Wie wirtschaften, wenn Wirkung über Profit steht?
Auch wer «Gutes tun» als Geschäftsmodell hat, muss Geld verdienen. Doch soziale Organisationen oder öffentliche Verwaltungen sind in Fragen des strategischen Managements anders gefordert als profitorientierte Unternehmen. Deshalb haben Dozierende der Departemente Soziale Arbeit und Gesundheit eigene Tools für strategisches Management entwickelt.
Das Frauenhaus, die Suchtberatung, das Wohnheim für Menschen mit Behinderung: Wie profitorientierte Unternehmen müssen auch soziale Organisationen wirtschaften. Sie müssen Löhne bezahlen, laufende Kosten decken, Abschreibungen machen. Und wie profitorientierte Unternehmen müssen sie gut gemanagt sein, um nicht in Konkurs zu gehen. Strategisches Management – also die Entwicklung, Planung und Umsetzung der Ziele einer Organisation – komme im Sozialbereich allerdings oft zu kurz, sagt Michael Herzig, Dozent für Sozialmanagement am ZHAW-Departement Soziale Arbeit. «Denn oft stecken Mitarbeitende bis über beide Ohren im Tagesgeschäft.»
So hat er gemeinsam mit Esther Thahabi und Sergio Gemperle, ebenfalls Dozierende an der ZHAW, ein Tool erarbeitet, das soziale Organisationen in strategischem Management unterstützt: das ZHAW Social Business Model Canvas. Es ist sowohl für die Entwicklung von Startup-Ideen als auch für die Analyse bereits bestehender Organisationen geeignet.
«Die Welt im Sozialbereich ist komplizierter als in der freien Marktwirtschaft.»
Als Grundlage für das Tool diente das Business Model Canvas, eines der bekanntesten Instrumente für profitorientierte Unternehmen. Michael Herzig hatte jahrelang mit diesem Modell gearbeitet, in der Lehre wie auch als Organisationsberater. «Es ist ein gutes Instrument, um eine erste Geschäftsidee durchzudenken», sagt er. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen stellte der Dozent aber fest, dass es für die Anwendung im Sozialbereich stets viele Anpassungen brauchte. Zu viele. Denn die Welt im Sozialbereich, sagt Herzig, sei komplizierter als in der freien Marktwirtschaft.
Mehr Anspruchsgruppen, die zu befriedigen sind
Diesem Umstand trägt das ZHAW Social Business Model Canvas nun Rechnung. «In der Marktwirtschaft haben wir idealtypischerweise eine Zweierbeziehung: Organisation und Kundschaft beziehungsweise Angebot und Nachfrage. Im Sozialbereich ist es jeweils mindestens eine Dreierbeziehung», erklärt Herzig. Es existieren nicht bloss Leistungserbringende und Leistungsbezügerinnen und -bezüger, sondern auch noch Kostenträger, Zuweiser und Aufsichtsbehörden. Es sind also mehr Anspruchsgruppen vorhanden, es müssen mehr Anspruchsgruppen bedacht werden.
Ein Beispiel: Eine Wohnstätte für Personen mit Beeinträchtigung hat ebendiese als Klientel, also als Kundschaft. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind aber nicht jene, die für die Leistungen der Wohnstätte bezahlen, sondern Kostenträgerin ist beispielsweise die Invalidenversicherung. Das ZHAW Social Business Model Canvas hilft Startups oder bestehenden Organisationen im Sozialbereich, sich in dieser komplexen Welt der Anspruchsgruppen zu orientieren.
Einsatz in Lehre und Weiterbildung
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum herkömmlichen Canvas liegt im Aufbau des ZHAW Social Business Model Canvas. Dieses haben Herzig und seine Arbeitskollege auf die Bedürfnisse von sozialen Organisationen zugeschnitten. So stehen Werte und Vision eines Startups ganz am Anfang der strategischen Überlegungen. «Man fragt nicht, was der Markt will», sagt der Dozent, «sondern: Was wollen wir verändern, was sind unsere Werte?» Der Profit stehe nicht im Zentrum, sondern es gehe in finanzieller Hinsicht bloss um Kostendeckung.
Entwickelt in Zusammenarbeit mit Organisationen aus dem Behindertenbereich, wird das gut zwei Jahre junge Tool mittlerweile in der Lehre und in der Weiterbildung eingesetzt. Zudem wird auch im neuen Social Entrepreneurship Labor mit dem ZHAW Social Business Model Canvas gearbeitet. Michael Herzig verwendet es in seiner Tätigkeit als Berater für soziale Organisationen auch für Standortbestimmungen. Die bisherigen Rückmeldungen von Personen, die das Tool verwendet haben, seien durchgehend positiv, sagt Herzig. Insbesondere, dass es die Komplexität der erwähnten Anspruchsgruppen so gut erfasse, werde geschätzt.
Ein Tool für den Ist-Zustand
Nicht nur am Departement Soziale Arbeit, sondern auch im Departement Gesundheit hat unlängst ein Mitarbeiter ein eigenes Canvas entwickelt. Matthias Meyer, Dozent im Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Prävention, setzte sich während der vergangenen sieben Jahre im Rahmen seiner Dissertation intensiv mit dem strategischen Management von öffentlichen und Nonprofit-Organisationen auseinander.
