
Warum KI nach Sprachprofis ruft
Je akkurater künstliche Intelligenz unseren Sprachgebrauch simuliert, desto wichtiger wird menschliche Intelligenz in der Kommunikation. Gefragt sind Lenken, Einschätzen und Verantworten.
Sprache hat etwas Musterhaftes: Auf einen Gruss wie «Hallo, wie geht es Ihnen?» folgt als Antwort wahrscheinlich nicht eine Frage wie «Wo ist das Klavier?», sondern ein Gegengruss wie «Hallo, gut, und Ihnen?». Dieses Musterhafte, Vorhersehbare macht menschlichen Sprachgebrauch oberflächlich leicht imitierbar, für Papageien wie für Maschinen.
Sprachmodelle wie ChatGPT fertigen deshalb Texte, die beim schnellen Lesen oft klingen wie echt. Sie können sich scheinbar auch in ihr menschliches Gegenüber einfühlen, also Empathie simulieren. Das Ergebnis: Immer mehr Menschen werden von Robotern gepflegt oder leben, in ihrer Vorstellung, mit einem KI-Partner zusammen.
Sogar die Kreativität ist keine rein menschliche Domäne mehr: Sprachmodelle generieren in Sekunden Tausende Versionen eines Gedichts oder einer Rede. Auch wenn sie sich voneinander unterscheiden, bauen sie doch alle auf die Muster, die KI in bestehenden Produkten ausgemacht hat. Aber wie geht es dann weiter mit den Tausenden Gedichten?
Mensch und Maschine ergänzen sich
Ganz einfach: Der Mensch wählt die beste Variante aus. Sinnvoller KI-Einsatz bedingt menschliches Anleiten, Auswählen und Verantworten. Nach diesem Prinzip baut das Unternehmen Autodesk in San Francisco seit 1982 alles, vom Molekül für ein Medikament bis zum Wolkenkratzer in Shanghai oder bis zur nächsten Airbus-Generation.
Bei all diesen Vorhaben generiert die künstliche Intelligenz Milliarden von Varianten des Endprodukts und testet sie auf Umweltbedingungen – den Wolkenkratzer etwa auf Wind, Erdbeben, Nutzungserwartungen und mögliche Einsprachen. Wie in der Evolution werden robuste Varianten miteinander kombiniert, schwache ausgeschieden.
Die Varianten, die am Ende dieses Prozesses den anderen überlegen sind, schlägt das System menschlichen Fachpersonen zur Prüfung vor. Dabei mag ein Vorschlag unter den einen Bedingungen mehr zu überzeugen, ein anderer unter anderen. Es ist am Menschen, nun die beste Variante auszuwählen sowie die Wahl zu begründen und zu verantworten.

und Professor für Medienlinguistik.
Lernen, den Textproduktionsprozess zu kontrollieren
Die menschliche Intelligenz müsste sich demnach auch in Sprachberufen besonders in der Fähigkeit zeigen, so mit KI zu kooperieren. In der Praxis bedeutet das: Der Mensch ist geistig fit dafür, klare Anforderungen an Texte festzulegen und die Vorschläge der KI kritisch zu hinterfragen. Dies leisten zu können, ist so anspruchsvoll wie unabdingbar.
Studierende, die sich auf Sprachberufe vorbereiten, müssen also lernen, mit KI-Werkzeugen so zu arbeiten, dass sie selbst den Textproduktionsprozess kontrollieren: Sie erteilen der Maschine präzise Aufträge und schätzen das Ergebnis ein. Das bedingt präzise Kenntnis des Gegenstands und des zielgruppengerechten Sprachgebrauchs.
Dazu gehören gute Kenntnisse von Textsorten und der sprachlichen Kultur im jeweiligen Fachbereich – auch weil ein gezielter Verstoss gegen Routinen und Erwartungen etwa einem Text eine gewisse Würze und Eigenständigkeit geben kann. Mozart wusste gegen die Gestaltungsregeln seiner Zeit und Kunst zu verstossen, genau wie Picasso.
