Speichertechnologien

Wie sich Stromüberschüsse sinnvoll nutzen lassen

06.12.2022
4/2022

Überschüssigen Strom kann man in Batterien zwischenspeichern oder zur Gaserzeugung verwenden. So lassen sich Produktionsschwankungen effizient und umweltfreundlich ausgleichen, wie neue Ansätze von ZHAW-Forschenden zeigen. Noch gilt es, einige Herausforderungen zu bewältigen.

Die Sonne scheint am stärksten mittags. Der Stromverbrauch hingegen erreicht seinen Peak am Abend. Für die künftige Energieversorgung, bei der Solarzellen eine Hauptrolle spielen sollen, ist das ein Problem: Es braucht Speicher, damit der Strom zur richtigen Zeit zur Verfügung steht. 

Eine naheliegende Lösung dafür sind Batterien. Herkömmliche Batterien haben allerdings Nachteile: Sie enthalten beispielsweise giftige Schwermetalle (Cadmium, Blei) oder Materialien, deren Abbau umweltschädlich ist und deren Verfügbarkeit schwanken kann (Lithium). Ein neuer Ansatz sind Flüssigbatterien, auch Redox-Flow-Batterien genannt: Statt Feststoffe enthalten sie Flüssigkeiten – Elektrolyte –, die in getrennten Kreisläufen zirkulieren. In den Elektrolyten steckt die Energie der Batterie – sie werden beim Laden und Entladen in eine andere Oxidationsstufe überführt. Dabei fliessen Ionen – elektrisch geladene Teilchen – durch eine Membran, welche die beiden Kreisläufe trennt. 

«Ziel des Projekts ist es, eine Simulationsplattform zu schaffen, um nach organischen Molekülen zu suchen, die sich für Redox-Flow-Batterien eignen.»

Roman Schärer, wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsschwerpunkt Electrochemical Cells & Energy Systems

Verschiedene Modelle von Redox-Flow-Batterien sind denkbar – die Entwicklung läuft auf Hochtouren. Eine vielversprechende Idee ist es, als Grundlage für die Elektrolyte organische Substanzen, also Stoffe mit Kohlenstoffverbindungen, zu verwenden. Diesen Ansatz verfolgt man auch in der Forschungsgruppe Electrochemical Cells & Energy Systems am Institute of Computational Physics der ZHAW. Sie ist am EU-Horizon-Projekt SONAR beteiligt, das noch bis 2024 läuft. «Ziel des Projekts ist es, eine Simulationsplattform zu schaffen, um nach organischen Molekülen zu suchen, die sich für Redox-Flow-Batterien eignen», sagt Roman Schärer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsschwerpunkts. «Es gibt eine enorme Auswahl an möglicherweise geeigneten Molekülen – das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.»

Langlebige Batterien

Die Forschungsarbeit findet dabei nicht im Labor statt, sondern am Bildschirm. Überhaupt beruht fast das ganze EU-Projekt auf Modellbildung auf verschiedenen Skalen und Computersimulationen. Da wird etwa das Verhalten der Elektrolyte auf molekularer Ebene simuliert, nach der idealen Geometrie der Batterienstapel gesucht oder auch schon die langfristige Rentabilität einer ganzen Anlage prognostiziert. Denn die gesuchten organischen Moleküle müssen nicht nur für eine zuverlässige Stromspeicherung sorgen, sondern auch wettbewerbsfähige Betriebskosten garantieren. Ein entscheidender Faktor dafür ist die Langlebigkeit. Redox-Flow-Batterien sollen eine Lebensdauer von bis zu zwanzig Jahren erreichen, bei sehr geringer Materialdegradation.  

Weniger Abhängigkeit

Doch auch die Versorgungssicherheit spielt eine Rolle. «Wir erleben ja gerade, was es bedeutet, wenn man sich allzu einseitig von einzelnen Energieträgern abhängig macht», sagt Jürgen Schumacher, der Leiter der Winterthurer Forschungsgruppe. «Beim EU-Projekt sucht man daher nach Lösungen, die innerhalb der EU funktionieren.» Der gewählte Ansatz mit den organischen Molekülen hat das Potenzial, dass sich Europa von heiklen Importen zumindest in diesem Bereich unabhängig machen kann.  

