«Wir sollten wählen können, ob wir durch einen Roboter gepflegt werden wollen»
Zahnprothesen reinigen, Drainagen leeren: Pflegefachleute können sich den Einsatz von Robotern durchaus vorstellen – innerhalb gewisser Grenzen. Überraschend aufgeschlossen zeigen sich Pflegebedürftige in einer ZHAW-Studie.
Paro ist der Vorreiter: ein süsses Kerlchen, gar nicht roboterhaft. Krault man seinen Hals, blickt er hoch und fiept. Sein Fell lädt zum Streicheln ein. Zuerst kam das Roboter-Robbenbaby aus Japan in der Geriatrie zum Einsatz, um Menschen mit Demenz zu beruhigen. Seit einigen Jahren wird es auch in der Kinderpsychiatrie genutzt. Paro hat Berührungs- und Lichtsensoren, kann Sprache erkennen und Namen lernen. Das Plüschtier gilt als einer der ersten «sozialen Roboter», die mit Menschen interagieren. Inzwischen sind andere, leistungsfähigere Maschinen verfügbar. Ein Beispiel ist Nao, ein französisches Produkt in menschenähnlicher Gestalt. Oder Lio, ein in Zürich entwickelter Assistenzroboter, der mit einem speziellen Greifarm auf die Tätigkeit in Pflegeeinrichtungen spezialisiert ist.
Entmenschlichung oder Entlastung?
Der Einsatz von Robotern in der Pflege ist umstritten. Angesichts des Pflegenotstands wecken sie Hoffnungen auf eine Entlastung des Personals, das permanent an der Grenze des Zumutbaren arbeitet. Zugleich aber mehren sich ethische Bedenken. Die Furcht wächst, dass die maschinelle Versorgung von Pflegebedürftigen zum Standard wird und eine Entmenschlichung in Spitälern, Altersheimen und Pflegeeinrichtungen Einzug hält.
Die Forschungslage sei trotz der brisanten Ausgangslage recht dünn, stellt Iris Kramer vom ZHAW-Institut für Pflege fest: «Es gibt noch kaum aussagekräftige Studien über die Auswirkungen einer Interaktion mit sozialen Robotern auf das Pflegepersonal und auf die Klientinnen und Klienten.» Kramer evaluierte deshalb in einem fünfköpfigen Team mit der Untersuchung «Soziale Roboter im Schweizer Gesundheitswesen» die Einsatzmöglichkeiten, Chancen und Risiken aus der Sicht von potenziellen Anwendungsgruppen. Die Ergebnisse stellten eine vertiefte Analyse aus den Ergebnissen der interdisziplinären Untersuchung «Soziale Roboter, Empathie und Emotionen» dar, die auch den Robotereinsatz an öffentlich zugänglichen Orten, in privaten Haushalten und im Bildungswesen untersucht hatte.
«In der Realität sind die Roboter halt noch nicht so weit wie in Science-Fiction-Filmen.»
Das Team um Iris Kramer stellte die direkt Betroffenen im Gesundheitswesen ins Zentrum der Studie. 15 Frauen und 11 Männer im Alter von 33 bis 93 Jahren hatten sich einen halben Tag Zeit genommen, um für die Forschung über soziale Roboter zu debattieren. Darunter waren Leute, die Pflege empfangen, also Bewohnerinnen und Bewohner eines Alters- und Pflegeheims, sowie eine Person einer Patientenvertretungsorganisation. Vertreten waren auch relevante Berufe im stationären und ambulanten Gesundheitsbereich, das heisst Pflegefachpersonen, eine Ärztin, Leute aus dem Management von Gesundheitseinrichtungen, aus der Therapie, IT-Fachkräfte und eine Person vom Sozialdienst.
Entertainer, Bedienung, Gedächtnistrainer
Zum Auftakt zeigten verschiedene Roboter den 26 Teilnehmenden den aktuellen Stand der Technik auf. Nao spielte Musik, tanzte und zeigte wie ein Physiotherapeut Bewegungen mit Kopf, Armen und Beinen zum Nachmachen. Dann folgte der Assistenzroboter Lio. Er holte einen Trinkbecher, den er präzise ergriff. Anschliessend leitete er eine Gedächtnisübung an. Pepper wiederum begann eine Unterhaltung mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Und schliesslich zeigten Videozusammenschnitte weitere Roboter bei der Arbeit – darunter natürlich auch Paro, das Robbenbaby.
