Strommangel vorbeugen mit Wasserkraftreserven

21.06.2022
2/2022

Der Schweiz drohen Engpässe bei der Stromversorgung. Eine Forschungsgruppe unter Beteiligung der ZHAW hat untersucht, inwiefern Wasserreserven in den Stauseen dagegen helfen könnten.

Über der bisher sehr stabilen Schweizer Stromversorgung ziehen dunkle Wolken auf. Der Bund rechnet damit, dass es bereits 2025 gegen Ende des Winters für einige Stunden zu einer Stromknappheit kommen könnte. Gründe dafür gibt es mehrere: Erstens kommt es durch die Energiewende zu grösseren Schwankungen in der Stromproduktion als früher. Zweitens ist die Versorgung mit Gas, aus dem manche Länder einen bedeutenden Teil ihres Stroms gewinnen, seit dem russischen Überfall auf die Ukraine keine Selbstverständlichkeit mehr.

Drittens hat die EU eine neue Regel eingeführt, wonach siebzig Prozent der Kapazität der Stromleitungen für den EU-Binnenmarkt reserviert sind. Da die Schweiz beim Strom nicht Mitglied dieses Binnenmarkts ist, könnte das zum Problem werden: Womöglich werden künftig Stromimporte aus der EU zeitweise beschränkt. 

Bundesrat schlägt Wasserkraftreserve vor

Zur Sicherung der Stromversorgung hat der Bundesrat deshalb vorgeschlagen, eine Wasserkraftreserve zu schaffen: Gegen Entgelt sollen einzelne Betreiber von Speicherkraftwerken bis in den Frühling eine gewisse Mindestmenge an Wasser in ihren Stauseen belassen, mit der sich eine Mangellage überbrücken liesse. Normalerweise sind die Seen von Mitte März bis Mitte April ziemlich leer, bevor sie sich mit der beginnenden Schneeschmelze wieder zu füllen beginnen. 

Ob es diese Wasserkraftreserve wirklich braucht, ist unter Fachleuten umstritten. Beat Goldstein, Spezialist für Energiepolitik beim Bundesamt für Energie, hält sie für sinnvoll: «Die Reserve ist eine Versicherung für den Notfall», sagt er. «Wenn wir wegen der EU-Regel massiv weniger importieren können, ist ein Strommangel kein unrealistisches Szenario.» Dies könnte etwa geschehen, wenn Wind- und Solarkraft gleichzeitig wenig Energie liefern und die EU den Strom vornehmlich selber braucht. 

«Im Frühling, wenn unsere Stauseen leerlaufen, ist in der EU schon wieder viel Solarenergie verfügbar, und der Stromverbrauch ist geringer als im Winter.»

Ingmar Schlecht, Zentrum für Energie und Umwelt an der ZHAW

Ingmar Schlecht vom Zentrum für Energie und Umwelt an der School of Management and Law hat sich im Rahmen einer Studie mit Kollegen von der Universität Basel und ETH Zürich detailliert mit der Frage auseinandergesetzt. Er sieht die Lage optimistischer: «Wir konnten im Rahmen unserer Modellierungen kein realistisches Szenario kreieren, wo die Wasserkraftreserve wirklich geholfen hätte», sagt er. Dies liege zum einen daran, dass Mangellagen in der Schweiz und in der EU nicht zur selben Zeit aufträten: «Im Frühling, wenn unsere Stauseen leerlaufen, ist in der EU schon wieder viel Solarenergie verfügbar, und der Stromverbrauch ist wegen der höheren Temperaturen geringer als im Winter.»

Wasserkraftreserve bei längerem Importstopp

Zum anderen sei die Schweiz dank ihrer Pumpspeicherwerke flexibel: «Selbst an kritischen Tagen gibt es Stunden, in denen der Verbrauch in den Nachbarländern nicht ganz so hoch ist. Diese können wir nutzen und mit Stromimporten die Stauseen füllen.»

Erst wenn ein Importstopp länger dauere, etwa einen ganzen Tag oder mehrere Tage, käme die Wasserkraftreserve zum Tragen. In seiner Studie hat Ingmar Schlecht berechnet, worauf es dabei ankäme: «Wichtig ist, dass die Reserve über mehrere Seen verteilt ist, damit eine gewisse Mindestleistung bei der Stromproduktion garantiert ist.» Weiter würde er eher eine kleine Wasserkraftreserve empfehlen, also etwa zur Überbrückung eines Importstopps von maximal 24 Stunden, dann sei das Kosten-Nutzen-Verhältnis am besten.  

«Der grosse Vorteil einer Wasserkraftreserve ist die schnelle Umsetzbarkeit.»

Beat Goldstein, Bundesamt für Energie

Grundsätzlich glaubt Schlecht aber nicht, dass es je zu derart langen Importstopps kommt: «Die Schweiz hat einen Trumpf in der Hand: Dank unserer vielen Stauseen können wir in Momenten hohen Verbrauchs viel Strom exportieren.» Um diese Spitzenlast-Energie sei etwa Frankreich sehr froh, das mit seinen vielen Kernkraftwerken viel weniger flexibel ist als die Schweiz. Die EU habe darum kein Interesse, die Schweiz mit Lieferstopps zu piesacken. 

«Trotzdem ist eine Reserve für den Notfall sinnvoll», sagt Schlecht. Er würde diese aber eher nachfrageseitig anlegen: «Man könnte etwa von Industriebetrieben Angebote einholen, in Stunden der Knappheit gegen Entgelt auf einen Teil der Strombezüge zu verzichten.» Das hält auch Beat Goldstein vom Bundesamt für Energie für eine gute Idee – er findet jedoch, man solle die verschiedenen Instrumente nicht gegeneinander ausspielen: «Ich würde das eine tun und das andere nicht lassen», sagt er.

«Massnahmen auf der Nachfrageseite sind in einem Gesetzesentwurf vorgesehen, der im Moment im Parlament ist. Das dauert aber noch ein wenig.» Darum brauche es auch die Wasserkraftreserve, denn deren grosser Vorteil sei die schnelle Umsetzbarkeit: Die entsprechende Verordnung soll schon diesen Herbst in Kraft treten. 

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