Upcycling: Alltagsoase vor der Haustür
Gemeinsam mit der Bewohnerschaft baut die ZHAW-Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit» im Rahmen eines Forschungsprojekts an einem Pavillon als Treffpunkt: mit Materialien, die sonst entsorgt würden. Die Idee dazu stammt von den Anwohnerinnen und Anwohnern selbst.
Holzfenster mit abgeblätterter Farbe, dicke Kartonrohre, Bretter, Latten und Türen lagern feinsäuberlich nummeriert im Rundbogenzelt neben dem Quartier Hohrainli in Kloten. Eine Frau studiert den Bauplan und ruft: «Brett Nummer 14!» Eingepackt in Mützen und Handschuhe, holen zwei Erwachsene das Brettschichtholz ab und schrauben es zu einer Stütze zusammen. Daneben schleifen Kinder alte Fensterrahmen ab.
Kurze Wege
Die ZHAW-Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit» am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen baut gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern einen Pavillon für die Nachbarschaft. Der «GartenParkTreff» soll ein sozialer Treffpunkt werden – ein Ort, der schon lebt und funktioniert, wenn das Quartier in den nächsten 30 Jahren verdichtet wird. Das Projekt ist ein kleiner Baustein zu einer Siedlung, die kurze Wege, Bewegung und Begegnung fördert: Ein Wohnquartier, in dem die Freizeitmobilität verringert wird, weil das Schöne direkt vor der Haustüre liegt.
Aus Alt mach Neu
Das Besondere dabei: Die Gruppe verwendet für den Bau weitgehend Materialien, die ansonsten weggeworfen würden. «Wir möchten der heutigen Konsumgesellschaft etwas entgegensetzen», sagt Projektleiterin Petra Hagen Hodgson. Das Thema Wiederverwendung ist in der Bauindustrie hochaktuell: Um den CO2-Ausstoss durch die Herstellung von neuen Materialien zu verringern, möchte man Materialkreisläufe schliessen. Dabei ist die Wiederverwendung von ganzen Bauteilen wie Fenstern die direkteste Lösung. Im Pavillon betreibt die Gruppe jedoch auch Upcycling, wobei Elemente veredelt sowie auseinandergenommen und zu etwas Neuem zusammengesetzt werden.
«Anhand von Bildern beschrieben die Bewohnerinnen und Bewohner, wie ihr Pavillon aussehen soll.»
Das partizipative Projekt mit offenem Ziel startete mit vier Notizbüchlein. Während des ersten Lockdowns lagen sie im Quartier mit der Aufforderung «Was fehlt euch hier?» auf. Aus den zahlreichen Antworten destillierten die Forschenden drei Bedürfnisse heraus: mehr Blumen im Quartier, einen Garten und einen Pavillon als Café und für kleine Feste. «Anhand von Bildern beschrieben die Bewohnerinnen und Bewohner, wie ihr Pavillon aussehen soll», erzählt Hagen Hodgson.
Abbruch-Detektive
Nach den ersten Workshops begann die Forschungsgruppe mit der Suche nach geeigneten Materialien beispielsweise auf dem Entsorgungshof. «Das war richtige Detektivarbeit», sagt Hagen Hodgson und lacht. Auch dank ihrem Engagement beim Stadtzürcher Heimatschutz war die Kunsthistorikerin über aktuelle Abbruchstellen informiert. Da Arbeitskräfte für den Ausbau von Bauteilen teuer sind, mussten sie und ihre Kolleginnen oft selbst Hand anlegen. Werkzeug, Wissen, Arbeitskräfte, Transportmittel und Lagerstätte: Um Upcycling zu betreiben, braucht es viele Zutaten, und dementsprechend viele Hürden stellen sich.
