Er ist Hebamme und Jurist
Von Teneriffa über England und Österreich nach Winterthur: Jonathan Dominguez Hernandez ist schon viel in Europa herumgekommen. Genauso vielfältig ist sein beruflicher Werdegang. Seit letztem Sommer ist er an der ZHAW als Dozent im Masterstudiengang für Hebammen tätig.
Es ist nicht das erste Interview, das Jonathan Dominguez Hernandez gibt. Schon an früheren beruflichen Stationen in England und Österreich sorgte «die männliche Hebamme aus Teneriffa» für Aufsehen. Der 42-Jährige willigt bei Medienanfragen ein, um anderen Mut zu machen: «Ich möchte Männer bestärken, diesen Beruf zu ergreifen, wenn sie eine Leidenschaft dafür haben.»
Über den Spanier gibt es aber mehr zu erzählen als nur, dass er ein Mann in einer Frauendomäne ist. Der Dozent im Master of Science Hebamme am Departement Gesundheit der ZHAW weist einen spannenden Lebenslauf auf. Begonnen hat er als Pfleger in seiner Heimat, der kanarischen Insel Teneriffa. Dort bekam es der Sohn eines Bauarbeiters immer wieder mit Müttern und ihren Neugeborenen zu tun, weil in Spanien stets Pflegefachkräfte die Wochenbettbetreuung übernehmen. Diese Arbeit gefiel ihm sehr.
Die erste männliche Hebamme Nordenglands
Teneriffa wurde ihm, so sehr er die Sonne und das Meer liebt, mit der Zeit zu eng. Er zog nach England. Auch dort arbeitete er zuerst in der Pflege. Dann eröffnete sich ihm durch ein Stipendium die Möglichkeit, Hebamme zu werden. Er war im Norden Englands tätig, wo er die erste männliche Hebamme war. «Von den schwangeren Frauen habe ich alle denkbaren Reaktionen erhalten. Manche waren erst überrascht, aber dann begeistert.» Andere lehnten eine männliche Hebamme ab, zum Beispiel aus religiösen Gründen oder weil sie sich nicht wohl fühlten damit. «Das war völlig in Ordnung und ich habe dann jeweils mit einer Kollegin getauscht», sagt der bekennende Feminist.
Auf das hören, was Frauen möchten und brauchen
Seine Haltung als Hebamme – auch bei den Männern lautet die Berufsbezeichnung so – ist, dass er auf die Frau hört. Darauf, was sie möchte und braucht. «Die Frauen sollen unter der Geburt ihre Selbstwirksamkeit erfahren. Ich sagte ihnen: ‹Ich bin da, ich versuche, Ihre Wünsche zu erfüllen.›» Das bedeutete für ihn auch, dass eine Frau zum Beispiel eine Periduralanästhesie (PDA) gegen die Schmerzen bekommen sollte, wenn diese ihr ein gutes Geburtserlebnis verschaffte. «Ich kläre natürlich über die Risiken auf, aber am Ende entscheidet die Frau.»
«Es ist ein einzigartiges Erlebnis, eine Frau dabei zu unterstützen, ein Baby auf die Welt zu bringen.»
Auch als Leiter einer Londoner hebammengeleiteten Ambulanz für übertragbare Krankheiten und Suchtkrankheiten in der Schwangerschaft setzte er sich zum Beispiel dafür ein, dass Frauen mit HIV nicht von vornherein zum Kaiserschnitt angemeldet wurden, sondern vaginal gebären konnten, sofern sie dies wünschten. Es sei ein einzigartiges Erlebnis, eine Frau dabei zu unterstützen, ein Baby auf die Welt zu bringen, sagt Jonathan Dominguez Hernandez mit einem Leuchten in den Augen.
Eine Tragödie bringt ihn zum Jurastudium
Neben der Hebammenausbildung hat Jonathan Dominguez Hernandez ein zweites Standbein: das Medizinrecht. Auslöser für sein Jurastudium war eine Tragödie: In einem Spital in einem Vorort Londons verlor eine Frau beim Kaiserschnitt das Leben. «Ich betreute sie zu Beginn der Geburt noch, dann war meine Schicht zu Ende und ich ging nach Hause. Am nächsten Morgen waren alle in Aufruhr, weil die Frau gestorben war.» Eine Untersuchung folgte, bei der alle Mitarbeitenden intensiv befragt wurden. «In England wird sehr schnell gegen ein Krankenhaus geklagt», erklärt Jonathan Dominguez Hernandez.
«Mich interessierte, welche Rechte Hebammen haben. Deshalb habe ich Medizinrecht studiert.»
