Planetary Health Folge 4: Leben in Gesellschaft – von der Freiwilligen Feuerwehr lernen

19.09.2023
3/2023

Auf dem Weg zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele 2030 zeichnen die Vereinten Nationen ein eher düsteres Bild. Der Planet brennt. Vielfältige Veränderungen fordern uns heraus. Das, was erlernt wurde, zu hinterfragen, abzulegen, von Neuem zu lernen und umzusetzen, ist eine Fähigkeit, für die vernunftbegabte Lebewesen meist einen Anstoss von aussen brauchen. Neue Wege vorausschauend zu suchen, Alternativen zu prüfen, abzuwägen, was für die Einzelnen und die Gemeinschaft wichtig ist, und das Wirksame zu tun, gewinnt für Menschen mit einem weiten gedanklichen Horizont an Bedeutung. Hoffentlich noch rechtzeitig, bevor die Bedrohung durch die Polykrisen existenziell wird.

Wir müssen handeln – jetzt. Wir müssen heraus aus der eigenen Blase – denn Hilflosigkeitsergebenheit, nichts ändern zu können, den anderen die Schuld zuzuweisen und sich so selbst zu entschuldigen, wird weitgehend wirkungslos bleiben. Wie kann die Veränderung von «Ich will so bleiben und leben, wie ich bin» zu «Mal sehen, was aus mir noch werden und was ich beitragen kann» erfolgen? Raus aus der Komfortzone – rein in die neue Gegenwart.

In der Schweiz hat sich eine Mehrheit der Wahlberechtigten entschieden, den Weg zur Klimaneutralität zu gehen. Volksabstimmungen setzen für das verantwortliche Stimmvolk ein Mindestmass an Information und Auseinandersetzung mit den Themen, die anstehen, voraus. Es findet eine gewisse Bewusstseinsbildung statt. Solche getroffenen Mehrheitsentscheidungen bilden auch die Basis für spätere teilweise einschneidende Massnahmen der Volksvertreterinnen und -vertreter, die im Sinne der Gemeinschaft getroffen werden müssen. Selbstbestimmte Zumutbarkeiten bringen in Krisensituationen Menschen dazu, den Mut zur Veränderung aufzubringen.

Community Matters – von der Blase ins Netzwerk

Blasenbildung, wo eigentlich Diskurs nötig wäre

Die jeweilige Grenzerfahrung für das Zumutbare wird vom Grad der Empörung der Mitmenschen beeinflusst. Kollektive Wutentladungen in den sozialen Medien oder bei Demonstrationen begünstigen eine Blasenbildung, in der teilweise ideologische Verschanzungen durch eine polarisierende Rhetorik Nährboden für Spaltung bieten, wo eigentlich Diskurs und gemeinsame Lösungen angebracht wären. Während die einen Zeitgenossinnen und -genossen denken und aussprechen: «Auf was warten wir eigentlich noch?», betonen andere ihre eigene Wirkungslosigkeit und setzen auf das «Weitermachen wie bisher». Dieser Fatalismus bei der Diskussion um den Klimawandel wird durch komplexe biologische Systeme begünstigt. Es werden bedeutende Einflussfaktoren übersehen, da es sich auf den ersten Blick um Minorfaktoren handelt, die je nach Konzentration und in Gesellschaft anderer Faktoren grosse Wirkung entfalten können, wenn beispielsweise Kipppunkte erreicht werden.

Was, wenn die niedrig hängende Frucht der Sequestrierung von CO2 in Böden schwerer zu erreichen ist als gedacht, weil die Erhitzung der Böden bereits weiter fortgeschritten ist als angenommen?

Was, wenn der Golfstrom schon einen anderen Weg genommen hat und Nordeuropa in eine Zwischeneiszeit fällt?

Das erste Szenario wäre zunächst nur durch wissenschaftliche Untersuchungen zu bestätigen. Der Einfluss auf die ausbleibende Milderung der Klimasituation wäre einschneidend.

Das zweite Szenario wäre für Nordeuropäer schnell erlebbar.

Früher war sogar die Zukunft besser

Menschen haben offensichtlich Bewältigungsstrategien entwickelt, Herausforderungen auf verschiedene Weise entgegenzutreten. Verdrängung und Verschiebung auf einen Zeitraum nach dem eigenen Ableben sind zwar nicht populär und werden deshalb seltener geäussert, stehen aber durchaus zur Verfügung. Keine Lösung ist das für jene, die entweder mit weiteren Auswirkungen während ihrer Lebenszeit rechnen oder den nachfolgenden Generationen ein auf irgendeine Weise intaktes System Erde zur Verfügung stellen wollen.

Verzweiflung über die Geschwindigkeit und die zu erwartenden Einflüsse auf das eigene Leben führt nicht selten zu dystopischen Zukunftsbildern, die sich in Depression und/oder Aggression manifestieren können und deshalb nicht weiterführen.