Nach der ersten Sammelaktion erarbeitete Architektin und Projektpartnerin Gabriela Dimitrova, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Liechtenstein, mit der Gruppe einen Entwurf. Der Grundriss des Pavillons gleicht einem Schneckenhaus, in dessen Rundung sich die Fenster auffächern. Eine Rampe schlingt sich um den Bau und erschliesst den Hauptraum und die Toilette für Menschen im Rollstuhl. «Die Details können wir erst planen, wenn wir die Bauteile beisammenhaben», sagt Hagen Hodgson. Um das stetige Hin und Her zwischen Materialsuche und Entwurf zu vereinfachen, arbeitet das Team mit einem digitalen Modell. In diesem konnte die Architektin je nach Breite der gefundenen Fenster die Stützen verschieben.
«Ohne Zusammenarbeit mit Fachleuten geht es aber nicht.»
Die runden Punktfundamente aus Restbeton goss der Bautrupp aus Forschenden und Bewohnerschaft mit einer Schalung aus stabilen Teppich-Karton-Rohren, die ansonsten entsorgt worden wären. Darüber schwebt die Holzkonstruktion, die zum Teil aus Restholz besteht. «Ohne Zusammenarbeit mit Fachleuten geht es aber nicht», stellt Hagen Hodgson klar. Holzbaufirmen, Fensterbauer und Dachdecker leiten die Laien beim Bauvorgang an.
Nachbarn kennenlernen
«Endlich tut sich etwas in den leeren Aussenräumen», dachte Roman Walt, der von 2010 bis 2022 im Hohrainli wohnte. Für ihn war sofort klar, dass er sich engagieren möchte. Seine Frau ist im Quartier aufgewachsen. «Damals gab es noch einen Quartierverein, der solche Aktivitäten initiierte», erzählt er. Heute ist der Mieterwechsel in den günstigen Wohnungen unter der Flugschneise hoch und die Nachbarn leben zumeist anonym aneinander vorbei. «Beim Bau und vor allem beim Quartierfest, das wir gemeinsam organisiert haben, bin ich mit Menschen ins Gespräch gekommen, die ich nur vom Sehen kannte», sagt Walt. Als Gemeinderat von Kloten hat er den Austausch mit der Bewohnerschaft und die Gespräche über gesellschaftspolitische Fragen besonders geschätzt.
Mitgeschraubt und geschliffen hat auch Sibylle Hertig mit ihren zwei Kindern. Sie unterhält ein Beet im «GartenPark», dem vorherigen Projekt, das Grün und Gesundheit mit der Bewohnerschaft erstellte. Der gemeinschaftliche Garten ist nun schon in der nächsten Phase: Im Herbst wurde er den Beteiligten übergeben. «Im Frühling sehen wir, wie die Dynamik ist, wenn wir uns selbst organisieren», sagt Hertig. 2024, wenn sich die Forschungsgruppe aus dem Quartier zurückzieht, soll auch der Pavillon eigenständig funktionieren.
Lieber klein anfangen als aufgeben
Am Pavillonbau beteiligen sich gut 15 bis 20 Personen. Das sind wenige, wenn man bedenkt, dass 1400 Menschen im Hohrainli wohnen. Ist das Projekt ein Tropfen auf den heissen Stein? «Man könnte aufgeben und nichts tun», sagt Hagen Hodgson. «Oder der aktuellen Situation etwas entgegensetzen und irgendwo klein anfangen.» Sie ist sich sicher, dass die Teilnehmenden die Ideen weitertragen werden.
«Oft sieht man sein Umfeld als gegeben an und unternimmt nichts.»
Ihre Beobachtungen, die vielen Gespräche und die Interviews mit den Anwohnenden halten die Forschenden in Aktennotizen fest. Daraus leiten sie ab, welche Vorgehensweisen gut angenommen werden und wo die Partizipation an ihre Grenzen stösst: «Die Bewohnerinnen und Bewohner können vor allem abends oder am Wochenende mithelfen, dann arbeiten jedoch die Fachleute nicht», gibt Hagen Hodgson als Beispiel. Manchmal sei es auch schwierig gewesen, die Arbeiten sinnvoll aufzuteilen, erzählt Hertig. Ohne den Einsatz des ZHAW-Teams wäre der Bau wohl nicht möglich gewesen.
