Tabletten im Kreislauf – ZHAW- und Stanford-Studierende gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit
Studierende der School of Management and Law wagten sich an eine grosse Aufgabe: die Pharmaindustrie kreislauffähiger zu machen – gemeinsam mit fünf Ingenieur-Studierenden der renommierten Stanford University.
Am Anfang stand ein Problem: Die acht Studierenden im einjährigen Vollzeitmaster International Business der ZHAW sollten die Pharmaindustrie, die einen deutlichen Fussabdruck hinterlässt, hin zu mehr Nachhaltigkeit bewegen. «Wir waren schon bei der Aufgabenstellung gefordert», erinnert sich die Teilnehmerin Anna Dietrich. «Sie war total offen formuliert und wurde auch auf unser Nachfragen hin nicht präzisiert.»
Doch das war pure Absicht der Initiatorinnen und Initiatoren: «Wenn alles definiert ist, sind der Weg beziehungsweise das Ergebnis vorgespurt», sagt Dozentin Albena Björck, die das ungewöhnliche Studienformat initiierte und den Pilot verantwortete. Sie fügt hinzu: «Unsicherheit ist schwer auszuhalten, birgt hingegen auch unendlich viele Möglichkeiten.» Genau diese Möglichkeiten galt es auszuloten, immer wieder zu verwerfen und neu anzufangen. Das Team der ZHAW-Wirtschaftstudierenden entwickelte zusammen mit Stanford-Ingenieurstudierenden ein Pionierprojekt, das einen Mehrwert für alle Beteiligten schafft. Auftraggeber und Sponsor war der Pharmakonzern Johnson & Johnson.
«Die Studierenden erlernten Skills wie Ambiguitätstoleranz und agiles Denken, die mit klassischen didaktischen Methoden kaum vermittelbar, aber in der heutigen Zeit Schlüsselkompetenzen sind.»
Die Kooperation der beiden Hochschulen fand in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Albena Björck begleitete das Projekt gemeinsam mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Juanita Guarin Davila eng. Auf seiten der Standford University waren die Professoren George Toye und Mark Cutkosky ihre Kooperationspartner.
Vorwärts mit Trial and Error
Das Studierendenprojekt glich denn auch einem Labor. Vorgegangen wurde nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Von Winterthur aus machten sich die acht ZHAW-Studierenden an die Arbeit. «Relativ schnell grenzten wir das Arbeitsgebiet auf den Bereich Selbstmedikation ein, da hier derzeit besonders viel Abfall entsteht und der Wirkungsbereich damit enorm gross ist», erzählt Teilnehmerin Anna Dietrich. Mit einer profunden Recherche, Marktanalyse und Prototypen in der Tasche reiste die erste Gruppe ZHAW-Studierender im Januar nach Stanford.
«Ein zentrales Learning war für mich, dass man sich manchmal etwas Zeit lassen sollte und die erste Idee nicht sogleich die beste sein muss.»
Doch dort wurden in einem kreativen Prozess wieder alle bisherigen Ideen verworfen und sogleich neue Ansätze generiert. Die hier entstandene Lösung hat die Gestalt eines Dispensers, der wie ein Selecta-Automat an hoch frequentierten Standorten handelsübliche, rezeptfreie Arzneimittel (z. B. Ibuprofen) herausgibt. Der grosse Vorteil dieser Lösung wäre, dass die Tabletten einzeln statt in grösseren Packungen bezogen werden und so pharmazeutischer Abfall reduziert werden könnte.
Dieses Ideenkonstrukt und einen rudimentären Prototyp übergab die Projektgruppe an die nachfolgenden Studierenden der ZHAW, die in die USA reisten. «Wir merkten rasch, dass Amerika bei der Kreislaufwirtschaft noch deutlich weniger weit ist als Europa. Während das Land vor allem noch am Recycling arbeitet, sucht Europa grundlegender nach Lösungen zum Ressourcensparen und -wiederverwenden. Wir von der ZHAW arbeiteten deshalb schon bald an einem übergeordneten Projekt», berichtet Teilnehmer Stephen Primeau.
«Solche Projekte sind sehr komplex und verlangen von allen Beteiligten, die Extrameile zu gehen.»
Das ZHAW-Team schlug ein Rückholprogramm vor, das es für die Apotheken wie auch die Kundschaft attraktiver macht, abgelaufene Medikamente zu sammeln. «Die Inhaltsstoffe könnten extrahiert und wieder dem Kreislauf zugeführt werden», führt Stephen Primeau aus. Somit hat das internationale und interdisziplinäre Studierendenteam im Endergebnis eine integrierte Systemlösung entwickelt.
Positive Rückmeldungen
Das Fazit der Beteiligten: «Solche Projekte sind sehr komplex und verlangen von allen Beteiligten, die Extrameile zu gehen. Viele Stakeholder sind involviert, das Ende ist komplett offen und es braucht andere Mindsets», findet Juanita Guarin. Alle diese Faktoren würden das Ergebnis aber auch enorm verbessern. Albena Björck fügt hinzu: «Wir konnten hautnah miterleben, wie die Studierenden an ihrer Aufgabe wuchsen. Sie machten so viele Erfahrungen mit dem interdisziplinären, internationalen Team und im offenen Dialog mit international führenden Designexperten. Dabei erlernten sie Skills wie Ambiguitätstoleranz und agiles Denken, die mit klassischen didaktischen Methoden kaum vermittelbar, aber in der heutigen Zeit Schlüsselkompetenzen sind.»
«Wir merkten rasch, dass Amerika bei der Kreislaufwirtschaft noch deutlich weniger weit ist als Europa.»
Die positiven Feedbacks von Projektpartnern, Expertinnen und Experten sowie der Öffentlichkeit bestätigten schliesslich den Eindruck des ZHAW-Projektleitungsteams, dass das Pilotprojekt absolut gelungen ist. Die zahlreichen Kollaborationen, die übrigens dank jahrelanger Aufbauarbeit letztlich zu diesem Leuchtturmprojekt geführt haben, werden denn auch in unterschiedlichen Formen weitergeführt.
Für die Studierenden Stephen Primeau und Anna Dietrich avancierten das Experiment und die Zusammenarbeit mit den Studierenden in den USA – bei denen sie die Innovationen im Silicon Valley und am Industriestandort Schweiz mitgestalten konnten – zum Höhepunkt des Studiums. Anna Dietrich spricht wohl für alle Teammitglieder, wenn sie sagt: «Ein zentrales Learning war für mich, dass man sich manchmal etwas Zeit lassen sollte und die erste Idee nicht sogleich die beste sein muss. Unglaublich war auch zu erleben, wie viel wir dann in den wenigen Tagen in Stanford gemeinsam auf die Beine stellten.»
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