Utopie des Gedeihens notwendig

Was es braucht, um die Zeitenwende zu einer regenerativen Gesellschaft zu machen, ist eine Utopie des Gedeihens in Koexistenz mit den Lebensformen und den Ressourcen, die die Erde bietet.

Mond oder Mars sind zwar für die Entdeckung des Universums sehr bedeutend, das ist klar. Leider sind diese Orte deutlich lebensfeindlicher als die Erde. Wahrscheinlich macht es mehr Sinn, mit unseren Ressourcen schonend umzugehen, damit das Leben auf der Erde weiterhin gedeihen kann. So wie sich die Situation derzeit darstellt, stehen wir eben kurz vor den Kipppunkten, wo Handeln dringend notwendig und Zuwarten nicht mehr möglich ist.

Wie schaffen wir es, eine Vision zur Regeneration des Planeten mit möglichst vielen Menschen nicht nur zu entwickeln, sondern sie auch in die Realität umzusetzen?

Rationale Erkenntnisse müssen emotional verankert und umgesetzt werden

Das Bewusstsein für die Dringlichkeit entwickelt sich glücklicherweise. Aber leider auch Abwehrhaltungen, um notwendige Änderungen ganz persönlich auszulassen. Vielleicht braucht es Integrationsfiguren, die nun nach der gegenseitigen Empörung über die jeweils andere Haltung und Handlung die Zivilgesellschaft dazu anleiten, das Wirkungsvolle zu tun, um enkelinnentauglich zu werden.

Vorbild Freiwillige Feuerwehr?

Könnten Hilfsorganisationen wie die Freiwilligen Feuerwehren Vorbild sein, um nicht nur Leben in der Gemeinde, sondern auf dem ganzen Planeten zu retten? Könnte das Ehrenamt helfen, Interessen zu bündeln, Wissen zur Bewältigung der planetaren Herausforderungen zu teilen, in die Keimzellen der Gesellschaft hineinzutragen und dabei generationenübergreifend Wunden zu heilen, die durch gegenseitige Vorwürfe allzu oft aufbrechen?

Die Wehren wurden gegründet, um Gefahren an Leib, Leben und Besitz abzuwenden. Teilweise existiert diese Bewegung in Europa bereits über Jahrhunderte. Die Allmende, das Gemeineigentum, hört dort auf, wo die nächste Gemeinde anfängt. Dennoch hilft man sich gegenseitig und überörtlich, wenn Gefahren drohen. Können wir unseren Horizont auf den gesamten Planeten erweitern und zusammen die notwendigen Schritte tun, damit uns die zu erwartenden Konsequenzen vor unserer Haustüre nicht begegnen? Der Club of Rome hat hierfür eine einfache Formel geliefert: «Global denken, lokal handeln.» Nun sind wir alle gefragt, um das zu realisieren.

Zu den Schreibenden

Das Unerwartete denken und schreiben ist das Motto von Gisela und Tilo Hühn. Gemeinsam verantwortungsvoll handeln, reflektieren und etwas bewirken sind die Eckpfeiler ihres Lebenskonzepts. Die beiden arbeiten als Forschende und Dozierende an der ZHAW: Gisela Hühn in der Forschungsgruppe für Lebensmittel-Prozessentwicklung, Tilo Hühn als Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign. Ob an der Hochschule oder am Küchentisch: Beide diskutieren und arbeiten gerne – zu zweit oder mit anderen – zu zukünftigen Ernährungssystemen sowie zu der Frage, wie man bei der Verarbeitung mehr vom Guten aus Agrarprodukten erhält.

Die «Impact»-Serie Planetary Health

Ist unser Planet noch zu retten? Und wenn ja, wie? Um diese Fragen geht es in der neuen Serie «Planetary Health» des «Impact»-Webmagazins der ZHAW. Die Serie ist noch nicht fertig konzipiert, sondern kann sich, liebe Leserinnen und Leser, auch aus Ihren Anregungen und Wünschen weiterentwickeln. Die ZHAW-Forschenden Gisela und Tilo Hühn erklären in den ersten Folgen, wie wir mit Essen die Welt retten können. Schonkost kredenzen die beiden Forschenden nicht. Vielmehr tischen sie offen auf, woran unser Ernährungssystem krankt und welche negativen Einflüsse es auf die Umwelt hat. Garantierte Rezepte zur Genesung gibt es hier keine, sondern Gehirnfutter zum Weiterdenken und Weiterdiskutieren. Denn: «Die Schlacht zur Rettung des Planeten wird auf dem Teller gewonnen.» Bis zum wohlverdienten Dessert ist es noch weit.

Wir freuen uns über Ideen und Anregungen gleich unten bei den Kommentaren

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