Direkter Austausch ist zentral
Walt ist dankbar, dass die ZHAW-Forschenden etwas ins Rollen gebracht haben. Er setzt sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Gemeinderat für das Projekt ein. Auch Hertig denkt, dass der Anstoss von aussen nötig war: «Oft sieht man sein Umfeld als gegeben an und unternimmt nichts», sagt sie. Nichtsdestotrotz gibt es kritische Stimmen, die denken, dass das städtische Grundstück hätte besser genutzt werden können. «Viele sind aber auch überrascht, was hier alles entsteht», erzählt Hertig. Auf dem Sitzplatz aus Steinplatten, den die Aktiven 2021 während drei Sommertagen erstellt haben, wird bereits rege grilliert und gelacht.
Erste Interessierte
Wichtig für Hagen Hodgson ist vor allem, dass die Projekte den Wünschen der Bewohnerschaft entsprechen. Obwohl sich die Gruppe über Whatsapp und Mail organisiert, seien 1:1-Gespräche am zielführendsten, sagt sie. «Da kommt mir zugute, dass ich in Italien aufgewachsen bin – und ebenfalls mein grundsätzliches Interesse an Menschen.» Sie könnte sich vorstellen, dass nach dem Einsatz der ZHAW eine Stelle für Quartierarbeit die organisatorischen Aufgaben übernähme. Dadurch gäbe es eine Ansprechperson für Leute, die den Pavillon nutzen möchten. Die ersten Interessenten haben sich schon gemeldet: Die Vereinigung Freizeit Kloten möchte eine Naturwerkstatt durchführen, der Kindergarten regelmässig im GartenPark spielen und die Altersbeauftragte der Stadt Kloten einmal im Monat ein Kaffeekränzchen veranstalten.
Siedlung der kurzen Wege
Das Modellvorhaben «Nachhaltige Raumentwicklung 2020–2024» des Bundes umfasst acht Projekte, die untersuchen, wie sich Siedlungsgebiete so weiterentwickeln lassen, dass Bewohnerinnen und Bewohner den Alltag zu Fuss meistern können. Das Projekt der ZHAW schlägt vor, dass die Verdichtung von Wohnquartieren von den Aussenräumen her gedacht und gestartet werden sollte, und testet dies im Klotener Quartier Hohrainli. Der gemeinschaftliche Pavillonbau wird von der Walder- und der Age-Stiftung unterstützt sowie von mehreren Firmen, die unter anderem Restmaterialien zur Verfügung gestellt haben.
Wissensportal für naturnahe Freiräume
Der Druck auf grüne Freiräume im Siedlungsgebiet steigt laufend. Bauliche Verdichtung, zunehmende Trockenperioden oder intensivere Erholungsnutzungen tragen dazu bei. Werden Freiräume hingegen naturnah geplant, realisiert und gepflegt, können damit wichtige Anliegen einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung umgesetzt werden: Biodiversität fördern, Hitze mindern, natürliche Ressourcen schonen, ökologische Kreisläufe schliessen und die Aufenthaltsqualität erhöhen. An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt Fokus Biodiversität der Forschungsgruppen Grünraumentwicklung, Pflanzenverwendung und Vegetationsökologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften an. In Zusammenarbeit mit zehn Schweizer Städten (Aarau, Bern, Cham, Kreuzlingen, Luzern, Neuchâtel, Schaffhausen, Thun, Wädenswil und Zürich) und mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) wurden Planungs- und Umsetzungshilfen für die Praxis entwickelt, die alle Beteiligten darin unterstützen, Biodiversitätsprojekte, Freiräume und Gebäudebegrünungen naturnah zu planen, zu realisieren und zu pflegen. Es entstand das Wissensportal für naturnahe Freiräume fokus-n.
0 Kommentare
Sei der Erste der kommentiert!