Barrierefreier Tourismus: Damit Ferien nicht zu Hürden werden
Das Bett ist zu hoch, das Zimmer zu klein oder die Auffahrt zu steil. Menschen mit einer Beeinträchtigung stossen in den Ferien immer wieder auf Probleme. Ein internationales Forschungsprojekt hat Hürden für Touristen in der Bodenseeregion eruiert – und Lösungen gefunden.
Ein älteres Ehepaar möchte ein Wochenende in einem Hotel am Bodensee verbringen. Es ist für sie nicht einfach zu verreisen, denn er sitzt im Rollstuhl und ihr Sehvermögen ist stark beeinträchtigt. Deswegen haben die beiden bei der Buchung viele Fragen: Ist das Zimmer gross genug, um sich mit dem Rollstuhl darin zu bewegen? Erreicht man mit dem Lift alle nötigen Räume? Gibt es barrierefreie Parkplätze?
Als die beiden im Hotel ankommen, tauchen neue Hürden auf: Im Lift gibt es nur einen Touchscreen, den Menschen mit schwacher Sehkraft nicht bedienen können. Der Spiegel ist im Badezimmer so hoch, dass sich der Mann im Rollstuhl nicht sieht beim Zähneputzen. Und den geplanten Ausflug müssen die beiden abbrechen – im Postauto hat es schlicht keinen Platz für den Rollstuhl.
200 Barrieren eruiert
Das Ehepaar ist ein Beispiel für ältere Personen und Menschen mit einer Beeinträchtigung, die beim Reisen immer wieder auf Hürden stossen. Für das Forschungsprojekt «Barrierefreier Tourismus im Bodenseeraum» haben Forscherinnen und Forscher Personen mit Seh- oder Hörproblemen, im Rollstuhl oder mit kognitiven Einschränkungen befragt. 200 solche Barrieren wurden gesammelt. Das Projekt war Teil des Living Lab für «Active and Assisted Living» der Internationalen Bodensee-Hochschule. Geleitet wurde das Projekt von der ZHAW in Zusammenarbeit mit sieben Partnerinstitutionen.
«Im Projekt betrachten wir neben Barrieren auch Pains», sagt Co-Projektleiter und ZHAW-Professor Hans-Peter Hutter. «Denn wenn Pains zu gross werden für die Betroffenen, werden sie zur Barriere. Schon die Angst vor einer Barriere kann dazu führen, dass die Betroffenen die Reise gar nicht erst antreten.» Die Befragung habe gezeigt, dass die meisten Barrieren vermeidbar gewesen wären, sagt Hutter. Sie beruhen oft auf fehlenden, veralteten oder ungenauen Informationen auf der Website der Hotels oder der Buchungsportale. Dies nahm das Forschungsprojekt in einer zweiten Phase in den Fokus.
Notfalluhr, Apps und Sprachassistent
Ein Dutzend Personen mit Beeinträchtigungen verbrachten im Rahmen des Projekts einige Tage in barrierefreien Hotels rund um den Bodensee. Sie erhielten dabei technologische Unterstützung. Es kamen Partnerorganisationen zum Zuge, etwa die Berner Stiftung Claire & George, die eine Plattform betreibt für barrierefreies Reisen. Ebenso wurden die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer mit einer Notfalluhr ausgerüstet, und ihnen wurden zwei Reiseapps zur Verfügung gestellt. Im Hotelzimmer hatten sie zudem Zugang zu einem von der ZHAW entwickelten Sprachassistenten.
«Oftmals fühlt man sich als Tourist mit Beeinträchtigungen in den Hotels nicht willkommen, weil den Angestellten die Sensibilität fehlt.»
Auch der Co-Projektleiter und ZHAW-Professor Alireza Darvishy nahm selber am Feldversuch teil. Er ist seit seiner Jugend stark sehbehindert. «Ich habe wunderbare Tage in Heiden verbrach», sagt Darvishy. Allerdings stiess auch er auf Hindernisse: «Im Restaurant legte man mir ein Papiermenü hin, das ich nicht lesen kann.» Oftmals fühle man sich als Tourist mit Beeinträchtigungen in den Hotels nicht willkommen, weil den Angestellten die Sensibilität fehle, sagt Darvishy. «Das ist gar kein böser Wille, sondern oft einfach Unwissen.» Ebenso wichtig wie die technologische Unterstützung sei daher, dass die Hotels ihre Mitarbeitenden sensibilisieren.
Positives Echo beim Feldversuch
Wie Darvishy waren die meisten Teilnehmenden des Feldversuchs zufrieden. Lediglich ein Rollstuhlfahrer musste den Aufenthalt abbrechen – die Toilettenschüssel war zu hoch, und es gab keine angemessene Alternative. Gelobt wurden die Informationen auf der Buchungsplattform der Stiftung, etwa eine 360-Grad-Sicht des Zimmers, ein Bild des Badezimmers und konkrete Angaben je nach Beeinträchtigung. Die Notfalluhr schätzten diejenigen, die damit mit ihrer Begleitperson kommunizierten. So musste diese nicht vor der Toilette warten, sondern konnte zurückkehren, wenn sie über die Uhr gerufen wurde. Allerdings habe der Sturzalarm oft Fehlalarme ausgelöst und die vier Knöpfe seien nicht für alle leicht zu bedienen, sagen die Projektleiter.
Spiele und Musik vom Sprachassistenten
Die Reiseapp nutzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kaum, da die meisten per Auto anreisten und mit Google Maps gut bedient waren. Auch die Ginto-App mit Informationen über barrierefreie Ausflugsziele wurde nicht so oft benutzt. Zwar waren dort Informationen über die Ausflugsziele zu finden, aber nichts dazu, ob man dort überhaupt hinkommt.
Der Sprachassistent im Zimmer hingegen sei ein Highlight gewesen, sagen die Projektleiter. Viele hätten sich noch detailliertere Informationen gewünscht, etwa zu Abfahrtszeiten von Schiffen. Schnell fanden sie auch heraus, dass der Mini-Computer auf Sprachabruf nicht nur Informationen zeigt, sondern auch zum Spielen und Musikhören taugt.
«Wichtig ist, dass der Mensch im Zentrum steht. Anwendungen sollten von Beginn weg nutzerzentriert entwickelt werden und individuell anpassbar sein.»
Es habe sich gezeigt, dass die technologische Unterstützung hilfreich sein könne, sagt Hans-Peter Hutter. Wichtig sei, dass der Mensch im Zentrum stehe. Anwendungen sollten von Beginn weg nutzerzentriert entwickelt werden und individuell anpassbar sein. «Wenn eine Anwendung schwierig zu bedienen ist oder zu wenig adäquate Informationen bietet, wird sie schlicht nicht genutzt.»
Es gäbe noch viel zu tun, sagt Alireza Darvishy. Das sei auch den Hotels bewusst, die Personen mit Beeinträchtigungen als Zielgruppen erkannt hätten. Da liege ein grosses Potenzial brach.
Barrierefreie Fusswege
Aufgrund des Projekts werden die Buchungsplattform und die technischen Hilfsmittel weiterentwickelt. Und auch die ZHAW-Forscher kümmern sich um Folgeprojekte: Hutter und Darvishy nehmen als Nächstes barrierefreie Fusswege unter die Lupe. Damit Menschen mit Beeinträchtigungen nicht nur im Hotel gut aufgehoben sind, sondern auch Spaziergänge unternehmen können.
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