Hochschulübergreifende studentische Initiative

Das «Murmeltier» könnte den Tunnelbau revolutionieren

20.06.2023
2/2023

Den Ansporn liefert ein internationaler Wettbewerb von Elon Musk. Ziel ist es, den Tunnelbau zu revolutionieren. Ganz an der Spitze kämpft ein Schweizer Team aus Studierenden mehrerer Hochschulen mit – und treibt die Kommerzialisierung einer neuen Tunnelbohrmaschine voran.

Wer heute Tunnelbau sagt, meint «Sissi». Die Bilder sind unvergessen, als die legendäre Tunnelbohrmaschine Sissi am 15. Oktober 2010 um 14.17 Uhr den Durchschlag in der Oströhre des Gotthardbasistunnels schaffte, des mit 57 Kilometern längsten Eisenbahntunnels der Welt. Der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger trug eine Statue der heiligen Barbara in den Händen, der Schutzpatronin der Bergleute. Neben ihm lächelte Amtsvorgänger Adolf Ogi in die Kameras. Heute steht die Tunnelbohrmaschine der Superlative im Verkehrshaus Luzern – zumindest ihr über neun Meter grosser Bohrkopf. Denn für das ganze 450 Meter lange und 225 Tonnen schwere Ungetüm fehlte der Platz.

Eine komplette Neuentwicklung

Doch Sissi erhält Konkurrenz. Ein junges Schweizer Team namens Swissloop Tunneling ist daran, die Veteranin vom Sockel zu stossen. Seit rund drei Jahren arbeitet das Team, bestehend aus Studierenden verschiedener Hochschulen, an einer Tunnelbohrmaschine, die viel mehr kann. Es handle sich um «eine komplette Neuentwicklung», erzählt Flavio Eisenring. Er hat als einer von zwei ZHAW-Masterstudenten im Softwareteam die Datenplattform für den Steuerungsmechanismus entwickelt.

Impressionen von Not-A-Boring-Competition in den USA

In Groundhog Beta sind Kabel, Pumpen, Rohre und viele elektronische oder mechanische Geräte in einem sehr engen Raum integriert. Hier wird die Maschine auf den Transport in die USA vorbereitet. / alle Fotos zVg Swissloop Tunneling

Ingenieurin und Ingenieure vom Team Swissloop Tunneling mit dem Bohrkopf von Groundhog Beta bevor er montiert wurde.

Vor dem Finale war das Team von Swissloop Tunneling mit letzten Tests an der Maschine und der ordnungsgemässen Verbindung aller Teilsysteme beschäftigt.

Und noch ein Test.

Die Startplattform wird parat gemacht.

Vorsichtig wird Groundhog Beta zur Startplattform transportiert …

Vorne bohren, hinten Tunnelwände verkleiden

Die neue Maschine arbeitet als multifunktionaler Tunnelbauroboter. Vorn bohrt er, gleich dahinter kleidet er die Tunnelwände aus. Das geschieht mit einem speziellen Kunststoffgemisch, das auf Polymeren basiert und sofort aushärtet. «Der Vorgang orientiert sich an 3D-Druckern, die ebenfalls mit Polymergranulaten arbeiten», sagt Flavio Eisenring. Das hat den Vorteil, dass das Material vergleichsweise günstig verfügbar ist. Und bei Spritzbeton würde das Aushärten zu lange dauern. Die Maschine ist dank einer hydraulischen Spezialsteuerung wendig. Sie kann engere Kurven bohren, als es mit herkömmlichen Methoden möglich ist, die starre, vorfabrizierte Elemente für die Verkleidung einsetzen. Dass sie das stützende Kunststoffrohr kontinuierlich fertigt, ist auch ein Vorteil in weichen Böden, die Sissi seinerzeit grosse Probleme bereiteten. Ziel ist es, pro Sekunde einen Zentimeter voranzukommen. Das sind pro Stunde 36 Meter – so viel, wie Sissi unter guten Bedingungen in solidem Gestein an einem ganzen Tag schaffte. 

«2024 wollen wir zeigen, dass unser Tunnelbau-Konzept des multifunktionalen Tunnelbauroboters funktioniert.»

