wenn es darum geht, Produkte langlebiger, reparierbar und rezyklierbar zu machen.»
Es sind vor allem neue Gesetze und Regulierungen, die diese Entwicklung vorantreiben. «Gerade im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union ist die Kreislaufwirtschaft ein grosses Thema», sagt Christian Vögtlin, Co-Leiter des Center for Corporate Responsibility an der School of Management and Law. Der Green Deal bündelt politische Initiativen mit dem Ziel, alle Mitgliedstaaten bis 2050 klimaneutral zu machen. Die EU ist aus seiner Sicht weiter als die Schweiz, wenn es darum gehe, das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abzukoppeln und Produkte langlebiger, reparierbar und rezyklierbar zu machen, ergänzt Zipper.
Faire Bedingungen entlang der ganzen Lieferkette
Etwa das sogenannte «Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz»: Grosse Unternehmen in Deutschland sind seit Anfang 2023 verpflichtet, nicht nur in ihren Werken faire, soziale und umweltfreundliche Bedingungen zu garantieren, sondern müssen diese entlang der gesamten Lieferkette sicherstellen. Wer also beispielsweise Bürostühle herstelle, müsse gewährleisten, dass auch der dafür verwendete Stahl oder die Baumwolle für die Stoffbezüge unter menschenwürdigen und nachhaltigen Bedingungen produziert wurden.
Das Gesetz hat direkte Auswirkungen auf ein Exportland wie die Schweiz: Wer als Zulieferer für deutsche Grossunternehmen wie zum Beispiel Siemens produziert, werde diese Vorgaben künftig ebenfalls umsetzen müssen, gibt Zipper zu bedenken. «Ob es sich um einen Betrieb mit mehreren Tausend oder ein KMU mit zehn Angestellten handelt, spielt dabei keine Rolle.»
«Unternehmen, die für ihre wenig nachhaltigen Praktiken bekannt sind, haben heute deutlich mehr Probleme bei der Personalsuche als früher.»
Den Wandel treiben aber nicht nur Gesetzgeber und grosse Unternehmen an, die exponierter und entsprechend grösserem Druck ausgesetzt sind und Reputationsrisiken fürchten. «Heute verlangen auch Konsumentinnen und Konsumenten immer öfter nach Produkten, die länger halten und sich reparieren lassen», sagt Vögtlin. Stellensuchende wollen nicht einfach irgendeine Arbeit, sondern eine sinnvolle Tätigkeit, die sie mit gutem Gewissen ausüben können. «Unternehmen, die für ihre wenig nachhaltigen Praktiken bekannt sind, das Dirty Business, wenn man so will, haben heute deutlich mehr Probleme bei der Personalsuche als früher.» Nicht zuletzt werde Nachhaltigkeit auch für Investorinnen und Investoren immer mehr zum entscheidenden Kriterium.
Mehr Fachleute mit ganzheitlichem Wissen über Kreislaufwirtschaft nötig
So sehr die Kreislaufwirtschaft als Idee immer mehr in Unternehmen präsent ist: «An Fachkräften, die den Übergang begleiten können, fehlt es», weiss Vögtlin. Natürlich gebe es heute in vielen Betrieben bereits Nachhaltigkeitsbeauftragte. «Es braucht jedoch noch mehr Menschen, die ein transdisziplinäres und ganzheitliches Wissen über die Kreislaufwirtschaft mitbringen.» Neben technischen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten und Kenntnissen sind mehr denn je auch sogenannte Soft Skills gefragt, wie der habilitierte Betriebswirtschaftler ergänzt. «Die Wende zur Kreislaufwirtschaft setzt voraus, dass Gewohntes kritisch betrachtet und neu gedacht wird.»
Genau da will der neue Masterstudiengang der ZHAW in die Bresche springen. «Wir wollen Fachleute ausbilden, die über ein breites Verständnis davon verfügen, was Kreislaufwirtschaft alles bedeutet», sagt Zipper. Das heisst: Studierende setzen sich etwa vertieft mit den natürlichen Kreisläufen sowie der Endlichkeit von Ressourcen auseinander. Phosphor, zum Beispiel, sagt Krebs, werde im grossen Stil abgebaut, sei es doch zentral für die Landwirtschaft als Düngemittel. «Wenn der Rohstoff erst einmal aufgebraucht ist, fehlt die Alternative.» Beim Phosphorrecycling nehme die Schweiz übrigens weltweit eine Vorreiterrolle ein: Ab 2026 muss Phosphor hierzulande aus Abwasser, Klärschlamm oder Klärschlammasche gewonnen und als Dünger stofflich verwertet werden.
Zur Ausbildung gehört auch ein Überblick über verschiedene Instrumente zur Ökobilanzierung, sie messen die Nachhaltigkeit eines Produkts auch anhand seiner Auswirkungen auf die Umwelt. So sind zum Beispiel Elektroautos nur dann klimafreundlicher als herkömmliche Fahrzeuge, wenn die Energie im Tank nicht aus Kohle, sondern aus Wasserkraft oder anderen erneuerbaren Quellen kommt.
Velohelm aus Pilzmaterial
Gleichzeitig erfahren Studierende viel über Materialeigenschaften und Produktionsprozesse. Was das bedeutet, erklärt Zipper an einem aktuellen Projekt der ZHAW, einem Velohelm aus Pilzmaterial: Angehende Spezialistinnen und Spezialisten in Sachen Kreislaufwirtschaft lernten entsprechend nicht nur die Charakteristiken herkömmlicher Materialien und deren Herstellungsart kennen, sondern auch jene nachhaltigerer Alternativen: Haben Pilze dieselben Dämpfungseigenschaften wie Styropor, bessere vielleicht sogar? Wie produziert man einen biologisch abbaubaren Velohelm? Welche natürlichen Beschichtungstechnologien gibt es, damit er dem Regen standhält?
Nicht zuletzt: Wie bringt man, um beim Beispiel zu bleiben, einen solchen Helm aus Naturstoffen an die Velofahrerin und den Velofahrer? Was kostet seine Herstellung und welche Transformationsprozesse muss ein Betrieb dazu durchlaufen? Was für Normen muss er erfüllen, welche Tests bestehen? Wie verdient man mit einem Pilzvelohelm letztlich auch Geld? «Die Nachhaltigkeit eines Produkts allein reicht nicht aus, damit es auf dem Markt bestehen kann», gibt Vögtlin zu bedenken. «Es muss auch dieselbe Funktionalität und Qualität haben.»
Arbeit dürfte es laut den Initiatoren des neuen Studiengangs für die künftigen Absolventinnen und Absolventen mehr als genug geben: Denn wo auch immer physische Produkte hergestellt werden, seien es Hörgeräte oder Smartphones, Velohelme oder Notizblöcke, wird sich in nächster Zeit einiges ändern müssen.
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