Weshalb veröffentlichen Sie Ihre wissenschaftliche Arbeit offen zugänglich und gratis?

05.12.2023
4/2023

Eine Grenze von Forschung ist, wenn Ergebnisse ausserhalb der Hochschule nicht bekannt werden und Adressatinnen und Adressaten, die davon profitieren könnten, nichts darüber erfahren. Wir wollten von ZHAW-Forschenden wissen, weshalb sie sich bewusst für eine offene Publikation (Open Access) entschieden haben und wie ihre Forschungsergebnisse zu einer besseren Gesellschaft beitragen.

Philippe Koch, Professor mit Schwerpunkt Stadtpolitik und urbane Prozesse am Institut Urban Landscape. | Da der Begriff Gentrifizierung von Politik und Medien häufig sehr eng gefasst wird, wollte ich eine breitere Auslegeordnung veröffentlichen, die zeigt, wie differenziert das Thema in der Wissenschaft diskutiert wird. Im Kern bedeutet Gentrifizierung die Verdrängung von wenig privilegierten Quartierbewohnerinnen und -bewohnern durch bessergestellte Zuzügerinnen und Zuzüger. Anhand von drei typischen Beispielen wollte ich zeigen, dass Aufwertung und Verdrängung weder naturgegeben noch ausschliesslich Resultat eines marktwirtschaftlichen Ungleichgewichts sind, sondern vielmehr als Element oder gar als Ziel städtischer Stadtentwicklungspolitik zu verstehen ist. Um mit dieser Auslegeordnung möglichst viele Akteure aus Politik und Medien zu erreichen, wählte ich mit dem Denknetz Jahrbuch 2022 eine öffentlich zugängliche, nicht wissenschaftliche Publikation aus. Mein Plan ging auf: Ich erhielt viele Rückmeldungen, wie nützlich mein Beitrag «Gentrifizierung in der Schweiz» sei.

Daniela Händler-Schuster, Professorin für die gemeindenahe integrierte Pflege | Die Art und Weise, wie wir kommunizieren, hat einen entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden. In Langzeitinstitutionen können Pflegefachpersonen den Beziehungsaufbau zu Klientinnen und Klienten sowie deren Angehörigen aktiv fördern, indem sie sich ihrer eigenen Herkunft bewusst werden und diese im Verhältnis zu anderen Werten und Traditionen reflektieren. Diese Master Thesis ist ein Beispiel dafür, wie Studierende durch solche Publikationsformen in der wissenschaftlichen Community bekannt werden, was sich positiv auf ihre zukünftigen Karrierechancen auswirken kann.

Samuel Keller, Forscher am Institut für Kindheit, Jugend und Familie | Es existiert bereits viel forschungsbasiertes Wissen zu Bedeutung, Prozessen, Rahmung und Planung von Übergängen aus der Fremdunterbringung in das (junge) Erwachsenenleben («Leaving Care»). Allerdings stammt dieses hauptsächlich aus wenigen Lehrstühlen in wenigen Ländern des globalen Nordens. Entsprechend wurden bisher viele Perspektiven übersehen: Anspruchsgruppen junger Menschen, Jugendpolitik anderer Länder, aber auch junge Forschende. Ihre innovativen Perspektiven kommen in diesem Buch nicht nur vor, sondern sind dank Open Access auch allen zugänglich.

Katharina Krämer, Institut für Angewandte Medienwissenschaft | Wir haben uns bei unserer «Trendstudie Schweiz 2022: Kommunikation in der digitalen Transformation» bewusst für eine offene Publikation entschieden. Es ist uns ein Anliegen, dass wir unsere Forschungsergebnisse über die Praxis nicht nur in den wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch zeitnah und ohne Zugangsbeschränkungen in die Praxis zurückspielen können. Eine Open-Access-Publikation erleichtert uns dabei auch die Verbreitung der Resultate über soziale Medien. Alles zusammen steigert die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Forschung einen Beitrag zur weiteren Professionalisierung der Kommunikationspraxis leistet. 

Andreas Pfister, Co-Leiter Institut für Public Health | Ich bevorzuge generell die Publikation von Forschungsergebnissen im Gold-Open-Access-Format. Forschungsergebnisse – auch in Buchform – sollen unmittelbar, möglichst breit und kostenlos für alle zugänglich sein. So können sie ihr volle Wirkung in Wissenschaft, Praxis und Politik entfalten. Meine Hoffnung ist, dass wir mit unserem Buch einen Schritt näher hin zu sozialer und gesundheitlicher Chancengleichheit gelangen.

Evelyn Lobsiger-Kägi, Co-Teamleiterin «Energy Behaviour» | Das Buch «Interventionen in Reallaboren: ein Handbuch für die Praxis» entstand im Rahmen eines von der Stiftung Mercator geförderten Projektes, welches wir zusammen mit der ETH zum Thema Reallabore zur Förderung von Suffizienz durchgeführt haben. Für das Buchprojekt haben wir uns zusammen mit anderen Reallabor-Forschenden das Ziel gesetzt, ein Buch für die Praxis zu schreiben. Die verschiedenen Stakeholder eines Reallabors, wie z.B. Immobilieneigentümer, Stadtverwaltung, Vereine und Bewohnende, sollen von unseren Erfahrungen bei der Umsetzung verschiedener Reallabore im Bereich Nachhaltigkeit profitieren können und erhalten hoffentlich hilfreiche Inputs für ihr eigenes Vorhaben. Deshalb haben wir uns für eine für alle zugängliche Publikation entschieden. Unsere Forschung bezieht sich explizit auf die Frage, wie eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit in der konkreten Umsetzung in Haushalten, Siedlungen, Quartieren, Stadtteilen gelingen kann. Welche Ansätze haben tatsächlich eine Wirkung in Richtung Nachhaltigkeit und wie lassen sich solche Ansätze in anderen Kontexten skalieren? Zum Beispiel haben wir im Projekt gelernt, dass über das Thema Ernährung viele Personen für Nachhaltigkeitsthemen sensibilisiert werden können, da sich das Thema lustvoll umsetzen lässt. Ausserdem haben Initiativen grössere Erfolgschancen, wenn sie nicht eine zu langfristige Mitwirkung erfordern, gleichzeitig aber zum sozialen Austausch beitragen.

