«Offen, wahr und einheitlich kommunizieren»
In einer Krise leidet das Vertrauen der Stakeholder. Es gilt deshalb, aktiv und transparent zu kommunizieren. Doch oft müsse die Kommunikation als Sündenbock für schlechtes Krisenhandeln herhalten, sagt ZHAW-Kommunikationsexperte Markus Niederhäuser.
Eine Organisation muss eine Krise vor allem bewältigen. Wozu braucht es da Kommunikation?
Markus Niederhäuser: Krisen sind ja in der Regel Ereignisse oder Situationen, welche potenziell negative Auswirkungen auf die Geschäftsziele einer Organisation haben können. Unter Umständen sind diese Situationen sogar existenzbedrohend. Der Bedarf an aktiver und transparenter Kommunikation steigt in solchen Situationen dramatisch an, denn die Organisationen schulden ihren Stakeholdern Antworten auf Fragen wie: Wie bewältigt das Unternehmen die Krise? Wie ist es zu dieser Situation gekommen? Und was wird unternommen, damit sich eine solche Situation nicht mehr wiederholt? Letztlich geht es in der Krise darum, das Vertrauen in die Organisation und ins Management zu erhalten.
Gibt es Regeln für eine gute Krisenkommunikation?
In meinen Kursen vermittle ich jeweils acht goldene Regeln der Krisenkommunikation. Zusammenfassend lässt sich festhalten: In der Krise sollte verständlich, offen, wahr und einheitlich kommuniziert werden. Geschwindigkeit und Erreichbarkeit sind wichtig, und alle für die Organisation sprechenden Personen sollten mit einer Stimme sprechen. Erfolgreiche Krisenkommunikation kann ihre Geschichte, ihr Narrativ, überzeugend vermitteln.
Ein Beispiel dafür?
Der ukrainischen Regierung, mit ihrem Präsidenten Wolodimir Selenski als oberstem Krisenkommunikator, gelingt es extrem gut, ihr Narrativ des Krieges überzeugend zu vermitteln. Selenski kann Menschen sehr gut für sich einnehmen. Er setzt nur selektiv auf die klassischen Medien, verbreitet seine Botschaften lieber direkt an seine Zielgruppen. Wie zum Beispiel die Videoschaltungen an westliche Parlamente oder die Pressekonferenzen im Freien oder in den Tunnels der U-Bahn. Diese Bilder haben einen starken Symbolgehalt.
Was ist der grösste Fehler, der in der Krisenkommunikation gemacht werden kann?
Die Krisenfälle sind zu unterschiedlich, deshalb kann auch nicht von dem einen grössten Fehler gesprochen werden. Doch anderen die Schuld an der Krise zu geben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken, ist nie zielführend und oft auch gefährlich. Man muss bedenken: Die Schuld im juristischen Sinn wird oft viel später im Gerichtssaal entschieden, die Verantwortung hingegen ist in der Krise primär eine moralische Kategorie.
«Das Zusammenspiel von Krisenmanagement und Kommunikation ist eminent wichtig.»
Trägt die Kommunikation auch eine Verantwortung oder Schuld an einer Krise?
Es gibt in der Tat Krisen, die durch ungenügende Kommunikation verursacht oder zumindest vergrössert werden. Häufiger beobachte ich aber, dass die Kommunikation als schlecht gescholten wird, obwohl das eigentliche Krisenmanagement, also das Krisenhandeln, ungenügend ist. Die Kommunikation wird sozusagen zum Sündenbock gemacht. Dabei ist das Zusammenspiel von Management und Kommunikation eminent wichtig. Der Kommunikationsabteilung kommt dabei die Aufgabe zu, die Dramaturgie der Auftritte und die Botschaften klar zu definieren und andere Verantwortliche im Unternehmen zu beraten.
Wie geht man damit um, dass man zu einem Zeitpunkt informieren soll, bei dem man selbst noch nicht viel weiss und dazu noch unter grossem Druck steht?
Das ist in der Tat eines der grössten Probleme in der Krise: Die relevanten Dinge weiss man zu einem frühen Zeitpunkt noch nicht – zum Beispiel, warum ein Flugzeug abgestürzt ist. Auf der anderen Seite kämpft man mit einer Informationsüberflutung. Man denke nur an das Auswerten der Medienberichterstattung. Mit diesem Widerspruch muss man leben lernen. Wichtig ist hier, dass die Krisenkommunikation von Kommunikationsprofis geführt wird. Die Ressourcen der Beteiligten müssen richtig eingeschätzt und geplant werden. Jede und jeder braucht nach drei Mammut-Tagen praktisch ohne Schlaf eine Pause. Es geht also um die Resilienz des ganzen Teams.
Der Einfluss der sozialen Medien wird heute als bedeutend angesehen. Doch ist ein Shitstorm wirklich so relevant für den Fortgang der Krise?
Je nach Krisenart und nach Bedeutung der betroffenen Organisation spielen die sozialen Medien eine eminent wichtige Rolle. Vor allem bei der Frage, was die Community über das Unternehmen und die Krise denkt. Die sozialen Medien sind aber auch ein Kanal für die Verbreitung der eigenen Botschaften. Kleine Shitstorms muss man aussitzen, die gehen vorbei. Wenn sie länger dauern, ist das Problem vielleicht nicht nur kommunikativ lösbar, sondern es braucht allenfalls eine Anpassung der Unternehmensstrategie.
Markus Niederhäuser
Markus Niederhäuser ist Leiter Weiterbildung sowie Dozent und Berater für Unternehmenskommunikation am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft. Zudem leitet er den MAS in Communication Management and Leadership. Seine Themenschwerpunkte sind strategisches Kommunikationsmanagement, Kommunikation in der digitalen Transformation sowie Krisenkommunikation. Er ist unter anderem Mitglied des exklusiven HarbourClub, der Vereinigung der Kommunikationsleitenden in der Schweiz. An der ZHAW arbeitet er seit dem Jahr 2004. Zuvor war er in den neunziger Jahren in verschiedenen Kommunikationsfunktionen für die Winterthur-Versicherungen tätig, von 1999 bis 2004 für den Sulzer-Konzern, ab 2001 leitete er dessen Kommunikationsabteilung. «Bei Sulzer habe ich viele Krisen erlebt», sagt er. In seiner Erinnerung die grösste Krise seien die mit Öl verschmutzten Hüftgelenke von Sulzer Medica gewesen, die eine riesige Rückrufaktion zur Folge hatten, notabene in den USA. Das habe dem Unternehmen fast den Kopf gekostet, so Niederhäuser.
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