Von Schiffskapitänen, Schlafwandelnden und Künstlicher Intelligenz
Wer eignet sich, ein Kursschiff zu steuern? Wie kann Künstliche Intelligenz dabei helfen, Brustkrebs zu klassifizieren? Was geht im Hirn vor, wenn jemand schlafwandelt? Drei Abschlussarbeiten liefern Antworten.
Welches Profil braucht es, um ein Kursschiff zu steuern?
Bei schönem Wetter ist auf Schweizer Seen viel los. Segelschiffe, Motorboote und Pedalos ziehen ihre Runden. Hinzu kommen Standup-Paddler, Surfer, Schwimmer und badende Kinder. Wer ein Kursschiff steuert, ist entsprechend gefordert. Nicht nur die Wasseroberfläche gilt es aufmerksam zu beobachten, auch den Fahrplan, die technischen Instrumente und die Passagiere muss man im Blick behalten. Geschieht etwas Unerwartetes, ist rasches Handeln gefragt. «Schiffsführende müssen bis zu 12 Stunden lang fokussiert bleiben», sagt Leah Kuhn, «und das oft sechs bis sieben Tage hintereinander.» Mit Marc Bohler hat sie untersucht, welche Kompetenzen in dem Berufsfeld entscheidend sind. Ihr Fazit: «Die Anforderungen sind sehr hoch.» Kapitäninnen und Kapitäne müssen besonders belastbar, entscheidungsfreudig, pflichtbewusst und zuverlässig sein. Sie müssen sich selbst realistisch einschätzen und ihre Emotionen kontrollieren können. Sie müssen zudem fähig sein, mehrere Informationen rasch zu verarbeiten und Probleme zu erkennen. Sie müssen gut kommunizieren und sich durchsetzen können. «Schiffsführende tragen viel Verantwortung», betont Leah Kuhn. Dies zeigt sich insbesondere in kritischen Situationen, wenn sie der Besatzung und den Passagieren den Kurs vorgeben. Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet, zu führen und Befehle zu erteilen. Die Erkenntnisse aus der Abschlussarbeit sollen in Eignungsabklärungen einfliessen, so Kuhn: «Auf dieser Basis können berufsspezifische Testverfahren entwickelt werden, um geeignete Personen zu rekrutieren.»
Marc Bohler (31) und Leah Kuhn (23) haben sich in ihrer Bachelorarbeit mit den Fähigkeiten befasst, die Schiffsführende mitbringen müssen. Sie haben dafür Fahrten auf dem Bodensee und dem Zürichsee begleitet sowie mit erfahrenen Kapitänen gesprochen. «Für diese Tätigkeit hat es bislang kein spezifisches Anforderungsprofil gegeben», sagt Leah Kuhn. Ein Praktikum am Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie hat die beiden zur Forschungsfrage inspiriert. Marc Bohler arbeitet zurzeit als Systementwickler bei Fust. Leah Kuhn hat gerade das Masterstudium in Angewandter Psychologie begonnen.
Neues Instrument, um Tumore einzustufen
Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, Brustkrebs zu diagnostizieren. «Sie kann die Früherkennung nachhaltig verbessern», sagt Carlotta Ruppert, die an der School of Engineering studiert hat. Sie hat eine Applikation zur Analyse von Ultraschallbildern entwickelt und dafür auf reale Fälle zurückgegriffen. Ihr Modell mit mehr als 3000 Ultraschallbildern hat sie darauf trainiert, Veränderungen im Gewebe zu erkennen und gemäss deren Risiko für Bösartigkeit einzustufen. Es ist nun in der Lage, Brustläsionen als tendenziell gutartig zu klassifizieren oder festzustellen, dass weitere Nachuntersuchungen wie beispielsweise eine Biopsie anzuordnen sind. Es kann Radiologen und Radiologinnen bei der Interpretation von Bildmaterial unterstützen und zu genaueren Befunden beitragen. Als «Herausforderung» beschreibt Carlotta Ruppert, dass die Bilder, mit denen sie ihr Netzwerk trainiert hat, zu rund 80 Prozent harmlose Zysten zeigten. Dieses Ungleichgewicht musste sie berücksichtigen und ausgleichen. Mit dem Resultat ihrer Arbeit ist sie zufrieden. «Mein Deep-Learning-Modell kann quantifizierbar mit Radiologinnen und Radiologen mithalten», sagt sie. Anders als die menschliche Konkurrenz könne es jedoch nicht auf die Patientengeschichte zurückgreifen und andere Screening-Modalitäten einbeziehen. Auf ein Produkt mit konkreter Anwendung hinzuarbeiten, war äusserst motivierend», berichtet die Masterabsolventin. Sie wird ihre Entwicklung in den nächsten Jahren weiterverfolgen. «Meine Arbeit hat das Potenzial, direkt im Spital zum Einsatz kommen», freut sie sich.