Die Reaktionen seien höchst unterschiedlich ausgefallen, berichtet Iris Kramer. «Manche fanden es toll, mit Pepper zu plaudern.» Eine Pflegeheimbewohnerin aber hatte Angst vor den Robotern. Andere hätten sich enttäuscht gezeigt von den beschränkten Fähigkeiten der Roboter. «In der Realität sind die Roboter halt noch nicht so weit wie in Science-Fiction-Filmen», sagt Kramer schmunzelnd. Nao zum Beispiel konnte die Leute aus dem Heim nicht für seine Bewegungsübungen begeistern. Ob seine Programmierer die falschen Lieder ausgewählt hatten? Musikwünsche halfen nicht weiter, denn Nao versteht nur vorprogrammierte Sätze. Iris Kramer ist allerdings überzeugt, dass solche Unzulänglichkeiten bald verbessert sein werden: «Mit dem aktuellen Aufschwung der Künstlichen Intelligenz dürfte die technische Entwicklung rasch voranschreiten.»
«Die Maschine schlägt Alarm, wenn jemand nachts auf dem Gang zur Toilette stürzt. Das könnte die Angehörigen entlasten.»
Nach den Vorführungen teilte sich die Runde in Fokusgruppen auf und diskutierte die Chancen und Risiken solcher Roboter und ihre Einsatzmöglichkeiten. Vertieft wurden die Erkenntnisse mit einer Onlinenachbefragung. Aus Personalsicht gibt es demnach zahlreiche Aufgaben, für die sich Roboter eignen. Er könnte als persönlicher Assistent Pflegematerial holen, Medikamente richten, Drainagen leeren, Zahnprothesen reinigen, bei Umlagerungen helfen, zurückgestelltes Essen aufwärmen oder an Termine erinnern. Denkbar seien auch die Motivation bei der Physiotherapie, Unterstützung beim kognitiven Training oder Überwachungsfunktionen wie der Einsatz als Sitzwache.
Ersatz für fehlende menschliche Nähe
Bei den pflegebedürftigen Personen selbst lagen auf dem Spitzenplatz ebenfalls Dinge holen und bringen, seien das Zeitschriften, Essen oder Getränke. Oft wurde auch die Unterstützung bei der Körperpflege oder beim Umkleiden genannt, zum Beispiel Hilfe beim Anziehen von Socken, aber auch in technischen Belangen, etwa beim Telefonieren. Manche Heimbewohnerinnen und Heimbewohner würden durchaus Roboter als Ersatz für fehlende menschliche Nähe nutzen: zur Alltagsbegleitung bei Einsamkeit, zum Spielen, um Gesellschaft zu leisten, zum Plaudern, Dolmetschen oder um beim Spaziergang Sicherheit zu geben. Auch ein Einsatz als Sexroboter wurde genannt.
Mit anderen Worten: Soziale Roboter verhelfen im besten Fall zu mehr Autonomie – auch daheim bei Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Die Maschine erinnert zum Beispiel daran, zu trinken, die Medikamente zu nehmen – oder schlägt Alarm, wenn jemand nachts auf dem Gang zur Toilette stürzt. «Das könnte auch die Angehörigen entlasten», sagt Iris Kramer.
Wo die einen Chancen sahen, warnten andere vor Risiken. So bei möglichen Verletzungen der Privatsphäre durch Bild- und Tonaufnahmen sowie andere verarbeitete Daten. Sicherheitsbedenken wurden laut. Ist gewährleistet, dass der Roboter einer Diabetespatientin nicht irrtümlich ein zuckerhaltiges Getränk bringt? Wer haftet bei Fehlern? Skepsis gab es auch bei der Entlastung des Pflegepersonals, wenn es die neue Aufgabe der Überwachung, Wartung und Einsatzplanung der Roboter aufgebürdet bekommt. Eine der grössten Gefahren sei der Verlust emotionaler Nähe, wenn Menschen nur noch von Maschinen nach einem mechanischen Schema betreut werden.
Es sei deshalb wichtig, dass der Aufgabenbereich eines sozialen Roboters vor Einsatz gezielt festgelegt werde, folgert die Studie. Das Recht auf menschliche Pflege müsse gewährleistet sein: «Betroffene Personen sollten stets wählen können, ob sie durch einen Roboter oder durch einen Menschen gepflegt oder betreut werden möchten.»
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