Die Virtual-Reality-Brille als Tor zur realen Welt
Hält Virtual Reality (VR) körperlich beeinträchtigte Menschen geistig fit und lässt sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben? Und wie müssen die Inhalte gestaltet sein, damit sie für ältere Menschen zum Erlebnis werden? Eine ZHAW-Studie soll dies ermitteln.
«Tor», jubelt Franz Müller. Der 80-jährige, gehbehinderte Mann sitzt zu Hause auf seinem Sofa und erlebt das Spiel dank Virtual-Reality-Brille fast so, als wäre er wie sein Enkel live im Stadion dabei. Beim nächsten Besuch werden sie dann über Können und Versagen von Spielern und Schiedsrichter fachsimpeln. Müller freut sich schon darauf. Sein Enkel hat ihm die VR-Brille zum Geburtstag geschenkt und gezeigt, wie sie funktioniert.
VR für zu Hause oder in Einrichtungen
Das Beispiel ist erfunden, doch so ähnlich stellen sich Forschende der Fachstelle für Customer Experience & Service Design am ZHAW-Institut für Marketing Management soziale Teilhabe körperlich beeinträchtigter Menschen vor und planen ein Projekt dazu. Projektleiter Wolfgang Schäfer ist überzeugt: «Mit VR könnte man auch dann spontan in ein Konzert oder ins Museum, wenn man körperlich eingeschränkt ist oder auch die finanziellen Mittel etwas bescheidener sind.» Solche Brillen können privat, aber auch in Einrichtungen eingesetzt werden.
«VR könnte ebenso helfen, eventuelle intergenerationelle Konflikte zu mindern, die meist dann entstehen, wenn sich ältere Menschen abgehängt fühlen.»
Die Fachstelle für Customer Experience & Service Design beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Frage, inwieweit Seniorinnen und Senioren die neuen Technologien nutzen. Man weiss, dass Tablets sehr gut bei ihnen ankommen. Doch wie sieht das mit VR-Brillen aus?
VR nicht nur für Demenzkranke
Andere Studien zum Einsatz von VR-Brillen bei Demenzkranken zeigten positive Auswirkungen. Ihnen wurden Bilder aus den 50er und 60er Jahren von Städten aufgespielt, in denen sie einst lebten. Sie wurden so in ihre Jugend versetzt. «Wir wollen nun untersuchen, wie sich das bei geistig aktiven Menschen, die körperlich beeinträchtigt sind, verhält, und zwar mit aktuellen Übertragungen von Kultur- oder Sportveranstaltungen», so Schäfer.
Mit VR geistige Fitness trainieren
Können Seniorinnen und Senioren mittels VR-Brillen ihre geistige Fitness trainieren? Erhalten sie dabei das Gefühl, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben? Dann etwa, wenn sie ein Konzert der Wiener Philharmoniker so erleben, als sässen sie den Musikern gegenüber, während ihre Tochter dieselbe Musik live im Konzertsaal hört. Fühlen sie sich dann «mitten im Leben», wenn sie sich mit anderen über aktuelle Veranstaltungen austauschen können, die sie zwar virtuell, aber wie in der Realität erlebt haben?
Generationen verbinden
«VR könnte ebenso helfen, eventuelle intergenerationelle Konflikte zu mindern», sagt Schäfer. Diese Konflikte entstehen meist dann, wenn sich ältere Menschen abgehängt fühlen, wenig Neues mehr erleben und deshalb die Vergangenheit verklären, nach dem Motto «Früher war alles besser», sagt Schäfer. VR könnte fürs lebenslange Lernen eingesetzt werden. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie die Inhalte aufbereitet sein müssen, damit sie verständlich sind und von älteren Menschen als gutes Erlebnis wahrgenommen werden.
All diese Aspekte wollen die Forschenden in ihrem Projekt untersuchen. Vorstudien sind bereits abgeschlossen. Eines steht schon fest: VR-Brillen müssen weiterentwickelt werden, müssen leichter, einfacher bedienbar und kostengünstiger werden. Erst dann können mehr körperlich beeinträchtigte Seniorinnen und Senioren wie Franz Müller gemeinsame Erlebnisse mit ihren Enkeln und Kindern teilen.
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