Forschung zum menschlichen Mehrwert
So weit einige Parallelen und Vermutungen zum menschlichen Mehrwert in Sprachberufen. Aber treffen sie zu? Das Laufbahn-Monitoring der Sprach- und Kommunikationsstudiengänge der ZHAW zeigt, dass Hochschulabsolventinnen und -absolventen auch heute die Fähigkeit, gut zu schreiben, als Kernkompetenz im Sprachberuf wahrnehmen.
Wo mehr und rascher übersetzt und geschrieben wird, müssen die Profis immer auch wieder selbst Hand anlegen können. Dies zum Beispiel, um mit einer markigen Formulierung aus dem Silbengerassel der Sprache der Maschine auszubrechen, die stets den Durchschnitt alles bisher Gesagten imitiert, wenn sie selbst eine einzige Lösung bringen soll.
Die Hauptaufgabe für den Menschen in der Zusammenarbeit mit der Maschine besteht aber im Steuern der Sprachproduktion. Mit zielführendem Prompting kommt ein künstlich erzeugter Kommunikationsbeitrag nahe an einen guten menschlichen heran; ohne diese straffe Führung, über Kontrolle und Justierung, entgleist die Imitation.
Sozial intelligente Steuerung von Intelligenz
KI ist also erst mal ein Werkzeug, wie ein Rennrad, das es geschickt zu lenken gilt. Wer das Werkzeug beherrscht, kommt leichter ans Ziel. Einige befürchten nun aber: Simuliert KI das Denken und Fühlen immer besser, nähert sie sich womöglich eigenem Bewusstsein – und damit dem Status einer, so KI-Pionier Mustafa Suleyman, «digitalen Spezies».
Diese digitale Spezies, so die Befürchtung, wächst der Menschheit über den Kopf, wie der Besen in Goethes Gedicht vom Zauberlehrling. Die Dystopie: Wir treten mit der KI etwas los, was wir nicht mehr kontrollieren können. Eines Tages könnten die Maschinen beschliessen, dass es die Menschheit nicht mehr braucht. Ist da was dran?
Wenn der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard recht hat und auch wir Menschen einander im Leben nur «gegenseitig die Stichwörter geben», um dann immer wieder das Gleiche zu sagen … ja, dann macht KI unser rituelles, vorhersehbares Denken und Reden tatsächlich bald überflüssig. Die perfekte Imitation wäre dann nur eine Frage der Zeit.
KI-Governance ganz konkret
Wenn es aber einen Unterschied gibt zwischen der simulierten Kommunikation als Wahr-scheinlichkeitsrechnung durch KI und einer menschlichen, absichtsvollen Kommunikation, dann ruft KI eben nach Profis, die sie zu lenken wissen. Und dann ruft mehr und bessere KI auch nach mehr und stärkerer sozialer Intelligenz beim strategischen Lenken der KI.
Dieses Lenken der KI-Entwicklung reicht dabei weit über das Arbeitsfeld der IT-Fachleute hinaus, die KI-Anwendungen programmieren. Wo Hightech-Oligarchie nicht das Ziel ist, gilt, mit der australischen Expertin für Cyber Security Helen Toner gesprochen: Ethisch-rechtlich müssen wir bestimmen, wie KI reguliert wird, auch wenn es schwer vorherzusehen ist.
In allen Berufen, in denen Sprache zählt, bedeutet solche Governance ganz konkret: erstens wach wahrnehmen, was Sache ist, zweitens wissen, was man will – und drittens zur Sprache bringen und umsetzen können, was man meint. Sprach- und Kommunikationskompetenz also, mehr denn je.
Der Beitrag basiert in Teilen auf einem Plenarvortrag des Autors an den Science Weeks Berlin, 2024. Er erschien zudem, in ausführlicherer Form, im Bulletin 1/2025 der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften SAGW.
Beitrag als Podcast
Hören Sie diesen Beitrag als KI-generierten, aber menschlich präzise geprompteten Podcast (Beitrag auf Englisch, erstellt mit NotebookLM)
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(Headerbild: Adobestock/Adriana)
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