Regenerative Energien

Das Erdreich als Speicher der Zukunft für Energie

11.04.2024
1/2024

Um CO₂-Emissionen zu senken und den Klimawandel einzudämmen, ist der Ausbau erneuerbarer Energien essenziell. Doch ohne Speicher für überschüssige Solar- oder Windkraft ist die Energiewende nicht zu schaffen. Ein wichtiger Teil der Lösung schlummert womöglich unter unseren Füssen.  

Ist von Energiespeichern die Rede, denken die meisten zuerst an Batterien. Doch diese haben entscheidende Nachteile: Sie verschlingen selber grosse Mengen an Energie und Ressourcen, bevor sie Strom speichern können. Und sie sind teuer: Ein heute in einem grossen E-Auto üblicher 100-Kilowattstunden-Akku – der Durchschnittsverbrauch eines Schweizer Einfamilienhauses in fünf Tagen – schlägt mit rund 15’000 Franken zu Buche. Um elektrische Energie für Tausende, gar Millionen Haushalte zu speichern, sind Batterien deshalb kaum geeignet.

Saisonale Lastverschiebung

Für die Energiewende und eine CO₂-neutrale Schweiz bis 2050 sind riesige Energiespeicher aber unabdingbar: Die grössten Mengen erneuerbarer Energie werden bei uns im Sommer produziert, während im Winter deutlich mehr verbraucht wird. Wie die überschüssige Energie aus den Sommermonaten für den Winter gespeichert werden kann – Fachleute sprechen von saisonaler Lastverschiebung – daran forscht Luca Baldini, Co-Leiter des Instituts Bautechnologie und Prozesse (IBP) an der ZHAW, schon seit vielen Jahren. Sein Fachgebiet: Gebäudeenergiesysteme und thermische Energiespeicherung, unter anderem durch Regeneration des Erdreichs über Erdwärmesonden.

«Man muss den Boden regenerieren. Salopp gesagt: Was man an Energie rausnimmt, muss man wieder reinstecken.»

Luca Baldini,

«Erdwärmesonden sind im Prinzip nichts Neues: Man bohrt ein tiefes Loch und nutzt die Erdmasse als riesigen thermischen Speicher, um Häuser oder ganze Überbauungen zu heizen und mit Warmwasser zu versorgen. Doch gerade bei Grossprojekten ist die Regeneration des Erdreichs enorm wichtig und hat ein grosses Potenzial.» Baldini erklärt es so: Wenn man dem Boden über eine Erdsonde kontinuierlich Wärme entzieht, wächst auch der Einflussbereich des Bohrlochs über die Jahre – ähnlich wie ein Trichter. Die Folge: Das Erdreich kühlt aus und irgendwann entzieht man auch angrenzenden Grundstücken die Wärme. «Um dies zu verhindern, muss man den Boden aktiv bewirtschaften – ihn regenerieren. Salopp gesagt: Was man an Energie rausnimmt, muss man auch wieder reinstecken.» Das liesse sich etwa mit überschüssiger erneuerbarer Energie im Sommer bewerkstelligen: mit Abwärme aus der Kühlung, direkter Wärme aus Sonnenkollektoren oder Wärme von Aussenluftkollektoren. «Dadurch lässt sich die Effizienz der Wärmepumpen im Winter stark verbessern und damit auch die CO₂-Emissionen solcher Anlagen deutlich reduzieren», erklärt Baldini.

Hochtemperatur-Erdsondenspeicher

Das Forschungsprojekt SWEET DeCarbCH, an dem Baldini und sein Team zusammen mit zahlreichen anderen Hochschulen und Instituten und mit Unterstützung des Bundesamts für Energie forschen, geht dabei noch einen Schritt weiter. Statt nur so viel Energie in den Boden zu stecken, wie ursprünglich entnommen wurde, wird die Speichertemperatur in den Sommermonaten erhöht. «Wir bringen damit den Boden auf eine höhere Betriebstemperatur, weshalb wir von einem Hochtemperatur-Erdsondenspeicher sprechen.»

«Technisch wäre schon vieles machbar, aber derzeit sind für konkrete Projekte die regulatorischen Hürden häufig noch zu gross.»

Luca Baldini,

Der Vorteil dieser Überhöhung der ursprünglichen Bodentemperatur: Die im Sommer überschüssige erneuerbare Energie kann zeitlich verschoben und dann genutzt werden, wenn man sie am dringendsten benötigt: in den kalten Wintermonaten. Das Potenzial sei laut Baldini riesig: «Der Winterstrombedarf kann schweizweit durch Nutzung von grossen Wärmespeichern und durch konsequente Erdsondenregeneration um bis zu 3 Terawattstunden gesenkt werden. Das entspräche in etwa einem Drittel der Strommenge, von der man schätzt, dass man sie 2050  im Winter importieren muss.»

Erstes Schweizer Hochtemperatur-Erdsondenfeld

In einem weiteren Forschungsprojekt, dem Innosuisse Flagship SwissSTES (Saisonaler thermischer Energiespeicher), bei dem die ZHAW den Lead innehat, sollen unter anderem Planungshilfen und Auslegetools für die Praxis solcher Hochtemperatur-Erdsondenspeicher erarbeitet werden..

Doch auch erste Praxisprojekte laufen bereits: Auf dem Campus der Empa in Dübendorf entsteht aktuell das erste Schweizer Hochtemperatur-Erdsondenfeld, bestehend aus 144 Erdsonden, die in einer Tiefe von bis zu 100 Metern mit einem Abstand von jeweils drei bis fünf Metern verlegt werden. In dessen Vorbereitung und Planung war Baldini stark involviert. Einmal in Betrieb, soll der Erdwärmespeicher einen grossen Teil des Empa-Areals mit gespeicherter Sommerenergie beliefern. In Zukunft könnten laut dem Forscher sogar alte Stollen oder Militärbunker als thermische Langzeitspeicher genutzt werden. «Technisch wäre schon vieles machbar, aber derzeit sind für konkrete Projekte die regulatorischen Hürden häufig noch zu gross und der monetäre Anreiz zu klein.»

Investitionen in die Zukunft

Zwar wachse das Bewusstsein, dass thermische Speicher wichtig für die Energiewende sind und eine systemdienliche Funktion übernehmen können, allmählich auch in Politik und Wirtschaft. Trotzdem sei es noch viel zu klein: «Schon heute werden wesentliche Chancen verpasst, das Potenzial voll auszuschöpfen und es wird stattdessen auf die limitierte Ressource Biomasse ausgewichen.» Luca Baldini fordert deshalb bessere Anreizsysteme: «Energie ist heute immer noch viel zu günstig. Investitionen in thermische Speicher sind Investitionen in die Zukunft; in die Versorgungssicherheit und die Dekarbonisierung unseres Energiesystems. In Zukunft sollte es deshalb nicht darum gehen, dass jeder für sich sein Gebäude und seinen Geldbeutel optimiert, sondern seinen Beitrag ans System leistet und zum Beispiel auch sein Haus mit Speicher als Teil des gesamten Energiesystems betrachtet.»

0 Kommentare

Sei der Erste der kommentiert!

Kommentar ist erforderlich!
Name ist erforderlich!
Gültige E-Mail ist erforderlich!
This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.