Foodwaste vermeiden ist ein super Business-Case
Seit über zehn Jahren setzt sich Umweltwissenschaftler Claudio Beretta mit dem Thema Foodwaste auseinander. Wie er zum Thema kam, was sich in seiner Schaffenszeit verändert hat, erzählt er hier.
Ob im Fernsehen, in Zeitungen oder auf Newsportalen: Wenn es um das Thema Foodwaste geht, kommt man um Claudio Berettas Expertise nicht herum. «Das geschieht automatisch, wenn man sich über zehn Jahre damit auseinandersetzt», sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter für Nachhaltigkeit und Foodwaste-Vermeidung im Ernährungssystem an der ZHAW. Seine wissenschaftliche Karriere startete er mit anderem Fokus: «Angetrieben vom Ziel, etwas Sinnvolles und praktisch Anwendbares zu studieren, interessierte mich die Humanmedizin.» Bald habe er realisiert, dass Gesundheit für Menschen auf einem kranken Planeten letztlich nicht möglich ist. So entschied er sich für ein Studium der Umweltnaturwissenschaften an der ETH.
Verein foodwaste.ch gegründet
Seine Masterarbeit soll nicht in der Schublade verstauben, und so kommt er auf das Thema Foodwaste. «Ich sah die übervollen Bäckereien vor Ladenschluss, die Abfallcontainer der Lebensmittelgeschäfte, doch es fehlten Zahlen und Studien.» Kurz vor Abgabe seiner Arbeit erfährt er, dass ein Student der Universität Basel am selben Thema arbeitet. Kurzerhand gründen die beiden den Verein foodwaste.ch, der sich der Information und Aufklärung verschreibt. Beretta doktoriert über Umwelteffekte von Lebensmittelverlusten und deren Vermeidungspotenzial. Seit drei Jahren arbeitet der 37-Jährige in einem 70-Prozent-Pensum in der ZHAW-Forschungsgruppe für Lebensmitteltechnologie, hauptsächlich in angewandten Forschungsprojekten, daneben hält er Vorlesungen und begleitet Studierendenprojekte.
Am Tisch mit den Akteuren
Zu seinen Projekten zählt etwa die Umsetzung des Aktionsplans gegen Lebensmittelverschwendung des Bundes: Foodwaste soll in der Schweiz bis 2030 im Vergleich zu 2017 halbiert werden. «Wir betreiben Monitoring, schlagen Massnahmen vor und begleiten die Umsetzung. In Arbeitsgruppen diskutieren wir mit Nachhaltigkeitsbeauftragten grosser Unternehmen und anderen Akteuren.» Dies gebe Einblick ins interne Spannungsfeld von Firmen, das die ganze Bandbreite vom Pioniergeist bis zur Unbeweglichkeit aufzeige. Auch die Entwicklung eines Leitfadens für Mindesthaltbarkeitsdaten oder eines Modells zur Erfassung von Foodwaste und der entsprechenden Ökobilanz zählen zu Berettas Projekten.
«Wenn man auf dem Feld mitarbeitet, ist die Wertschätzung gegenüber den Produkten höher.»
Trotz seiner Expertise kann es im Privatleben vorkommen, dass in seiner WG in Zürich etwas Essbares im Abfall landet. «Nur selten, aber am meisten ärgere ich mich, wenn ich die Haltbarkeit eines Produktes unterschätze.» Er wirkt dem entgegen, indem er sein Gemüse von einer Landwirtschaftskooperative bezieht und sich dort hin und wieder auf dem Hof engagiert. «Wenn man auf dem Feld mitarbeitet, ist die Wertschätzung gegenüber den Produkten höher.» Zudem werde das Geerntete nach Bedarf verteilt und die Transportwege blieben kurz. «Am höchsten ist dabei die positive Glücksbilanz: Wenn ich Lebensmittel vor dem Verzehr begleite, schmecken sie um Welten besser.»
Foodsharing statt Foodwaste
Für die Konsumentinnen und Konsumenten sieht er ein grosses Potenzial im Konzept des Foodsharing: Private holen mit eigenen Behältern überflüssiges Essen da ab, wo es anfällt. Dann verteilen sie es dort, wo es gebraucht wird. Im Idealfall bei hilfsbedürftigen Personen oder einfach an Orten, wo es rechtzeitig gegessen wird. «Wer neben dem Konsum etwas Zeit aufbringt, um überschüssiges Essen zu verteilen, spart Geld und kann Menschen eine Freude machen und das Foodwaste-Problem lösen. Der Blick hinter die Kulissen schafft zudem Verständnis, warum nicht immer alles verfügbar sein kann», sagt Beretta.
«Ich verstehe nicht, wieso die Politik noch nicht erkannt hat, was für ein super Business-Case die Vermeidung von Foodwaste ist: Jetzt zu investieren, schont Klima und Biodiversität und spart erst noch Geld.»
Ihm ist aber klar, dass dazu ein kultureller Wandel stattfinden muss, denn viele Menschen hätten Hemmungen, überschüssiges Essen einzupacken. «Wenn wir uns der Diskrepanz zwischen unserem Überfluss und der teilweise extremen Armut im Ausland bewusst sind und unseren Einfluss darauf wahrnehmen, verschwinden die Hemmungen sofort.» Mit seinen Aussagen wolle er keinesfalls ein schlechtes Gewissen auslösen. «Vielmehr möchte ich vermitteln, dass wir Dankbarkeit und ein Gefühl für bescheidenes Verhalten entwickeln können, eben weil wir in diesem nicht selbstverständlichen Überfluss leben.»
Geld sparen, Klima schonen
In seiner Freizeit bewegt sich Beretta gerne wandernd oder mit dem Velo in der Natur. Deshalb beschäftigt ihn die Biodiversitätskrise umso mehr, die sich auch darin zeige, dass derzeit täglich rund 130 Arten aussterben. Für die Biodiversitätskrise ist die Landwirtschaft durch den Einsatz von Pestiziden und Dünger massgeblich mitverantwortlich. «Ich verstehe nicht, wieso die Politik noch nicht erkannt hat, was für ein super Business-Case die Vermeidung von Foodwaste ist: Jetzt zu investieren, schont Klima und Biodiversität und spart erst noch Geld.» Er vermutet, dass es für weitere Aktionen von Politik und Staat erst existenzielle Katastrophen braucht. «Je schneller der Mensch entsprechende Ereignisse als Folgen des eigenen Handelns erkennt, umso weniger Opfer wird es in den nachfolgenden Generationen geben.»
Nichtsdestotrotz: Blickt er auf die letzten zehn Jahre zurück, sieht er auch Positives: «Das Thema ist präsent und es existieren nationale Arbeitsgruppen, wo gemeinsam Lösungen gesucht werden. Vor zehn Jahren war Foodwaste noch kein Thema.» Bei der Vermeidung von Foodwaste sieht er ein Licht am Horizont. «Es ist noch zu schwach, aber es gibt Hoffnung und wächst.»
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