Seine Forschung stabilisiert unsere Energiesysteme
Wie kann ein Energienetz nach einem Ausfall schnell hochgefahren werden? Wie bereiten Unternehmen ihre Systeme auf Störungen vor? ZHAW-Forscher Matteo Spada untersucht die Widerstandsfähigkeit «kritischer» Systeme etwa gegenüber Naturkatastrophen oder Cyberattacken.
Drohende Energieknappheit, erhöhte Gefahr von Naturkatastrophen und Cyberattacken: In Zeiten des Übergangs von fossiler zu erneuerbarer Energie erfährt der Schutz kritischer Infrastrukturen plötzlich eine neue Aufmerksamkeit. «Was bislang grösstenteils als selbstverständlich wahrgenommen wurde, wird zum Diskussionsthema in den Medien», sagt der ZHAW-Forscher Matteo Spada.
Widerstandsfähigkeit
Das Stichwort Resilienz ist nicht erst seit der Corona-Pandemie im Kontext der persönlichen Widerstandsfähigkeit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Auch im Zusammenhang mit der Versorgung der Bevölkerung mit Energie und Gütern spielt der Begriff seit Mitte der 1990er Jahre eine immer wichtigere Rolle. Denn die Stabilität und die Widerstandsfähigkeit unserer Versorgungsnetze gehören zu den wichtigsten Aufgaben von Staaten und sind zudem eine hochkomplexe Angelegenheit.
Gefragt bei Unternehmen und Politik
Wie sich solche Systeme gegenüber künftigen Störungen widerstandsfähiger machen lassen, erforscht Matteo Spada am ZHAW-Institut für nachhaltige Entwicklung (INE). Seine Expertise wird auch von Unternehmen und Politik immer wieder in Anspruch genommen. «In der Resilienzforschung versuchen wir zu verstehen, wie ein System, etwa ein Stromnetz, aufgebaut und betrieben werden muss, damit es im Falle einer Störung funktionsfähig bleibt und nicht zusammenbricht. Auf dieser Grundlage können wir Stakeholdern helfen, die Widerstandsfähigkeit des Systems zu erhöhen», erklärt der 42-Jährige, der an der Universität Bologna Physik studiert hat und seit vergangenem November als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ZHAW arbeitet.
«Die Antwort auf die Frage nach der Art und der gewünschten Zuverlässigkeit der Energieversorgung bleibt eine politische.»
Als Beispiel dafür nennt Spada den Teilausfall eines Gasnetzes in einer Kleinstadt nach heftigen Regenfällen. Die betroffenen Haushalte und Industriebetriebe sollen so schnell wie möglich wieder mit Gas versorgt werden. «Dafür muss aber klar sein, auf welche Weise das Versorgungsunternehmen das erreichen kann», führt Spada aus und erläutert verschiedene Möglichkeiten: «Entweder lokalisiert man die Störung im Netz und repariert sie schnellstmöglich, oder man aktiviert ein Reservesystem, etwa in Form eines Stromgenerators.» Letzteres sei aber nur möglich, wenn das Gas zur Erzeugung von Strom genutzt wird. Wenn das Gas zum Heizen und Kochen verwendet wird, seien Gasspeicher die passendere Lösung, um Versorgungslücken auszugleichen. «So oder so kommt es auf die schnellste Lösung an, die die Funktion des Systems aufrechterhalten kann.»
Risikopotenziale erkennen, um den Ernstfall abzufedern
Damit Betreiber von Energiesystemen oder anderen kritischen Infrastrukturen schnell und effizient auf Störungen im System reagieren können, versucht Matteo Spada sämtliche Risikopotenziale ausfindig zu machen. Bei der Bewertung von Systemen gehe es auch darum, welche Art der Energiereserve sich für welches System eigne. Als Beispiel nennt Spada ein Wasserwerk, dessen Pumpen mit Strom aus dem Stromnetz betrieben werden. Der Betreiber will das Reservesystem für den Fall einer Störung des Stromnetzes nicht mehr mit einem Dieselaggregat betreiben, sondern künftig durch eine nachhaltigere und klimafreundlichere Energieform ersetzen. Zur Auswahl stehen eine Batterie, die entweder durch Windenergie oder eine Photovoltaik-Anlage aufgeladen wird, sowie eine Brennstoffzelle.
