Trotz Landschafts- und Denkmalschutz: Das grosse Potenzial der Sonne

06.12.2022
4/2022

Die Erwartungen an die Solarenergie steigen. Die Nervosität wächst. Nun will die Politik eine Solar-Ausbauoffensive lancieren. Das ruft Kritiker auf den Plan. ZHAW-Forschende zeigen auf, wo die Lösungen liegen. 

Die Photovoltaik werde im Jahr 2030 nur «im niedrigen einstelligen Prozentbereich» zur Stromversorgung in der Schweiz beitragen. Das sagte vor zehn Jahren Rudolf Hug, damaliger Präsident der Kommission «Energie und Umwelt» von Economiesuisse in diesem Magazin (ZHAW-Impact, März 2012) in der Diskussion mit Professor Franz Baumgartner, Photovoltaikexperte an der School of Engineering der ZHAW. So kann man sich täuschen. Schon heute, acht Jahre vor Ablauf der Frist, erweist sich Hugs Prognose als falsch. Die Solarenergie trägt aktuell bereits 6,5 Prozent zur Stromerzeugung bei. Und die Entwicklung geht in forschem Tempo weiter. Woche für Woche werden Zehntausende von neuen Modulen montiert.

Gut 40 Prozent des Strombedarfs

Bloss: Das ist immer noch viel zu wenig Solarstrom. Im Jahr 2050 soll die Photovoltaik in der Schweiz gemäss den Energieperspektiven 2050+ des Bundes rund 34 Terawattstunden (TWh) liefern. Das ist etwa zwölf Mal mehr als heute und wird gut 40 Prozent des Strombedarfs entsprechen. Nur so lässt sich alles unter einen Hut bringen: das Klimaziel Netto-Null erreichen, die Abhängigkeit von Öl, Gas und zweifelhaften Regimes reduzieren, der Wegfall der Kernenergie kompensieren und der Stromverbrauch von Elektroautos und Wärmepumpen abdecken. Dazu sind verstärkte Anstrengungen nötig. «Pro Jahr ist im Durchschnitt ein Zubau von Anlagen mit einer Leistung von 1,5 Terawatt erforderlich, im letzten Jahr war es die Hälfte», erklärt Professor  Franz Baumgartner, Studiengangleiter Energie- und Umwelttechnik. 

«Allein in den Wintermonaten entsteht durch die bifazialen Module im Gebirge ein ähnlicher Ertrag wie in Wädenswil über das gesamte Jahr.»

Jürg Rohrer, Leiter der Forschungsgruppe Erneuerbare Energien

Wie kann das gelingen? Und wo finden all die Solarmodule Platz? Immerhin summiert sich die benötigte Fläche etwa auf die Grösse des Kantons Appenzell Innerrhoden. Eine gute Option sind angesichts der drohenden Winterstromlücke Solaranlagen in den Bergen, die mit doppelseitigen Modulen arbeiten. Der Clou: Die Rückseite nutzt das vom Schnee reflektierte Licht. Senkrecht aufgestellt produzieren solche Panels im Winter mehr Strom als im Sommer. Sie profitieren von der stärkeren Sonnenstrahlung in den Alpen, wie seit 2018 eine Versuchsanlage der ZHAW auf 2500 Metern Höhe bei Davos beweist. «Allein in den Wintermonaten entsteht durch die  die bifazialen Module im Gebirge ein ähnlicher Ertrag wie in Wädenswil über das gesamte Jahr», sagt Professor Jürg Rohrer, Leiter der Forschungsgruppe Erneuerbare Energien an der ZHAW in Wädenswil. 

Photovoltaikanlagen in Skigebieten

Für alpine Solaranlagen müssten nicht intakte Landschaften versehrt werden, hält Professor  Reto Rupf fest. Der Spezialist für Umweltplanung leitet den Forschungsbereich Geoökologie an der ZHAW in Wädenswil. Er plädiert dafür, solche Anlagen nicht in allen Landschaftskammern zu platzieren, sondern auf wenige Stellen mit bereits viel Infrastruktur zu konzentrieren: Staudämme oder Skigebiete zum Beispiel. Dort richte eine Solaranlage weniger zusätzlichen Schaden an.

«Die Leute sind nicht per se abgeneigt, dass in einem Skigebiet eine Solaranlage gebaut wird.»

Reto Rupf, Leiter Forschungsbereich Geoökologie

«Die Leute sind gemäss einer repräsentativen Befragung in der Schweiz nicht per se abgeneigt, dass in einem Skigebiet eine Solaranlage gebaut wird», sagt Rupf. Bisher seien Anlagen neben Skipisten nicht zulässig gewesen. Das ändere sich nun mit den vom Parlament beschlossenen «Dringlichen Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter». Und in empfindlicheren Gebieten sei mit einer leichten Bauweise dank Seilkonstruktionen eine schonendere Realisierung möglich. Um eine Baubewilligung für eine alpine Solaranlage zu erhalten, ist ab einer gewissen Grösse eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Sie beurteilt die Auswirkungen des Bauvorhabens auf den jeweiligen Lebensraum in der Bau- und Betriebsphase und der späteren Wiederherstellung der Landschaft nach dem Betrieb. Letzteres sei ein oft vernachlässigter Punkt, sagt Reto Rupf.  