«Die verwendeten Materialien sollen möglichst rezyklierbar sein und müssen ein geringes Gefährdungspotenzial haben.»

Jürgen Schumacher, Leiter Forschungsschwerpunkt Electrochemical Cells & Energy Systems

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Umweltfreundlichkeit. «Die verwendeten Materialien sollen möglichst rezyklierbar sein», sagt Jürgen Schumacher. «Und sie müssen ein geringes Gefährdungspotenzial haben.» Das betrifft nicht nur die Giftigkeit: Weil Flüssigbatterien eine kleinere Energiedichte als Lithium-Ionen-Batterien haben, sind sie weniger leicht entflammbar. Die geringe Energiedichte ist gleichzeitig ein Nachteil, denn sie impliziert einen erhöhten Platzbedarf. Doch wenn so eine Batterie in einem Wohnquartier zu stehen käme, würde man diesen Nachteil wohl zugunsten der höheren Sicherheit in Kauf nehmen. 

Batteriecontainer für Häusergruppen

Redox-Flow-Batterien werden gerne in handelsübliche Container verbaut. Es wäre denkbar, dass künftig etwa Häusergruppen jeweils ihren eigenen Batteriecontainer hätten, der sich aus Wind- und Sonnenenergie spiese. «Das würde nicht nur die Energiesicherheit erhöhen, sondern auch die Stromversorgung ein Stück weit demokratisieren und dezentralisieren», sagt Jürgen Schumacher. Für bestimmte Anwendungen brauche es aber weiterhin auch Energieträger mit hoher Energiedichte wie etwa Wasserstoff. 

«Power-to Gas ist das zentrale Kopplungselement zwischen Strom- und Gasinfrastruktur. Darum wird es zur Schlüsseltechnolgie der Energiewende werden.»

Hans-Joachim Nägele, Leiter der Fachgruppe Umweltbiotechnologie und Bioenergie

Während Batterien helfen können, kurzfristige Schwankungen im Stromnetz auszugleichen, bleibt das Problem des saisonalen Ausgleichs bestehen. Solar- und teilweise auch Wasserstrom fallen vor allem im Sommer an, während der Verbrauch im Winter am grössten ist. Es ist fraglich, ob die Schweiz ihre Winterlücke auch künftig mit Importen decken kann. Hilfreich wäre, wenn sich der Stromüberschuss aus dem Sommer in den Winter transferieren liesse. Batterien können hierbei kaum helfen: Die benötigte Anzahl wäre viel zu gross. 

Strom zu Gas umwandeln

Ein Lösungsansatz lautet Power-to-Gas. Die Idee dahinter ist, mit dem überschüssigen Strom Gas zu erzeugen, das sich einfacher speichern lässt als Elektrizität. Das Gas kann man direkt verbrauchen oder eben im Winter wieder zu Strom machen, wenn der Bedarf gross ist. «Power-to Gas ist das zentrale Kopplungselement zwischen Strom- und Gasinfrastruktur», sagt Hans-Joachim Nägele, Leiter der Fachgruppe Umweltbiotechnologie und Bioenergie am Institut für Chemie und Biotechnologie an der ZHAW in Wädenswil. «Darum wird es zur Schlüsseltechnolgie der Energiewende werden.»

«Wir verfolgen den Ansatz, den Wasserstoff zusammen mit CO2 in Methan zu verwandeln, den Hauptbestandteil von Erdgas.»