Um den optimalen Reservespeicher zu ermitteln, simuliert Matteo Spada Engpässe des Energiesystems für einen bestimmten Zeitraum und kann damit aufzeigen, welche Energielösung am schnellsten einsatzfähig ist und den Engpass am zuverlässigsten überbrücken hilft. Die Vor- und Nachteile aller in Frage kommenden Lösungen zeigt er den Stakeholdern mittels Simulationen auf. «In diesem Fall sind die Photovoltaikanlage und die Windkraftlösung weniger geeignet, da bei Windstille und vielen Tagen ohne Sonne nicht genügend Strom für den betrachteten Zeitraum erzeugt werden kann.» Eine an die Photovoltaik- oder Windkraftanlage angeschlossene Batterie könnte jedoch dazu beitragen, diesen Unterschied auszugleichen – je nach Ausmass und Zeitpunkt des Engpasses. Andererseits könnten Brennstoffzellen eine bessere Lösung sein. Hier muss man aber berücksichtigen, dass Wasserstoff der Hauptbrennstoff ist, und feststellen, ob es angesichts der Marktlage genügend Wasserstoffspeicher gibt oder nicht. «Am Ende wird man auf der Grundlage der Simulationsergebnisse keine endgültige Lösung beim Vergleich der Energiesysteme erhalten, aber man kann von dort aus einen fundierteren Entscheidungsprozess starten», erläutert Spada.
Von der Risikobewertung zur Systemreparatur
Weshalb sich der Forscher mit Risikoanalyse und der Widerstandsfähigkeit von Systemen beschäftigt, sieht er rückblickend als eine Folge verschiedener Entwicklungsschritte und nicht als systematischen Plan: «Der Weg dahin war ein langer Prozess», sagt Matteo Spada lachend. «Meine Promotion schrieb ich im Bereich Erdwissenschaften an der ETH Zürich, darin ging es um die Gefahren von Erdbeben und Tsunamis für Menschen und Infrastruktur. «Von dort entwickelte sich mein Interesse weiter zu den potenziellen Risiken, die für Infrastrukturen bestehen.» Als Risikoanalyst untersuchte er beim Paul-Scherrer-Institut das Risikopotenzial von Energie- und Mobilitätssystemen. Den nächsten Schritt stellte für ihn der Übergang von der Risikoanalyse hin zur schnellen Wiederherstellung eines Systems nach einer Störung dar.
Kein 100-prozentiger Schutz
«Zwar entwickeln wir Massnahmen zur Verringerung des Risikopotenzials von Energiesystemen und wir kennen die meisten Risiken für beinahe alle Infrastrukturen und die meisten potenziellen Folgen einer Systemstörung. Aber all dies verhindert nicht zu hundert Prozent, dass eine Störung eintritt», ist Spada überzeugt. Eine Systemstörung, sei es durch ein Erdbeben, eine Cyberattacke oder durch menschliches Versagen, werde auf jeden Fall eintreten. «Wir wissen nur nicht, wann. Daher braucht es ein Bewusstsein dafür, wie sich ein System schützen und nach einer Störung schnellstmöglich wieder funktionsfähig machen lässt», erklärt der Resilienzforscher.
Fasziniert von Modellen und Simulationen
Wenn man Matteo Spada fragt, was den Reiz seiner Arbeit ausmache, muss er etwas ausholen. «Viel lesen und der Austausch mit anderen Forschenden stellen natürlich einen grossen Teil meiner Arbeit dar, den ich sehr schätze», erklärt er. Auch das Vermitteln und Erklären der Ergebnisse seiner Resilienz- oder Risikobewertungen gegenüber Stakeholdern aus Politik und Verwaltung sei gleichzeitig herausfordernd und reizvoll. «Doch was ich an meinem Job am meisten schätze, ist das Erstellen von Modellen und Simulationen. Das Faszinierende ist, dass ich mithilfe von Mathematik verstehen kann, wie bestimmte Abläufe oder Dinge funktionieren. Das Spiel mit Zahlen und Modellen – das würde ich als den schönsten Teil meiner Arbeit bezeichnen.»
«Das Spiel mit Zahlen und Modellen – das würde ich als den schönsten Teil meiner Arbeit bezeichnen.»
Dass Spadas Forschungsfeld inzwischen im Kontext des Krieges in der Ukraine und angesichts reduzierter russischer Gaslieferungen nach Europa hochaktuell ist, zeigt die hohe Relevanz seiner Arbeit für die Gesellschaft. Er verweist auf sein Heimatland Italien, das zwar als südeuropäisches Land einen russischen Gaslieferstopp zu grossen Teilen durch Flüssiggas aus Ländern wie Algerien und Ägypten kompensieren könnte, bei dem aber trotzdem eine Gasversorgungslücke drohe. «Wir können zwar Pläne erstellen, was man tun kann, wenn im Netz eine Störung auftritt. Doch die Antwort auf die Frage nach der Art und der gewünschten Zuverlässigkeit der Energieversorgung bleibt eine politische», stellt Matteo Spada fest und verdeutlicht damit gleichzeitig die Grenzen seiner Arbeit als Wissenschaftler.
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