Eugenio Valli, Vereinspräsident Swissloop Tunneling

Die Maschine hat auch schon einen Namen. Benannt sei sie nach einem der raffiniertesten tunnelbauenden Tiere, dem Murmeltier, wie Eugenio Valli sagt, der Präsident des Trägervereins. Natürlich nicht deutsch, sondern englisch: groundhog. Denn entstanden ist das Team Swissloop Tunneling im Herbst 2020 im Hinblick auf den Wettbewerb Not-A-Boring-Competition», den der US-Unternehmer Elon Musk auslobte. Damit will Musk neue Lösungen für den Tunnelbau fördern. Zuerst in kleinem Massstab, später für grössere Röhren. Hintergrund ist seine Vision der Hyperloops. Dieses Hochgeschwindigkeits-Transportsystem soll Personen und Güter in unterirdischen Röhren mit nahezu Schallgeschwindigkeit rascher und umweltfreundlicher als das Flugzeug und zugleich günstiger als die Bahn befördern.

Firmensponsoren, Stiftungen und Privatpersonen

Mehr als 400 Teams bewarben sich darum, an der ersten Austragung des Wettbewerbs im September 2021 in Las Vegas teilzunehmen. Swissloop Tunneling schaffte es mit «Groundhog Alpha», dem Prototyp, in den Final und schliesslich auf den zweiten Platz. Und dieses Jahr fand die zweite Austragung vom 25. März bis am 2. April im texanischen Bastrop statt. In der Zwischenzeit hatte das Schweizer Team, das über die Jahre in wechselnder Zusammensetzung mehrere Dutzend Studierende der ETH Zürich, der Universität St. Gallen, der ZHAW und weiterer Hochschulen umfasst, mit Hochdruck an Verbesserungen der Maschine gearbeitet und die Finanzierung für die nächste Runde sichergestellt. Rund drei Viertel des Budgets bestreiten Firmensponsoren mit Sach- und Geldleistungen. Der Rest stammt von Stiftungen und Privatpersonen.

Innovationspreis für das Murmeltier

In Bastrop traf das Schweizer Team mit «Groundhog Beta» auf vier weitere Finalisten und arbeitete sich wiederum auf den zweiten Platz vor. Das siegreiche Team der Technischen Universität München bohrte mit bis zu sieben Millimetern pro Sekunde eine Strecke von insgesamt fast zwölf Metern. Die Schweizer schafften einen knappen Meter, die übrigen drei Teams blieben ganz auf der Strecke. «Wir verloren viel Zeit wegen Problemen mit der elektronischen Steuerung und konnten erst spät mit Bohren beginnen», bedauert der Vereinspräsident Eugenio Valli. Doch die Jury zeichnete das Murmeltier mit dem Innovationspreis aus. Denn die Schweizer entwickelten ihre Maschine mit dem flexiblen Bohrkopf von Grund auf neu und überzeugten mit der kontinuierlich vor Ort gefertigten Tunnelauskleidung, während andere Teams mit modifizierten Standardlösungen arbeiteten. Der Innovationspreis macht Mut für die nächste Wettbewerbsrunde. «2024 wollen wir zeigen, dass unser Konzept funktioniert», sagt Eugenio Valli, der im vergangenen Herbst sein Masterstudium als Maschineningenieur an der ETH abschloss und nun in der Privatwirtschaft tätig ist.

Für Strom- und Wasserleitungen

Valli ist überzeugt, dass der Groundhog-Ansatz die Basis für zukünftige Tunnelbohrlösungen sein wird. Dabei denkt er nicht nur an die Röhren für Hyperloops, die noch Jahrzehnte auf sich warten lassen dürften. Perspektiven eröffnen bereits heute kleine Tunnels, zum Beispiel für Strom- oder Wasserleitungen oder die Kanalisation. Eine Gruppe aus den bisherigen Teammitgliedern von Swissloop Tunneling prüft deshalb, wo sich Möglichkeiten für eine Kommerzialisierung der Technologie abzeichnen.

Sissi erhält auch im Museum Konkurrenz. Das Verkehrshaus möchte die sieben Meter lange und 2,5 Tonnen schwere Groundhog Alpha gern ausstellen, zum Beispiel in der Innovations-Lounge.

Neue Talente sind gefragt

Um Groundhog Beta entsprechend optimieren und auch am kommenden Not-A-Boring-Competition im Jahr 2024 erfolgreich sein zu können, ist das Swissloop-Tunneling-Team stets auf neue motivierte Talente angewiesen. 

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