Konkrete Hilfe für Long-Covid-Betroffene
Drei Bachelorabsolventinnen des Departements Gesundheit waren am Aufbau der Long-Covid-Sprechstunde des Stadtspitals Zürich Waid beteiligt. Für die Umsetzung erhielt ihr Team den «SAMW-Award» für interprofessionelle Zusammenarbeit.
Im Frühjahr 2021 entschied die Leitung des Stadtspitals Zürich Waid, ein Angebot für Long-Covid-Betroffene aufzubauen. Zwei Ärzte, eine Psychologin, eine Physiotherapeutin sowie die Ergotherapeutin Amanda Ferrari trafen sich kurz darauf erstmals als interdisziplinäres «Board». Das Team begann praktisch «aus dem Stegreif», eine Long-Covid-Sprechstunde aufzubauen, wie sich die Ergotherapeutin erinnert. Hierzu befassten sie sich sich intensiv mit Informationen über vermutete Langzeitfolgen von Covid-19 und behandelten wenige Wochen später bereits erste Patientinnen und Patienten. Fortan bauten sie das Angebot «rollend» auf und ergänzten das Team etwa durch eine Neuropsychologin, den Sozialdienst, die psychosoziale Spitex sowie externe Fachpersonen aus der Neurologie und Hals-Nasen-Ohren-Medizin.
Via Hausarzt in die interdisziplinäre Sprechstunde
Seither wird die interdisziplinäre Sprechstunde von Anfragen überhäuft und hat nicht zuletzt dank der Auszeichnung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaft (SAMW) auch nationale Bekanntheit erlangt. Nutzen können das Angebot Personen, die auch zwölf Wochen nach einer Covid-19-Infektion noch unter Symptomen wie Müdigkeit, Atemnot, Schmerzen, Kreislauf- oder Magen-Darm-Problemen leiden. Meist überweist der Hausarzt sie ans Spital. In der Sprechstunde werden die Patienteninnen und Patienten zuerst ärztlich untersucht, und es werden zahlreiche Tests gemacht. Denn, so erklärt die ZHAW-Absolventin Amanda Ferrari: «Bei Long Covid geht es häufig um eine sogenannte Ausschlussdiagnostik.» So gebe es auch immer wieder Personen, bei denen andere oder zusätzliche Krankheiten entdeckt würden, die bis dahin «unter dem Radar» geblieben waren.
Behandlung wird gemeinsam abgesprochen
Mit Ergotherapie versucht man etwa jenen Klientinnen und Klienten zu helfen, die unter extremer Müdigkeit (Fatigue) leiden. Da Amanda Ferrari und ihre Kollegin Nadja Frei jedoch die einzigen Ergotherapeutinnen sind, sucht das Team bei Kapazitätsengpässen nach alternativen Einstiegsmöglichkeiten. So besucht zum Beispiel zuerst eine Pflegefachpersonen der Spitex die Patientinnen und Patienten (siehe Box), oder die Behandlung startet mit Physiotherapie.
Long-Covid-Spitex
ZHAW-Absolventin Linda Frei wirkt als Gründerin und Geschäftsführerin der Spitex Herzenssache an der Long-Covid-Sprechstunde des Stadtspitals Zürich Waid mit. Mit ihrem Team betreut sie Betroffene von Long Covid zu Hause und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur ganzheitlichen Betreuung.
In der Ergotherapie lernen die Patientinnen und Patienten, wie sie mit ihrer Fatigue umgehen können. «Diesen extremen Erschöpfungszustand könnten sich gesunde Menschen gar nicht vorstellen», sagt Nadja Frei. Ferrari und sie erfassen und analysieren die Fatigue zuerst anhand verschiedener Assessments und bauen dann das «Fatiguemanagement» auf: Mit Arbeits- und Merkblättern, die die Therapeutinnen selbst entwickelt haben, sollen die Klientinnen und Klienten im Alltag akribisch festhalten, welche Aktivitäten ihre «Batterien» subjektiv füllen und welche die Erschöpfung verstärken. «Verstärker» können zum Beispiel Lärm, Multi-Tasking-Situationen, aber auch Hitze, Licht und psychischer Stress sein. Da viele Betroffene aufgrund der Krankheit unter existenziellen Ängsten leiden, erfassen Ferrari und Frei diese besonders negativen Verstärker separat und überweisen die Klientinnen und Klienten bei Bedarf an die Psychologin im Team.
«Niemand von uns hätte denselben Erfolg mit Patienten, wenn wir uns nicht so vernetzt hätten.»
Genau diese interprofessionelle Zusammenarbeit macht die Stärke des Angebots aus. «Niemand von uns hätte denselben Erfolg mit Patienten, wenn wir uns nicht so vernetzt hätten», ist Ferrari überzeugt. Für die Ergotherapeutinnen war es insbesondere auch die Begegnung der verschiedenen Fachpersonen auf Augenhöhe, die diese Sprechstunde so besonders macht. Denn Hierarchien seien im Spital sonst noch sehr «normal». Im interdisziplinären Board lernten jedoch alle voneinander und jede und jeder werde als Spezialistin und als Spezialist in ihrem respektive seinem Fachbereich geschätzt. Für die Patientinnen und Patienten ist wichtig, dass sie mit ihren komplexen Problemstellungen erst einmal wahr- und ernst genommen werden. In der Ergotherapie schätzten sie laut Frei und Ferrari, dass sie ganz konkrete Anregungen erhielten, wie sie ihren Alltag erträglicher gestalten könnten.
Längerfristige Unterstützung wäre wichtig
Rund vier- oder fünfmal kommen die Fatigue-Betroffenen in die Ergotherapie. «Dabei sind gerade berufliche Übergänge wie der Wiedereinstieg oder das Aufstocken von Stellenprozenten kritische Momente, an welchen die Energie wieder crasht», sagt Amanda Ferrari. In ihrer Arbeit könne es daher notwendig sein, mit Arbeitgebenden oder Versicherungsgesellschaften Lösungen zu suchen. Eigentlich würden die Therapeutinnen die Klientinnen und Klienten gerne noch länger betreuen. Denn der Weg zurück ins Arbeitsleben braucht Zeit. Allerdings fehlen ihnen im Spitalsetting die Kapazitäten. «Wir finden es daher wichtig, dass künftig weitere Anschlusslösungen für Betroffene entwickelt werden.» Einzelne Anfragen in diese Richtung gebe es bereits von ambulanten Ergotherapiepraxen, aber auch von Spitälern.
Fatigue-Management an der ZHAW
Neben eigenen Arbeitsmitteln nutzen die Ergotherapeutinnen im Waid-Spital auch Material aus der Energiemanagement-Schulung (EMS), die ZHAW-Dozentin Andrea Weise ihnen vermittelte. Die Ergotherapeutin bietet am Therapie-, Trainings- und Beratungszentrum Thetriz am Departement Gesundheit Energiemanagement-Schulungen für Fatigue-Betroffene an. Zudem gibt sie Weiterbildungen für Ergotherapeuteninnen und -therapeuten, die sich in diesem Bereich fortbilden wollen.
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