Geopolitische Fragmentierung

Wenn zwei sich streiten

25.11.2025
2/2025

Die drohende wirtschaftliche Entkoppelung von China und den USA wirkt sich auch auf Firmen in der Schweiz aus. Wie gut sind diese auf geopolitische Risiken vorbereitet?

«Geopolitik? Die spielt in der Unternehmensführung doch keine Rolle – das war lange der allgemeine Konsens im Topmanagement und durchaus richtig», sagt Florian Keller, Professor für Global Business und International Relations an der School of Management and Law. Schliesslich habe sich die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg stetig in eine Richtung bewegt: weg von der Konfrontation, hin zu mehr wirtschaftlicher Kooperation. «Diese Zeiten sind heute definitiv vorbei.» Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und den daraus folgenden wirtschaftlichen Sanktionen des Westens hätten sich die globalen Märkte wieder zu entkoppeln begonnen.

Diese Entwicklung gab vergangenes Jahr den Anstoss zur Gründung des Zentrums für Geopolitik und Wettbewerbsfähigkeit (CGC) – und schlug sich in einem neuen Lehrgang nieder. «Unternehmensführung muss wieder anders gelehrt werden», betont Keller, der das Zentrum leitet. In vielen der dortigen Bachelor- und Masterprogramme gehöre ein Teil Geopolitik nun zum Curriculum; und auch im MBA Executive Leadership bereite man die Unternehmensführenden von morgen auf solche Herausforderungen vor. Der neue CAS Geopolitik und Business Strategy vermittle Unternehmerinnen und Managern ausserdem die notwendigen Kompetenzen, um in einer von geopolitischen Konflikten geprägten Wirtschaftswelt überleben zu können.

«Wir wollen Unternehmen Strategien in die Hand geben, um widerstandsfähiger und wettbewerbsfähiger zu werden.»

Siyana Gurova, Zentrum für Geopolitik und Wettbewerbsfähigkeit

Gleichzeitig, so Keller, habe sich angesichts der globalen Veränderungen zunehmend die Frage aufgedrängt, was international tätige Firmen konkret tun können, um in dieser neuen Welt erfolgreich zu sein? Konkret: Welche Folgen hat die drohende wirtschaftliche Fragmentierung von China und den Vereinigten Staaten für hiesige Betriebe? Und wie können sie sich auf solche Veränderungen vorbereiten?

In einem von Innosuisse unterstützten und von mehreren Industriepartnern sowie der Schweizer Exportförderorganisation S-GE begleiteten Forschungsprojekt wollten das Zentrum für Geopolitik und Wettbewerbsfähigkeit der ZHAW und das Schweizerische Institut für Entrepreneurship der Fachhochschule Graubünden deshalb wissen: Wie gut sind Schweizer Unternehmen auf eine Entkoppelung der grossen Wirtschaftsräume vorbereitet? Wie robust sind ihre Geschäftsmodelle gegen geopolitische Schocks? Wo müssen sie angepasst oder allenfalls neu ausgerichtet werden?

Abhängigkeiten prüfen

In einem ersten Schritt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrere Szenarien ausgearbeitet, wie sich die Beziehung zwischen China und den USA in nächster Zeit entwickeln könnte. Die sechs Varianten reichen von einer vorsichtigen Entspannung mit erneuter Zusammenarbeit über anhaltende wirtschaftliche Spannungen beider Länder bis hin zu einer Eskalation beziehungsweise einer militärischen Auseinandersetzung. «Wir werden immer wieder gefragt, welches Szenario wir für am wahrscheinlichsten halten», sagt die Politikwissenschaftlerin Siyana Gurova, die zum Projektteam gehört. Eine solche Prognose masse man sich jedoch nicht an. Ziel der Forschung sei vielmehr gewesen, aus den unzähligen Möglichkeiten übergeordnete Archetypen herauszuschälen.

Um zu verstehen, was die jeweiligen Szenarien für Schweizer Unternehmen bedeuten, identifizierten die Forschenden in einem zweiten Schritt jene Geschäftsfelder beziehungsweise Themen, in denen international tätige Firmen am ehesten verwundbar sind. Dazu gehören neben der eigentlichen Marktpräsenz in China oder den USA auch die Fragen, wie abhängig das Unternehmen von Rohstoffen aus den beiden Ländern ist oder wie wichtig China und die USA als Produktionsstandorte sind. Ebenfalls zentral sind das Risikomanagement und die Eigentümerstruktur der Firmen.

Wenn wichtige Anteilseigner oder Tochtergesellschaften in den USA oder China ansässig seien, könne es im derzeitigen Klima schnell zu Problemen kommen, erklärt Keller. Dasselbe gelte, wenn sich eine Schweizer Firma in China mit einem amerikanischen Partner zusammenschliesse oder ein Joint Venture mit einem chinesischen Unternehmen in den USA eingehe. Schwierig werde die Situation auch, wenn Unternehmen zum Beispiel auf seltene Erden aus China angewiesen seien, so wie sie etwa für die Herstellung von Kaffeemaschinen benötigt werden. «Ein Auslieferungsstopp könnte die hiesige Produktion innerhalb von wenigen Wochen zum Erliegen bringen.»