André Fringer, Professor für Familienzentrierte Pflege | Aus dem Gesundheitsbereich wissen wir, dass Betroffene mit der Zeit zu Expertinnen und Experten ihrer Krankheit oder Situation werden. Open Access hilft ihnen meiner Ansicht nach, mündige Patientinnen und Patienten zu werden, um auch als Laien auf Augenhöhe kommunizieren zu können, wenn man das möchte oder es sich so ergibt. Ich habe mich grundsätzlich für Open Access entschieden, weil ich als qualitativer Forscher in den klassischen Publikationsmedien wie dem «Journal of Advanced Nursing» oder der «Pflege» (die wissenschaftliche Zeitschrift) zu vielen Einschränkungen unterliege. Die Ergebnisse der qualitativen Forschung, insbesondere wenn es um die Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit geht, benötigen mehr Raum für die Darstellung der Ergebnisse, als dies durchschnittlich in der quantitativen Forschung der Fall ist. Insofern bietet Open Access für mich mehrere Möglichkeiten: mehr Raum für die Darstellung der Ergebnisse qualitativer Forschung und damit mehr Aufmerksamkeit. Die Ergebnisse sind meist auch für Laien und andere Fachleute ausserhalb der Wissenschaft interessant. Als Professor für Familienzentrierte Pflege versuche ich auch eine Stimme für die Betroffenen zu sein, die diese Artikel nutzen können. Da Pflege ein Beruf ist, der stark in der Praxis verankert ist, und lediglich der kleinere Teil in der Wissenschaft studiert oder arbeitet, ist Open Access eine wunderbare Möglichkeit, einen breiten Zugang zum Wissen der Disziplin Pflege zu ermöglichen, die evidenzbasiert arbeiten soll. 

Marlies Whitehouse, Professorin für Professional Literacy | Adressatengerechte Kommunikation in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft ist anspruchsvoll. Forschung zu Professional Literacy zeigt, welche Faktoren für die gelingende Kommunikation zwischen Anspruchsgruppen entscheidend sind. Dieses Wissen – zugänglich über Open Access – kommt Forschenden, Lehrenden, Studierenden und der Gesellschaft als Ganzem zugute.

Anke Kaschlik, Forscherin am Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe | Nur durch eine möglichst weite Verbreitung können Forschungsergebnisse in der Gesellschaft wirksam werden. Dafür ist der unkomplizierte Zugang durch Open-Access-Publikation ein wichtiger Beitrag. Ausserdem ist unsere Forschung zumeist nur aufgrund öffentlicher Förderung möglich, nach meiner Auffassung gehören die Ergebnisse schon allein dadurch der Öffentlichkeit. 

Petra Bättig, Forscherin am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen | Wir haben uns für ein Journal entschieden, weil es inhaltlich perfekt passt. Open Access war nur ein Pluspunkt. Durch unsere «Zombie Mission» vermitteln wir jüngeren Menschen, die sich wenig für Nachhaltigkeit interessieren, Inhalte zur nachhaltigen Ernährung. Unser neuer «Scientainment»-Ansatz ermöglicht es, neue Zielgruppen anzusprechen und in die Diskussion zur nachhaltigen Zukunft einzubinden. Da alle Resultate zugänglich sind, hoffen wir nun, dass unser Ansatz z. B. von Museen kopiert wird! 

Uta Grosse, Dozentin am Institut für Pflege |  Wir, Anja Pfister, Sara Häusermann, Uta Grosse (v.l.) haben die Module «Klinisches Assessment» im Bachelor of Science Pflege bzw. Hebammen an der ZHAW curricular revidiert. Der Unterricht folgt nun einem Blended-Learning-Flipped-Classroom-Konzept, und die verschiedenen Lernmaterialien (Arbeitshefte, Checklisten und Videos) sind auf einer Website öffentlich zugänglich. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Website als Open Educational Ressource zur Verfügung zu stellen, sodass das Unterrichtsmaterial auch in der klinischen Praxis im deutschsprachigen Raum interprofessionell zur Anwendung kommen kann. Die Website mit Open Access soll dazu beitragen, das klinische Assessment noch besser in der Praxis zu etablieren und die Wissenszirkulation zu unterstützen (Theorie-Praxis-Transfer).

Josef Spillner, stellvertretender Schwerpunktleiter Distributed Systems | Das Buch «Operating Systems and Infrastructure in Data Science» konnte dank einer Zuwendung der ZHAW-Hochschulbibliothek als Open-Access-Buch veröffentlicht werden. Dies fördert die digitale Inklusion, da nun auch Studierende ohne Bugetüberschuss eine fundierte Technologieübersicht erhalten und zum Betrieb eigener digitaler Infrastruktur befähigt werden. Gleichzeitig verbreitert die Leserschaft die Nutzungsbasis für die zugehörige Lern-Cloud, welche wiederum einen Gegenstand unserer laufenden Forschung im Bereich Cloud-Applikationen darstellt.

Aufgezeichnet von Patricia Faller

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