Damit Ideen für eine zirkuläre Wirtschaft abheben
Die ZHAW forscht zu kreislauffähigen Produkten und Geschäftsmodellen und unterstützt Unternehmen dabei, ihre Ideen umzusetzen. Das neue Institute of Product Development and Production Technologies legt hier einen besonderen Fokus darauf. Ein Interview mit Institutsleiter Adrian Burri.
Herr Burri, Kreislaufwirtschaft gilt als Zauberwort für nachhaltiges Wirtschaften. Was bedeutet das konkret?
Adrian Burri: Kreislaufwirtschaft ist ein Lösungsansatz, mit dem wir die problematischen Folgen der bisherigen linearen Wirtschaft wie Klimakrise, Ressourcenverknappung oder Umweltverschmutzung in den Griff bekommen wollen. Anstatt weiterhin Natur und Umwelt auszubeuten, Unmengen CO2 auszustossen und Abfallberge zu generieren, sollen Materialien, etwa Textilien, Kunststoffe oder Metalle, immer wieder verwendet werden können.
Nicht mit allen Materialien funktioniert das.
Das ist die grosse Herausforderung bei der Produktentwicklung. Bei den meisten Materialien ist nur noch ein Downcycling möglich, zum Beispiel kann aus einem Kleidungsstück höchstens noch ein Teppich werden, aber kein neues Kleidungsstück. An unserem Institut forschen wir an Lösungen, wie Produkte nur mit kreislauffähigen Materialien konstruiert werden, und entwickeln Produktionsprozesse für neue Materialien.
Welche Materialien eignen sich besonders gut?
Grundsätzlich eignen sich Metalle wie Stahl und Aluminium gut, wobei die Wiederverwendung auch energieintensiv ist und im Detail nicht alle Legierungen oder Lackierungen wieder verwendbar sind. Bei den Kunststoffen gibt es noch zu wenige, die zu 100 Prozent kreislauffähig sind.
Wir sammeln doch fleissig PET-Flaschen.
Dass man aus PET-Flaschen wieder eine PET-Flasche aus 100 Prozent recycletem PET herstellen kann, geht erst seit wenigen Jahren. Dazu musste ein neues Verfahren, das chemische Recyclen, entwickelt werden.
Welche Hindernisse müssen noch überwunden werden, bis unsere Wirtschaft kreislauffähig ist?
Die grossen Herausforderungen sind die Logistik und die unterschiedliche Lebensdauer der Produkte. Ein Einwegprodukt wie ein Joghurtbecher lebt nur so lange, bis das Joghurt gegessen wurde. Ein Gebäude, bei dem vielleicht Kupfer verbaut wurde, hält bis zu 50 oder 100 Jahre. Ort und Zeitpunkt, an denen das gebrauchte Material wieder für neue Produkte verfügbar ist, sind also sehr unterschiedlich.
«Myzelium, also ein Pilzgeflecht, hat ein grosses Potenzial als natürliches Material für kreislauffähige Produkte.»
Ihr Institut hat sich auf den Bereich Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und additive Fertigung fokussiert? An was forschen Sie konkret?
Wir entwickeln zum Beispiel Produkte aus Myzelium – also aus fadenförmigen Pilzgeflechten. Dieses natürliche Material hat ein grosses Potenzial für Verpackungen oder Dämmmatten etwa. Die grosse Herausforderung ist noch, daraus funktionelle Produkte zu machen – etwa einen Velohelm. Dieser muss eine spezielle Form oder bestimmte Eigenschaften haben, muss gut schützen und bequem sitzen. Die Frage ist, wie man erreicht, dass er mindestens den gleichen Schutz und den gleichen Komfort bietet wie ein herkömmlicher Velohelm. Wir forschen zudem an Verschalungselementen aus Naturstoffen statt aus Kunststoffen für Fahrzeuge, an nachhaltigen Kaffeekapseln oder Dämmmaterialien für Gebäude oder an einem Bohrroboter für Erdwärmesondenbohrungen. Nicht zuletzt arbeiten wir an neuen Mobilitätskonzepten und neuartigen Fahrzeugen, etwa an Lastenfahrrädern oder Veloanhängern für Logistikfirmen, mit denen sie in Städten effizient Pakete ausliefern können.
Sie leiten auch den Innovation Booster Applied Circular Sustainability im Auftrag der Förderagentur des Bundes Innosuisse. Was wurde da bisher erreicht?
Seit 2021 fördern und coachen wir zusammen mit anderen Experten radikale Ideen von Firmen und Startups für Kreislauflösungen. Diese Firmen haben eine grobe Idee für ein kreislauffähiges Businessmodell oder ein Produkt, wissen aber nicht, wie sie es realisieren sollen, welche Materialien sich für ihr neues Produkt eignen würden, wie die Logistiklösung aussehen oder wie man damit Geld verdienen könnte. Da kommt dann unsere Expertise ins Spiel. Wir organisieren Design Thinking Workshops mit diesen Unternehmen und ziehen bei Bedarf Kolleginnen und Kollegen anderer Hochschulen und Expertenfirmen hinzu. Wir bieten quasi ein Sprungbrett für ihre Ideen.
«Diese Firmen haben eine grobe Idee für ein kreislauffähiges Businessmodell oder ein Produkt, haben jedoch offene Fragen, wie sie es realisieren sollen.»
