Die Stadt Winterthur: ein Reallabor für die ZHAW
Forschung in der Praxis: Die Stadt Winterthur und die ZHAW kooperieren im Bereich Smart City. Die Hochschule entwickelt Pilotprojekte, welche in der Stadt getestet werden. Und einige davon sind bereits im Einsatz.
Smart wird eine Stadt nicht von einem Tag auf den andern. Smart zu werden, bedeutet, viele kleinere und grössere Mosaiksteinchen über die Zeit zu einem grösseren Ganzen zusammenzusetzen, viele einzelne kleine und grössere Schritte zu gehen. Die Stadt Winterthur zum Beispiel hat in ihrer Strategie fünf Handlungsfelder für solche Schritte definiert: Energie, Mobilität, Smart Government, Bildung & Innovation sowie Wohnen, Gesundheit & Alter. Damit lehnt sie sich an das weit verbreitete Modell eines Rades an, das vor zehn Jahren vom amerikanischen Stadt- und Klimawissenschaftler Boyd Cohen entwickelt wurde. Das unterteilte Rad soll Verbundenheit und Vernetzung der Massnahmen und auch der Ziele illustrieren.
Die Handlungsfelder Energie und Mobilität betrifft zum Beispiel das Winterthurer Projekt «Zusammenschluss zum Eigenverbrauch ZEV»: In drei Pilotarealen in Winterthur – eine Gewerbezone, eine gemischte Zone sowie ein reines Wohngebiet – sollen sich Firmen und Bevölkerung zusammentun, um Solarenergie zu produzieren und zu speichern. Weiter ist auch das gemeinsame Benützen von Elektrofahrzeugen vorgesehen.
Damit sollen zwei Probleme der Energiewende angegangen werden: der schleppende Ausbau von Solarenergie in der Schweiz und der fossil betriebene Individualverkehr. Schon umgesetzt ist ein anderes Projekt: Unter dem Motto «Wir fahren smart» dreht ein elektrisch betriebener Kehrichtlastwagen seine Runden durch Winterthur – als gewollter Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung.
Theorie trifft Praxis
Beide Projekte sind Beispiele für die Kooperation der Stadt Winterthur mit der ZHAW: Die Hochschule führt in und für Winterthur Pilotprojekte zu Smart-City-Themen durch, und die Stadt versteht sich dabei als «Living Lab», als Reallabor und Teststadt für die Forschung zu Smart-City-Themen, wo soziale und technologische Innovationen zum Einsatz kommen sollen.
«Ziel ist, eine vernetzte Stadt zu schaffen, mit hoher Lebensqualität und effizientem Ressourceneinsatz.»
Bindeglied, Schnittstelle und Vernetzer zwischen Stadt und Hochschule ist Vicente Carabias: Er ist einerseits Schwerpunktleiter Nachhaltige Energiesysteme und Smart Cities am Institut für Nachhaltige Entwicklung der School of Engineering sowie Koordinator der ZHAW-Plattform Smart Cities & Regions. Andererseits leitet Carabias auch die Fachstelle Smart City & Nachhaltigkeit im Bereich Stadtentwicklung der Stadt Winterthur. In der Stadtverwaltung setzt er mit Kolleginnen und Kollegen, Praxispartnerinnen und Praxispartnern um, was sein Team an der ZHAW erforscht. Zudem ist die ZHAW auch im Innovationsteam Smart City der Stadt vertreten, wo neben den Vertreterinnen und Vertretern aller Stadtdepartemente auch die ZHAW mit der School of Engineering und der School of Management and Law Einsitz hat.
So hat die School of Engineering zum Beispiel mit einer Lebenszyklus-Analyse getestet, wie nachhaltig das E-Kehrichtfahrzeug im Betrieb ist. Die grossen Fragen für die Forscher drehten sich um die Batterie: die Grösse, die Ladeart und die Strombereitstellung. Denn der Elektromotor muss volle 26 Tonnen bewegen – so schwer ist das Fahrzeug. Geforscht oder getestet wird innerhalb dieser Kooperation weiter an Projekten wie der WinLab-Ko-Kreationsplattform oder der Energiespar-App «Social Power». Schon im Einsatz ist das Spiel «Virtual Smart Winti Hero» wie auch die Community-Plattform für das Quartier Neuhegi als Modul der Winterthur-App.
Smarte Nachhaltigkeit
Für Vicente Carabias ist Winterthur deshalb auch nicht von ungefähr das Lieblingsbeispiel einer smarten Stadt: «Es soll eine fortschrittliche, vernetzte Stadt geschaffen werden, die sich durch eine hohe Lebensqualität bei gleichzeitig effizientem Einsatz der benötigten Ressourcen auszeichnet», umschreibt Carabias das Ziel der Stadt. Die Stadt will damit auf Entwicklungen wie Digitalisierung, Urbanisierung, Klimawandel und Umbau der Infrastruktursysteme im Energie- und Mobilitätsbereich reagieren. Oder wie es Carabias kurz zusammenfasst: «Wir müssen die Energiewende schaffen.»
Swiss Smart City Survey 2022
Bereits zum zweiten Mal nach 2020 hat das INE Institut für Nachhaltige Entwicklung der School of Engineering dieses Jahr den «Swiss Smart City Survey» durchgeführt. Darin wurden 82 Städte in allen Schweizer Sprachregionen nach dem aktuellen Stand und ihren Umsetzungsaktivitäten befragt. Die Bestandesaufnahme einer solchen Smart-City-Landschaft soll Lösungen, Rahmenbedingungen, Treiber und auch Hürden aufzeigen. Dabei zeigte sich auch bei der diesjährigen Umfrage: Der Knackpunkt sind die personellen Ressourcen. Mangelndes Personal steht an erster Stelle bei den Antworten der Städte auf die Frage, welches die grössten Hürden auf dem Weg zu einer Smart City sind. Diese Hürde ist in den letzten zwei Jahren sogar noch grösser geworden, wie auch das Silodenken innerhalb der Verwaltung, das bei den genannten Antworten an dritter Stelle steht. Gerade bei den technologiegetriebenen und digitalisierten Anwendungen und Plattformen stelle sich die Frage, wer solche Plattformen oder Apps in der Praxis verwalte und «bespiele», sagt Vicente Carabias, Leiter des INE. Etwas entspannt hat sich die Situation dagegen bei den finanziellen Ressourcen, und immer mehr Städte haben ihre Bestrebungen bereits in einer Strategie zusammengefasst.
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