Carlotta Ruppert (25) hat ihre Masterarbeit in Ingenieurwissenschaften der Diagnose von Brustkrebs gewidmet. Sie hat ein Deep-Learning-Modell entwickelt, welches Läsionen im Brustgewebe erkennt und klassifiziert. Die ZHAW-Absolventin hat dafür mit b-rayZ, einem Spin-off des Universitätsspitals Zürich, zusammengearbeitet. Für ihre Entwicklung hat sie die Höchstnote erhalten. Sie forscht nun im Rahmen eines Data-Science-Doktorats an der Universität Zürich weiter daran: «Mich interessiert erklärbare Künstliche Intelligenz: die ‹black box› zu öffnen, um zu verstehen, wie neuronale Netze zu einer bestimmten Vorhersage kommen.»
Zwischen Schlafen und Wachsein
Wenn jemand schlafwandelt, lassen sich im Hirn spezifische Aktivitäten beobachten. Die Gehirnströme sind anders als in normalen Schlafphasen. Sie zeigen erregungsähnliche Muster und gehen in Sekunden in eine gestörte Phase über. «Die Betroffenen sind in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachsein gefangen», sagt Julian Amacker, der am Departement Life Sciences und Facility Management studiert hat. Um derartige Muster zu identifizieren und besser zu verstehen, hat er die Gehirnströme eines einzelnen Patienten analysiert; sie sind im Schlaflabor mit einem Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet worden. Er hat zudem ein Deep-Learning-Modell trainiert und mit simulierten Daten gearbeitet. «Eine Schwierigkeit war die hohe Dichte der Daten», berichtet Amacker, der auf einen Server der ZHAW zurückgreifen musste. EEG-Messungen halten nämlich nicht nur fest, was im Hirn geschieht. Sie zeichnen unter anderem auch Augen- und Herzsignale sowie allerlei Geräusche auf, die beispielsweise durch Kopfbewegungen entstehen. Dieses permanente Rauschen erschwert es, die Signale des neuronalen Netzes zu entschlüsseln. «Eine vollständige Trennung ist nicht möglich», sagt Julian Amacker. Wie er in seiner Abschlussarbeit dokumentiert, sind beim Schlafwandeln die frontalen und temporalen Hirnregionen – im Bereich der Stirn und oberhalb der Ohren – besonders aktiviert. Seine Ergebnisse decken sich mit den wenigen Studien, die es zum Thema bereits gibt. «In einem nächsten Schritt sollte man mehr Patientendaten erforschen», sagt der ZHAW-Absolvent. Je besser man verstehe, wie das Hirn funktioniere, desto gezielter könne man bei Störungen medikamentös eingreifen.
Julian Amacker (39) hat in seiner Masterarbeit in Computational Health untersucht, wie Gehirnströme von Schlafwandelnden typischerweise aussehen. Er hat dafür Aufzeichnungen eines Elektroenzephalogramms (EEG) analysiert und ein bestehendes Deep-Learning-Modell weiterentwickelt. Amacker hat für seine Studie, die er in Zusammenarbeit mit dem Neurocenter Lugano realisiert hat, die Note 6 erhalten. Er hat vor, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen ‒ sei es im Rahmen einer wissenschaftlichen Tätigkeit oder in einem Startup.
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