Denkmalschutz und Photovoltaik

Manche Stimmen in der Politik wollen den Schutz der Landschaft, der Natur und der Baukultur beschneiden, um das Ausbautempo der Solarenergie zu forcieren. So möchte die zuständige Ständeratskommission im «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» den Ausbau auch in Schutzgebieten zulassen. Betroffen sind etwa das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN), nationale Biotope oder auch schützenswerte Ortsbilder von nationaler Bedeutung. Im Nationalrat verlangt ein Vorstoss, bei Solar- und Wasserkraftanlagen sei das Beschwerderecht von Organisationen abzuschaffen, darunter beispielsweise Pro Natura oder der Schweizer Heimatschutz. 

«Wer behauptet, der Denkmalschutz verhindere die Energiewende, argumentiert unsachlich.»

Stefan Kurath, Co-Leiter des Instituts Urban Landscape

«Wer behauptet, der Denkmalschutz verhindere die Energiewende, argumentiert unsachlich», sagt Stefan Kurath, Co-Leiter des Instituts Urban Landscape. Den Ausbau der Photovoltaik hält der Professor am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen für absolut notwendig. Auf den Flachdächern der Gewerbebauten und grossen Wohnhäuser lägen aber enorme, noch ungenutzte Potenziale brach. Der Flächenanteil der Dächer denkmalgeschützter Bauten und Ortsbilder sei da irrelevant und auch zu kleinteilig für effiziente Anlagen. Grundsätzlich sei es jedoch auch da durchaus möglich, mittels architektonischer Prinzipien Solaranlagen gut zu integrieren. Das Problem sieht er also vielmehr im Wildwuchs und Gebastel von Anlagen auf Dächern und Fassaden. Dasselbe gelte für die Solar-, aber auch Grosswindanlagen in den Kulturlandschaften: «Wir müssen zu unser Umwelt Sorge tragen, ohne deren kulturellen Wert zu zerstören.» Nicht der Heimat-, Denkmal-, Ortsbild- und Landschaftsschutz würden also die Energiewende verhindern, sondern unqualifizierte Herangehensweisen. Die Architektinnen und Architekten könnten da helfen.

«Autobahnen, Kläranlagen oder Parkplätze eignen sich für grössere Photovoltaik-Anlagen, an denen sich auch Pensionskassen beteiligen könnten.»

Franz Baumgartner, Studiengangleiter Energie- und Umwelttechnik

Wie viel Platz auf den rund 2,8 Millionen Gebäuden im Land vorhanden ist, zeigt die Studie «Photovoltaik: Potenzial auf Dachflächen in der Schweiz». Darin analysieren Jürg Rohrer und sein Team alle Steil- und Flachdächer und filtern die für Solaranlagen geeigneten mit einer guten bis hervorragenden Sonneneinstrahlung heraus. Die resultierende Fläche ist um die Hälfte grösser als der Kanton Appenzell Innerrhoden. Damit wäre eine Stromproduktion von fast 54 TWh pro Jahr möglich – also deutlich mehr als die erforderlichen 34 TWh.

Franz Baumgartner hält auch tote Infrastrukturflächen für vielversprechend. Der Entwickler der Solarsegel denkt an etwas grössere Anlagen, die über Autobahnen, Kläranlagen oder Parkplätze gespannt werden: «Auch Pensionskassen könnten sich daran beteiligen.» Sein Hauptfokus gilt der Umsetzung: Wie viel Alpenstrom sinnvoll sei, hänge nicht nur vom Potenzial, sondern letztlich auch von den Kosten ab. Solange keine aussagkräftigen Kostenzahlen von Grossprojekten in den Alpen vorlägen, sei eine gewisse Skepsis angebracht, sagt Baumgartner, der in dieser Zeit auf die Infrastrukturflächen im Mittelland als Alternative setzen würde.

Teuren elektronischen Schnickschnack vermeiden

Bei den Kosten ortet er auch bei herkömmlichen Anlagen auf Einfamilienhäusern Optimierungsbedarf. Die Planung der Anlage und die Auswahl der Elektronikkomponenten gelte es zu optimieren. Mit teurem elektronischem Schnickschnack hinter jedem Solarmodul könne man in wenigen Fällen zwar ein paar Kilowattstunden zusätzlich herausholen. Dabei fielen aber später potenziell höhere Reparaturkosten zulasten des Endkunden an. Insgesamt ist Baumgartner überzeugt, dass die gesteckten Ziele erreichbar sind: «Die Photovoltaik schafft das zweifellos, wenn wir die notwendigen Fachpersonen ausbilden können.» Die Zuwachsraten in den vergangenen Jahren gelte es deutlich zu steigern, «nur so geht es rasch vorwärts».   

