Wie kann nachhaltiges Wohnen funktionieren?
Evelyn Lobsiger erforscht am Institut für Nachhaltige Entwicklung, wie wir mit unserem Verhalten und mithilfe von Technologien künftig nachhaltiger wohnen können. Dass das in der Praxis nur gemeinsam mit Bewohnenden geht, ist für die ZHAW-Forscherin dabei ein besonders reizvoller Teil ihrer Arbeit.
Das Zusammenspiel zwischen Technologien und Naturwissenschaften und dessen Einfluss auf die Menschen, haben Evelyn Lobsiger schon immer fasziniert. «Wie geht die Gesellschaft mit neuen Technologien um, welche Bedürfnisse und welche Erwartungen hat sie an die Technik und was löst dies wiederum bei den Menschen aus? Diese Fragen treiben mich an», sagt Evelyn Lobsiger, die am INE Institut für Nachhaltige Entwicklung als wissenschaftliche Mitarbeiterin unter anderem zu den Bereichen Nachhaltige Energiesysteme, Smart City und Energy Behaviour forscht.
Verhaltensänderungen nötig
Zur Veranschaulichung nennt Lobsiger die drohende Energiemangellage und den damit stärker werdenden Druck zur Energiewende: «Gerade hier erkenne ich bei vielen Leuten eine wachsende Erkenntnis, dass neue Technologien und Effizienzmassnahmen allein nicht ausreichen, um die Energiewende und eine Verringerung der Ressourcennutzung zu realisieren.» Vielen sei bewusst, dass es Veränderungen in unserer Lebensweise und damit auch in unserem Verhalten brauchen wird. «Die Herausforderung für uns Forschende ist es dabei, zu zeigen, dass das nicht unbedingt Verzicht bedeutet und als etwas Negatives gesehen werden muss», ist Lobsiger überzeugt.
Brückenfunktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
Genau hier sieht sich die Forscherin auch in einer Art Brückenfunktion, um den Menschen aufzuzeigen, wo Technologien den Menschen behilflich sein können, aber auch wo deren Grenzen sind. Oft fängt die Herausforderung für sie aber schon früher an: «In vielen Fällen wirken bei Forschungsprojekten Menschen mit, die der Thematik bereits positiv gegenüberstehen. Die Schwierigkeit ist es deshalb, Teilnehmende aus anderen gesellschaftlichen Gruppen zu finden, um so Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die möglichst viele Menschen erreichen», erklärt Lobsiger.
Lokstadt in Winterthur: Zusammen nachhaltiger wohnen
Ganz konkret lassen sich aktuell die Herausforderungen der Forschungsarbeit von Evelyn Lobsiger bei der Entstehung des Winterthurer Stadtteils Lokstadt beobachten, wo aus alten Industriegebäuden unterschiedliche Formen des Wohnens entstehen. Neben Mietwohnungen und Eigentumswohnungen gibt es dort auch Wohnungen der Gesewo, einer Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen, und Wohnungen der Genossenschaft GAIWO, die Alterswohnungen unterhält.
«Letzten Endes geht es bei allen Interventionen um die Erhöhung der Lebensqualität, wobei die Einsparung von CO2 und die Reduzierung des Energieverbrauchs im Vordergrund stehen.»
Dort angesiedelt ist auch ein Teil des Forschungsprojekts SWICE (Sustainable Wellbeing for the Individual and the Collectivity in the Energy Transition), bei dem es darum geht, den Energieverbrauch beim Wohnen und Arbeiten mittels nachhaltiger Systeme, die sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten, zu senken. Evelyn Lobsiger leitet darin ein Arbeitspaket, wo zusammen mit Bewohnenden, Genossenschaften, Stadt und Unternehmen in der Lokstadt mögliche Interventionen für ein nachhaltiges Leben entwickelt und partizipativ umgesetzt werden sollen. «Bei diesem Projekt waren die Genossenschaften stark motiviert mitzumachen und zeigten sich schnell engagiert, bei den privat vermieteten Wohnungen reagierten die Verwaltungen noch etwas zurückhaltender», beobachtete Lobsiger.
Vom Veloverleih bis zu Coworking-Spaces
Innerhalb des Projekts werden in Workshops mit Bewohnenden aus möglichst allen Wohnformen Interventionen entwickelt. Vorstellbar seien etwa ein wöchentlicher Markt mit regionalen Produkten, ein Lastenvelo-Verleihsystem, eine App, mittels deren man Werkzeuge und Geräte untereinander verleihen kann, oder sogar Werkstätten und Coworking-Spaces. «Letzten Endes geht es bei allen Interventionen um die Erhöhung der Lebensqualität, wobei die Einsparung von CO2 und die Reduzierung des Energieverbrauchs im Vordergrund stehen», nennt Lobsiger eines der Ziele des Projekts.
Durch Befragungen vor und nach den Interventionen soll herausgefunden werden, ob sich die Verhaltensweisen der Bewohnenden durch die Interventionen geändert haben. Ziel ist es, dadurch verschiedene Lebensstil-Typen herauszufiltern. «Wenn man weiss, wo bestimmte Lebensstil-Typen wohnen, kann man dort gezielt passende Interventionen anbieten.»
Nachhaltige Erlebnisse bei Tür-zu-Tür-Befragung
Der Austausch mit den Bewohnenden ist für Evelyn Lobsiger der spannendste Teil ihrer Arbeit und sorgt immer wieder für einprägsame Erlebnisse: Bei einer Tür-zu-Tür-Befragung, bei der Bewohnende zum Zusammenleben in der Nachbarschaft befragt wurden, machte den Forschenden eine Familie aus Sri Lanka die Türe auf. «Wir konnten uns jedoch nicht austauschen, da sie weder deutsch noch englisch sprachen und wir kein Tamilisch konnten. Mit Händen und Füssen machten sie uns aber klar, dass ihre Tochter bald nach Hause komme. Sie konnte schliesslich unser Anliegen übersetzen – das sind für mich schöne Momente, denn nur durch eine schriftliche Befragung oder einen Workshop auf (Schweizer-)Deutsch wären wir nie an diese Familie herangekommen.»
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