Um welche findigen Ideen ging es dabei?
Es ging zum Beispiel um neue Konstruktionensweisen für die Herstellung eines Kellers aus Holz, eine Uhr oder Kleider aus neuen Materialien, die kreislauffähig sein sollen, oder robuste Kinderwagen, die in einem Sharing- oder Pay-per-Use-Modell standhalten müssen. Bisher haben etwa 30 Firmen und Startups an dem Programm teilgenommen.
3D-Druck ist im Trend. Wie kreislauffähig sind solche Produkte?
Per se sind Produkte aus einem 3D-Drucker nicht so kreislauffähig. Und dennoch sind additive Verfahren wichtig für eine nachhaltige Wirtschaft. Denn 3D-Druck schont Ressourcen, weil man etwa weniger Ausgangsmaterial verbraucht. In der Flugzeug- oder Fahrzeugindustrie erreicht man damit leichtere Strukturen, sodass die Endprodukte für den Antrieb wiederum weniger Energie verbrauchen. Es fallen auch geringere Logistikkosten an, weil Bauteile direkt am Einsatzort gedruckt werden können.
3D-Druck ist also nachhaltig, aber nicht zwingend kreislauffähig?
Wir arbeiten aber daran. Demnächst wollen wir bei einem Open Innovation Workshop mit 20 bis 30 Personen verschiedener Firmen untersuchen, wie die additive Fertigung einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten könnte. Ein Thema ist dabei die Ersatzteilbewirtschaftung. Wenn ich keine Vorräte anlegen muss, sondern Ersatzteile mit dem 3D-Drucker nur dann erstelle, wenn ich sie brauche, dann ist das nachhaltiger. Es soll bei dem Workshop auch um die Verwendung von Biomaterialien für den 3D-Druck gehen, die am Ende kompostierbar sind.
Wie gross ist das Interesse der Wirtschaft insgesamt an Kreislauflösungen?
EEs gibt erstaunlich viele Startups in der Schweiz, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Das ist erfreulich. Bei den etablierten Firmen spürt man noch etwas Zurückhaltung.
Bestehende Unternehmen auf Kreislaufwirtschaft auszurichten, ist auch komplexer.
Das ist richtig. Aber auch hier gibt es erfreuliche Beispiele. Wir haben einen Open Innovation Workshop mit der Medizintechnik-Branche durchgeführt. Firmen wie Johnson & Johnson, Novartis, Ypsomed oder Roche waren dabei. Es ging um die Frage, wie ihre Produkte kreislauffähig werden können. Derzeit wird in einem Spital alles Verbrauchsmaterial – vom OP-Besteck bis zum Infusionsbeutel – nach einer Anwendung entsorgt, entsprechend den Vorschriften und Hygienevorgaben.
«Dabei wäre Kreislaufwirtschaft eigentlich nicht teurer als die bisherige lineare Wirtschaft.»
Was kam bei dem Workshop heraus?
Aus dem Workshop ist ein Konsortium entstanden, das immer wieder neue Forschungsprojekte in diesem Bereich initiiert. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie eigentliche Konkurrenten gemeinsam nach Lösungen suchen, wie aus diesem Wegwerfsystem ein Kreislaufsystem werden könnte. Optimierung allein reicht nicht. Man muss Produkte und Businessmodelle ganz neu denken.
Wann werden weite Teile der Wirtschaft kreislauffähig sein?
Bis 2030 werden wir sicher viele Firmen sehen, die Kreislaufwirtschaft leben, mit komplett anderen Produkten aus neuen Materialien, mit anderen Logistik- und Recycling-Prozessen. Treiber sind entsprechende Gesetze. Die EU ist hier Vorreiter. Ohne Gesetze ist der Druck, sich rasch zu verändern, zu gering. Dabei wäre Kreislaufwirtschaft eigentlich nicht teurer als die bisherige lineare Wirtschaft. Im Gegenteil, am Ende kommt es sogar billiger, wenn man nicht immer neue Ressourcen kaufen muss.
Institute of Product Development and Production Technologies
Ende vergangenen Jahres stimmte der Fachhochschulrat der Gründung des Institute of Product Development and Production Technologies (IPP) an der School of Engineering der ZHAW zu. Es ging aus dem bisherigen Zentrum für Produkt-und Prozessentwicklung (ZPP) hervor. Mit der Institutsgründung werden auch die Forschungsaktivitäten neu ausgerichtet. Im Fokus der 34 Forschenden stehen Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und additive Fertigung. Um in Zukunft im Markt zu bestehen, müssen Produktideen so gestaltet sein, dass ein geschlossener Materialkreislauf möglich ist. Nur so können Ressourcen geschont, CO2-Emissionen reduziert und eine nachhaltige, zukunftsorientierte Wirtschaft ermöglicht werden. Dafür sind neue Ansätze notwendig, von der Materialauswahl über das Produktdesign und die Produktion bis zur Nutzung des Produktes und zum Geschäftsmodell. Zu diesen interdisziplinären Fragestellungen bringt das Institut, das seit 2020 Leading House des von Innosuisse geförderten Innovation Booster Applied Circular Sustainability ist, seine Expertise ein.
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