Grüner Strom vom Acker

Seit Mitte Jahr sind Photovoltaikanlagen auf Landwirtschaftsland möglich. Voraussetzung ist, dass die Pflanzen dann mehr Ertrag abwerfen. So verlangt es die Raumplanungsverordnung. Es gibt spezielle Solarpanels, die von 15 bis 70 Prozent Lichtdurchlässigkeit regulierbar sind, je nach Bedürfnis der Pflanzen. Am naheliegendsten ist der Einsatz über Gemüsekulturen. Sie sind oft mit Folie vor Kälte geschützt, das könnten künftig die Module übernehmen. Und viele Obstanlagen sind mit Hagelnetzen abgedeckt.

«Nur 1,1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche könnten im Jahr 2050 ein Zehntel des Strombedarfs der Schweiz liefern.»

Mareike Jäger, Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen

Oder eignen sich Wiesen und Äcker besser? Die 120 Seiten starke «Machbarkeitsstudie Agri-Photovoltaik» beleuchtet das Thema umfassend. Verfasst wurde sie unter Leitung von Mareike Jäger von der Gruppe Hortikultur an der ZHAW in Wädenswil. Ausgangspunkt waren Landwirtschaftsflächen in Siedlungsnähe, die genug solare Einstrahlung haben. Dann schied Jäger Schutzgebiete und Biodiversitätsflächen aus, schliesslich noch Gebiete in grosser Distanz zu Stromleitungen wegen der Anschlusskosten. Letzteres traf oft Obst- und Gemüsekulturen, hingegen erwiesen sich viele Äcker dank ihrer Nähe zum Stromnetz als «am besten geeignet». Wiesland lag dazwischen. Unter dem Strich bleibt ein überraschend grosses Potenzial: «Nur 1,1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche könnten im Jahr 2050 ein Zehntel des Strombedarfs der Schweiz liefern», sagt Jäger. 

Doch ist ein Mehrertrag der Pflanzen realistisch? Das soll eine Versuchsanlage in Wädenswil zeigen. Erste Hinweise geben zwei kleine Tests. Nüsslisalat gedieh dank dem Schutz vor Frost und Hitze besser unter Solarmodulen als auf offenem Feld. Und in einem Rebberg am Walensee war die Erntemenge im Hebst 2021 unter Modulen grösser. 

Biodiversität auf Solardächern

Leiden Flora und Fauna eines Gründachs unter dem Schatten von Solarpanels? Schmälern die Pflanzen den Stromertrag? Diese Fragen untersucht Stephan Brenneisen, Stadtökologe am ZHAW-Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen in Wädenswil. Das vom Bundesamt für Umwelt mitfinanzierte Projekt «Smart Roofs» vergleicht zwei Dutzend begrünte Flachdächer, acht davon mit Photovoltaikanlagen. Die Forschungsgruppe Stadtökologie erfasst den Bewuchs und das Vorkommen von Insekten. Zwischenresultate zeigen, dass eine schlaue Installation der Solarpanels mit genug Zwischenraum Einbussen beim Stromertrag verhindert und zugleich der urbanen Biodiversität hilft.

«Das besondere Mikroklima unter und zwischen den Modulen könnte sogar zur Förderung gewisser Arten beitragen», sagt Brenneisen. Aussagekräftige Resultate bedingen nun Resultate mehrerer Vegetationsperioden. Auch senkrechte, doppelseitige Solarmodule lassen sich gut mit Gründächern kombinieren, wie eine Studie in Winterthur zeigt, die vom Bundesamt für Energie mitfinanziert wird. Solche nach Ost-West ausgerichtete bifaziale Panels liefern vormittags und nachmittags am meisten Strom.

1 Kommentar

Kommentar ist erforderlich!
Name ist erforderlich!
Gültige E-Mail ist erforderlich!
This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.
  • W

    Willi Gabi
    29.01.2024, 21.50
    Sehr geehrter Herr Kurath, man muss den ganzen Denkmalschutz auch mal von der Seite eines Eigentümers sehen. Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Familienhaus einfach unter Denkmalschutz gestellt wird und nun Ihnen fremde Leute vom Denkmalschutz sagen, was Sie umbauen dürfen und wie Sie zu wohnen haben? Wenn Ihnen 16 fremde Leute durch das ganze Haus laufen und ungefragt Fotos von Innenräumen machen? (So unsensibel gingen die Leute vom Denkmalschutz bei uns durchs Haus - REALITÄT) Die Fördermittel vom Denkmalschutz sind leider lachhaft zu den Unterhalts- und Energiekosten eines über 100jährigen Gebäudes, welche nicht nach heutigen KW55 oder KW40 erstellt wurden. WER zahlt hier dann die vollen Unterhalts- und Energiekosten - Der Denkmalschutz eher nicht. So sieht die REALTÄT aus, da können Sie noch so viel schöne Worte schreiben, aber mit dem Papier kann ich nur kurz das alte Haus heizen. Mit freundlichen Grüßen