«Der gesellschaftliche Auftrag steht bei zweckbasierten Organisationen an oberster Stelle. Es geht darum, wie möglichst viel gesellschaftliche Wirkung erzielt wird.»
Er übersetzte zunächst eine bereits für den Nonprofit-Bereich modifizierte Version des Canvas aus dem Englischen. Diese setzte er systematisch in Schulungen und Beratungsmandaten ein. Aufgrund der durchzogenen Rückmeldungen stellte er fest, dass das übersetzte Tool sich nur bedingt für den Einsatz in diesen sogenannten zweckbasierten Organisationen eignet, also beispielsweise in öffentlichen Verwaltungen. So entstand sein Zuger Business Model Canvas für zweckbasierte Organisationen. Das Tool ist konzipiert, um den Ist-Zustand einer Organisation zu erfassen. «Basierend darauf können dann wenn nötig Veränderungen am Geschäftsmodell vorgenommen werden», erklärt Meyer.
Gesetzlicher Auftrag als Einschränkung
Wie im Sozialbereich ist die Logik in zweckbasierten Organisationen eine andere als in der freien Marktwirtschaft, die Anspruchsgruppen sind divers. «Der gesellschaftliche Auftrag steht bei zweckbasierten Organisationen an oberster Stelle. Es geht nicht darum, wie möglichst viel Profit, sondern darum, wie möglichst viel gesellschaftliche Wirkung erzielt wird», sagt Meyer, der jahrelang das Gesundheitsamt des Kantons Zug geleitet hat.
So steht der im Gesetz oder in der Satzung festgehaltene Zweck einer Organisation im Zentrum des Zuger Business Model Canvas für zweckbasierte Organisationen. Denn die Erfüllung des Zwecks limitiert den Aktionsraum der Organisationen, schränkt sie in strategischen Entscheidungen ein. Als Beispiel: Eine kantonale Suchtberatungsstelle kann nicht plötzlich entscheiden, Gewaltprävention anzubieten, nur weil sie feststellt, dass Bedarf dafür da ist – ausser sie hat einen entsprechenden gesetzlichen Auftrag.
Auch für Startups hilfreich
Bislang wurde das Zuger Business Model Canvas für zweckbasierte Organisationen vor allem in der Analysephase eines Strategieprozesses bei bestehenden Organisationen eingesetzt. Laut Matthias Meyer ist allerdings durchaus denkbar, dass sein Modell künftig auch für Startups aus dem Gesundheits- oder Nonprofit-Bereich hilfreich sein könnte, sei es in der vorliegenden oder einer modifizierten Variante. Weiterentwicklung ist schliesslich nicht nur für Organisationen zentral, sondern – wie die Dozierenden der Departemente Soziale Arbeit und Gesundheit mit ihren Modellen gezeigt haben – auch für die Tools, die dazu dienen.
Ein Labor für innovative Ideen
Die zündende Idee ist da – bloss: Wie kann sie umgesetzt werden? Welche Schritte müssen beachtet werden? Und wie lässt sie sich finanzieren? In diesen und vielen weiteren Fragen bietet das Social Entrepreneurship Labor seit diesem Frühling Studierenden, Alumni und Mitarbeitenden des Departements Soziale Arbeit, die eine eigene Projektidee umsetzen wollen, Unterstützung an. «Innerhalb des Departements Soziale Arbeit entstehen und entstanden viele Projektideen für spannende neue Angebote für die Praxis. Sie wurden bis heute aber noch nicht spezifisch durch ein internes Programm gesucht und in der Umsetzung gefördert», sagt Amanda Felber, Leiterin des Labors. Die Sozialwissenschaftlerin bringt Erfahrung aus Genossenschaften und Startups sowie aus der Freiwilligen- und Quartierarbeit mit und hat im vergangenen November begonnen, das Angebot aufzubauen. Seit April begleitet und unterstützt sie bereits erste Projekte.
Die Teilnahme am Labor ist ein Angebot der Förderstiftung für Soziale Arbeit Zürich. Projekte müssen mittels eines Antrags eingereicht werden und fünf Kriterien entsprechen. Unter anderem müssen sie unabhängig und nicht gewinnorientiert sein. Wird ein Projekt angenommen, stellt das Labor eine Projektbegleitung sowie punktuelles fachliches Coaching zur Verfügung, ebenfalls kann finanzielle Unterstützung durch die Förderstiftung für Soziale Arbeit Zürich beantragt werden.
Das Angebot heisst nicht zufällig Labor – laut Amanda Felber sollen Teilnehmende Ideen durchspielen und ausprobieren können und so Erfahrungen sammeln. Das Social Entrepreneurship Labor ist niederschwellig zugänglich: Wer eine Projektidee hat, kann Amanda Felber jeweils am 1. und 3. Dienstag jedes Monats um 13 Uhr zum Kaffee treffen (Toni-Areal, Zürich, Kafi Z, 6. Stock, Flachbau) oder per Mail kontaktieren.
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