«Mich interessierte, wie ich mich selbst schützen konnte und welche Rechte Hebammen in solchen Fällen haben. Deshalb habe ich einen Master of Law in Medizinrecht abgeschlossen.» Er absolvierte sein Referendariat in einer entsprechenden Kanzlei. «Ich fand es sehr interessant, mir kamen aber die Gefühle dazwischen, wenn ich eine Person verteidigen musste, bei der ich genau wusste, dass sie einen Behandlungsfehler gemacht hatte», erinnert er sich. Also kehrte er zurück zur Hebammenarbeit.
Von England nach Österreich
In England lernte Jonathan Dominguez Hernandez seine heutige Frau kennen, eine Hebamme mit österreichischen Wurzeln, die mehr als ein Jahrzehnt lang auf der britischen Insel gelebt hat. Als sich das erste Kind des Hebammen-Ehepaars ankündigte, zogen die beiden nach Voralberg. «Zuerst fand ich: Das geht nicht, ich kann ja kein Deutsch!», sagt Jonathan Dominguez Hernandez. Doch es ging, und während seine Frau eine Stelle als Hebamme antrat, lernte er zunächst Deutsch. Später arbeitete er als Hochschullehrer in Gesundheitswissenschaften an der Fachhochschule Voralberg.
Aber sein Herz schlug weiterhin vor allem für die Hebammenthemen. So gelangte er im August 2021 ans Institut für Hebammen der ZHAW. Hier unterrichtet er die Masterstudierenden und vermittelt ihnen evidenzbasiertes Wissen – Wissen über nachgewiesene Wirksamkeit und Zusammenhänge –rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Die Inhalte drehen sich um sogenannte Advanced-Practice-Kompetenzen, etwa die Konzeption und Einführung eines hebammengeleiteten Betreuungsmodells für schwangere Frauen in komplexen Situationen, wie zum Beispiel einer Risikoschwangerschaft.
«Hebammen können mehr, als sie manchmal wahrnehmen, und sollten auch neue Rollen einfordern.»
«Mir macht der Unterricht grosse Freude. Die Masterstudierenden sind ja schon ausgebildete Hebammen. Wir können thematisch in die Tiefe gehen», sagt Jonathan Dominguez Hernandez. Er hat beste Erinnerungen an sein eigenes Masterstudium: «Ich war jahrelang mit einem Bachelorabschluss in der Praxis tätig. Als ich meinen ersten Master absolvierte, haben sich meine Möglichkeiten in der Hebammenarbeit stark verändert, ich war besser informiert und konnte den Frauen mehr anbieten als zuvor. Ich hatte immer die evidenzbasierte Theorie im Kopf und bekam so quasi eine Helikopter-Optik.» Neben seinem juristischen Master hat er je einen in Public Health und Advanced Nursing Education absolviert.
Hebammenwissen in anderen Ländern
Den aktuellen Masterstudierenden möchte er mitgeben, dass Hebammen mehr können, als sie manchmal wahrnehmen, und dass sie auch neue Rollen einfordern sollen. «Hebammen könnten zum Beispiel bei der Entwicklung von Leitlinien im geburtshilflichen Bereich mitarbeiten.» Jonathan Dominguez Hernandez spricht hier aus Erfahrung. Aufgrund seiner Tätigkeit in anderen Ländern weiss er: «In England gehen die Frauen für die Schwangerschaftsvorsorge normalerweise zu einer Hebamme, in Spanien sind Hebammen auch ins Brustkrebs-Screening integriert. Ähnliche Modelle wären doch auch in der Schweiz denkbar.»
Die Kombination aus Dozieren und Forschen, wie sie an Schweizer Fachhochschulen üblich ist, reizt ihn sehr. Und läuft alles nach Plan, hat er im Jahr 2025 auch einen Doktortitel. Er wurde in ein Doktoratsprogramm der Universität Lancaster (GB) aufgenommen: «Ich will in meinem PhD die Angst von Frauen vor der Geburt untersuchen.» Wichtig ist ihm, dass die Frauen selbst zu Wort kommen, etwa durch Digital-Storytelling-Methoden.
Snowboarden statt surfen
Dem Vater einer achtjährigen Tochter und eines vierjährigen Sohnes wird es also so bald nicht langweilig. Vermisst er Teneriffa? «Natürlich», sagt er: «Aber das Leben dort ist hart geworden für die Einheimischen.» Mit seinen Kindern und seiner Frau teilt er in der raren Freizeit die Leidenschaft für den Wintersport: «Snowboarden erinnert mich ans Surfen auf Teneriffa.»
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