Eine grosse Herausforderung sei aktuell natürlich auch Trumps Zollpolitik. Hier gelte es für betroffene Unternehmen, sich den zulässigen Interpretationsspielraum gezielt zu Nutzen zu machen, sagt Dominique Ursprung, stellvertretender Leiter des CGC. «Statt ein vollständiges Produkt zu exportieren, könnte zum Beispiel ein Teil der Montage in die USA verlegt werden», so der Dozent. Auf diese Weise liessen sich Strafzölle allenfalls vermeiden und käme man dem erklärten Ziel des US-Präsidenten, mehr Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten zu schaffen, doch so weit wie eben nötig entgegen.

Kreislaufwirtschaft dient unternehmerischer Freiheit

Die Forschungsergebnisse sollen betroffenen Firmen auch ganz konkret zugutekommen. Das Projektteam hat sie darum in die Entwicklung eines sogenannten Stresstests einfliessen lassen. Das frei zugängliche und kostenlose Instrument soll Betrieben eine erste Einschätzung dazu ermöglichen, wie gross das wirtschaftliche Risiko ist, das ihnen durch ein zunehmend unsicheres globales Umfeld entsteht. Der bei S-GE online verfügbare Stresstest eignet sich für alle Unternehmen mit internationalen Lieferketten oder Produktions- und Vertriebsstrukturen in China oder den USA.

Natürlich weise diese Risikoüberprüfung nicht nur auf Schwachstellen hin, betont ZHAW-Dozentin Gurova: «Wir wollen Unternehmen auch mögliche Strategien in die Hand geben, um ihre Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.» Der US-China-Stresstest solle insbesondere kleinen und mittleren Betrieben helfen, die oft weder auf externe Beratung noch auf ein betriebsinternes Risikoanalyseteam zurückgreifen könnten.

«Kreislaufwirtschaft macht uns unabhängiger von anderen Märkten.»

Florian Keller, Zentrum für Geopolitik und Wettbewerbsfähigkeit

So besteht eine mögliche Lösung in Bezug auf die Eigentümerstruktur laut Keller zum Beispiel darin, Tochterfirmen von Schweizer Unternehmen in den USA oder in China rechtlich unabhängig zu organisieren. Abhängigkeiten bei der Beschaffung von Rohstoffen wiederum könnten durch den Zukauf von Lieferanten oder Kunden vermindert werden. Auf diese Weise gewinne man mehr Kontrolle entlang der Wertschöpfungskette.

Eine andere Möglichkeit sei es, auf alternative Materialien auszuweichen oder die Produktion anzupassen, ergänzt Keller und kommt dabei auf das Beispiel der Kaffeemaschine zurück: «Warum nicht auf den Touchscreen verzichten und stattdessen auf eine Bedienung per Knopfdruck setzen?» Doch auch die Kreislaufwirtschaft spielt eine wichtige Rolle: Rohstoffe aus gebrauchten Produkten wiederzuverwenden, sei nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit sinnvoll: «Sie machen uns auch unabhängiger von anderen Märkten.»

Für die Forschenden ist klar: Eine frühzeitige und systematische Auseinandersetzung mit geopolitischen Spannungen ist für Schweizer Firmen heute unabdingbar. «Als wir im Frühjahr 2024 mit unserem Forschungsprojekt begannen, dachten wir mehr hypothetisch darüber nach, was eine Entkoppelung der globalen Wirtschaftsräume für hiesige Unternehmen bedeuten könnte», sagt Keller. «Die Realität hat uns schneller eingeholt als gedacht.»

Welche Risiken bestehen für Ihr Unternehmen?

Machen Sie den Stresstest und erfahren Sie, wie sich das unsichere globale Umfeld auf Ihr Unternehmen auswirken könnte.

Die Szenarien

Wie entwickelt sich die Beziehung zwischen China und den USA? Die sechs wahrscheinlichen Szenarien erfahren Sie im Video.

Schweizer Führungskräfte über das unberechenbare Handelsumfeld

In der aktuellen Ausgabe «TARIFFying» befasst sich der jährliche Swiss Managers Survey mit der Frage, wie Führungskräfte in der Schweiz auf das komplexe Handelsumfeld und die Zollpolitik von US-Präsident Trump reagieren wollen. Für die im Mai 2025 durchgeführte Studie wurden schweizweit 280 Führungskräfte aus diversen Branchen und Unternehmen unterschiedlicher Grösse befragt.

Die von der ZHAW School of Management and Law, der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana und der Haute école de gestion Arc sowie in Zusammenarbeit mit mehreren Handelskammern aus der Deutsch- und Westschweiz durchgeführte Umfrage zeigt: Obwohl die Mehrheit der befragten Unternehmen nicht oder nur begrenzt in die USA exportiert, beurteilen Managerinnen und Manager die derzeitigen Handelsspannungen als Belastung. Sie stehen den Vereinigten Staaten heute deutlich misstrauischer gegenüber als noch vor einigen Jahren. Von dieser Entwicklung profitieren die Wirtschaftspartner EU und Südostasien, die gerade beliebter zu werden scheinen.

Aufmacherbild: Adobestock/Riana

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