Wolfgang Merkle, wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachstelle Biokatalyse und Prozesstechnologie

Der erste Schritt des Verfahrens besteht aus der sogenannten Elektrolyse, bei der Wasser mittels Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Den Wasserstoff könnte man nun speichern – allerdings ist er flüchtig, und es fehlt bisher die entsprechende Infrastruktur. «Wir verfolgen daher den Ansatz, den Wasserstoff zusammen mit CO2 in Methan zu verwandeln, den Hauptbestandteil von Erdgas», sagt Nägeles Mitarbeiter Wolfgang Merkle. Der Clou: Methan lässt sich direkt ins Erdgasnetz einspeisen, die Infrastruktur ist also schon vorhanden. «Und das Netz dient auch als Speicher», sagt Merkle. «In den Leitungen und Gasspeichern befindet sich ein Viertel des europäischen Jahresbedarfs an Erdgas.» Wenn aus dem künstlich hergestellten Methan dann wieder Strom produziert wird, geschieht dies klimaneutral, denn bei der Verbrennung wird nur jenes CO2 frei, das man der Umwelt zuvor entnommen und in die Gas-Synthese gesteckt hat. 

Umweltfreundliche Methanherstellung

Die Methanherstellung bedarf allerdings der Optimierung – daran forscht die Wädenswiler Gruppe. Im Labor steht noch ein kleiner Versuchsreaktor aus der Endphase des inzwischen abgeschlossenen EU-Projekts CarbonATE, an dem die Gruppe beteiligt war. Im Fokus des Projekts stand eine umweltfreundlichere Methode der Methanherstellung, die auf biologische statt auf chemische Prozesse setzt. Das Verfahren und der Reaktor werden derzeit weiter untersucht. 

Mithilfe von Mikroorganismen

Die Arbeit im Reaktor leisten Archäen: bakterienartige Einzeller, die im Baum des Lebens einen eigenen Stamm bilden. Sie besitzen die Fähigkeit, aus Kohlendioxid und Wasserstoff Methan zu erzeugen. «Das ist technisch weniger aufwendig und daher günstiger als herkömmliche Verfahren», sagt Hans-Joachim Nägele. Auch braucht die biologische Methode wenig Energie: Heizen muss man nicht, die nötige Wärme von knapp 45 Grad entsteht bei der Methansynthese von selbst. Die chemische Methanisierung hingegen ist energieintensiv – sie bedarf eines Drucks von bis zu 200 bar und einer Temperatur von 300 bis 500 Grad. Überdies ist sie empfindlicher gegen Verunreinigungen, etwa Schwefelwasserstoff, was die Nutzung von Abgas als CO2-Quelle umständlicher macht. Dafür funktioniert das chemische Verfahren aber auch deutlich schneller als das biologische. 

Bei Bauernhöfen, Zementwerken, Kläranlagen

Es bleibt die Frage, wo solche Power-to-Gas-Anlagen dereinst zu stehen kommen. Im Auge haben die Wädenswiler Forscher zunächst vor allem Bauernhöfe: «Da gibt es in der Schweiz noch ein grosses ungenutztes Potenzial, nämlich Gülle und Festmist», sagt Merkle. Nutzen könnte man es mit Biogasanlagen, dabei entstünden CO2 und Methan. In einem zweiten Schritt liesse sich mit dem CO2 weiteres Methan erzeugen, eben mit Power-to-Gas-Anlagen. Grössere Reaktoren, die wirklich etwas bringen würden gegen die Winterstromlücke, müssten aber an Orten gebaut werden, wo grosse CO2-Quellen vorhanden sind, etwa bei Kläranlagen, Kehrichtverbrennungsanlagen, Zementwerken oder grösseren Biogasanlagen. 

70 Prozent der Ausgangsenergie gehen verloren

Ein Haken bleibt: Die Umwandlung von Sonnenstrom in Gas und am Ende wieder zurück in Strom ist aufwendig – der Wirkungsgrad des ganzen Prozesses beträgt dreissig bis vierzig Prozent. Das heisst: Sechzig bis siebzig Prozent der Ausgangsenergie gehen verloren. «Darum lohnt sich Power-to-Gas nur, wenn wir wirklich überschüssigen Strom haben», sagt Merkle. «Dann aber ist es sinnvoll. Sonst ginge dieser Strom einfach verloren.»

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