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Regenerativer Tourismus

Die Gäste in der Natur richtig lenken

11.04.2024
1/2024

Auf der Jagd nach authentischen Naturerlebnissen überrennt die Bevölkerung teilweise heikle Lebensräume von Wildtieren – oft ohne es zu merken. Das lässt sich ändern.

Immer mehr Menschen zieht es auf der Suche nach aktiver Erholung in die unberührte, wilde Natur. Das zeigt ein Blick auf ausgeübte Freizeitsportarten. Beim Schneeschuhlaufen, Ski- und Snowboardtourenfahren zum Beispiel vermeldete das Schweizer Sportobservatorium ein Plus von 40 Prozent innerhalb von sechs Jahren. Das waren 2019 gegenüber 2013 rund 180'000 Wintersportbegeisterte zusätzlich, die sich abseits von präparierten Pisten tummelten. Ähnliche Massen mobilisierten Klettern, Bergsteigen oder Mountainbiken zusätzlich. «Und mit Corona hat sich der Trend nochmals beschleunigt», sagt Professor Stefan Forster, Leiter des Forschungsbereichs Tourismus und nachhaltige Entwicklung der ZHAW. Einen veritablen Boom erlebte zum Beispiel das Schneeschuhlaufen mit einem Plus von 65 Prozent in den Pandemiejahren 2020 und 2021.

«Wer eigene Wege entdecken und in der Natur allein sein will, beeinträchtigt nicht selten heikle Räume.»

Stefan Forster, Forschungsbereich Tourismus und nachhaltige Entwicklung

Dadurch entstehen in der kleinräumigen Schweiz unweigerlich Probleme. «Jeder Quadratmeter ist bereits einer Nutzung zugeordnet, hier gibt es keine unberührte Wildnis wie in Kanada», sagt Tourismusexperte Forster. Er beobachtet einen «paradoxen Umstand». Wer abseits der Warteschlangen am Skilift das «echte» Naturerlebnis sucht, will eigentlich nachhaltig handeln, reist beispielsweise mit dem öffentlichen Verkehr an. Aber das ändert wenig an den Schäden, die die Sehnsucht nach dem Authentischen anrichtet: «Wer eigene Wege entdecken und in der Natur allein sein will, beeinträchtigt nicht selten heikle Räume.» Da wäre es sinnvoller, ein ausgebautes Skigebiet zu nutzen. Massentourismus, folgert Forster, sei nicht immer schlecht punkto Nachhaltigkeit.

Ranger im Einsatz

«Oft ist fehlendes Wissen das Problem», sagt Professor Forster. Die Motivation für die Ausflüge sei ja immer auch eine Wertschätzung für die Natur, «dort kann man die Leute am besten abholen». Vieles lasse sich im Gespräch erreichen. Forster verweist auf Tourismusdestinationen, die zunehmend Ranger einsetzen. Bei Instagram-propagierten Bergseelein etwa oder in der spektakulären Rheinschlucht ob Ilanz, dem «Swiss Grand Canyon». Sie erklären, was es bedeutet, wenn jemand quer durch das Brutgebiet der Flussuferläufer geht, halten Wege instand und müssen natürlich auch immer wieder dazu ermahnen, den Abfall nicht liegen zu lassen. Ziel ist es, die Gäste in der Natur richtig zu lenken, auch mit Infotafeln oder attraktiven Alternativvorschlägen auf Social Media.

«Wildtiere profitieren messbar von Wildruhezonen und anderen Schutzgebieten.»

Claudio Signer, Forschungsgruppe Wildtiermanagement

Auch Wildruhezonen und andere Schutzgebiete bewähren sich. «Die Tiere profitieren messbar davon», sagt Claudio Signer von der Forschungsgruppe Wildtiermanagement. Wildruhezonen sind auf Wintersportkarten eingezeichnet und wo sinnvoll vor Ort markiert. Wer sie missachtet, riskiert eine Busse. So werden die Schutzgebiete laut Signer auch beachtet. Blosse Empfehlungen hingegen hält er nicht für zielführend. Am erfolgreichsten seien lokale Initiativen. Unter Einbezug aller Beteiligten von Wildhüterinnen und Wildhütern über Bergbahnen bis zu den Skitourenguides entstünden sinnvolle Schutzzonen: «Da ermöglicht man vielleicht einen Durchfahrtskorridor für eine besonders attraktive Abfahrtsroute und schon steigt die Akzeptanz.»

Auerhuhn im Mountainbike-Mekka

Wie eine Karte auf dem Internetportal Wildruhezonen.ch zeigt, liegen Wildruhezonen bislang meist in den Alpen und Voralpen. Doch auch im Mittelland leiden einige Wildtiere unter dem Outdoorboom. Ablesen lässt sich das am vom Aussterben bedrohten Auerhuhn. Der Bestand des prächtigen Bodenbrüters wird in der Schweiz auf wenige hundert Exemplare geschätzt. Einige davon leben auf dem Höhronen, einem Hügelzug zwischen dem Zürichsee und dem Sihlsee im Kanton Schwyz. Ausgerechnet dieses Gebiet entwickelte sich in der Corona-Zeit zu einem regionalen Mountainbike-Mekka. Die Sportbegeisterten legten neue Wege an, bauten Sprungschanzen, fällten kleinere Bäume – auch durch empfindlichstes Terrain mit Rückzuggebieten fürs Auerhuhn und andere Wildtiere. 

Kompromiss für Sport und Natur

Ein Albtraum für die Natur. Am Tiefpunkt machte der lokale Förster in der Lokalzeitung klar, dass es mit der Naturzerstörung so nicht weitergehen könne. Aber er zeigte sich gesprächsbereit. «Das war ein Glücksfall», sagt Adrian Hochreutener von der ZHAW-Forschungsgruppe Umweltplanung, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Wildhüter und Förster einigten sich mit den Bikerinnen und Bikern auf vier Mountainbike-Trails. Die übrigen Wege und die vielen Abzweigungen verbarrikadierten sie gemeinsam. Hinweistafeln erklären, dass das Befahren nachts, in der Dämmerung und im Winter nicht zulässig ist.

«Die grosse Mehrheit der Biker fährt nicht mehr in der Nacht, bleibt auf den offiziellen Trails – und ist mit der Lösung zufrieden.»

Adrian Hochreutener, Forschungsgruppe Umweltplanung

Wie gut das befolgt wird, prüft die ZHAW-Forschungsgruppe mit Zählstellen an den offiziellen und gesperrten Wegen. Nebst diesen punktuellen Messungen nutzt sie für ein breiteres Bild auch anonymisierte GPS-Daten, die Sport-Apps der Forschungsgruppe zur Verfügung stellen. Erste Messungen und Befragungen zeigen, dass der Höhronen zu einem Vorzeigebeispiel werden kann. «Es ist eindrücklich», sagt Hochreutener, «die Leute fahren kaum mehr während der Dämmerung, nicht mehr in der Nacht und sie bleiben auf den offiziellen Trails – und sie sind mit der gefundenen Lösung sehr zufrieden.»

Am helllichten Tag Tiere beobachten

«Von guten Lösungen profitieren nicht nur die Wildtiere, sondern auch die erholungssuchenden Menschen», sagt Claudio Signer. Die positiven touristischen Auswirkungen des Wildtierschutzes sehe man auch im Schweizerischen Nationalpark. Dort sind Mountainbikes, Ski oder Hunde nicht zugelassen. Im Sommer gilt ein Weggebot. Im Winter sind die Wege im Park gesperrt, sobald Schnee liegt. Die Tiere sind sehr ungestört, zugleich aber Menschen auf den Wegen gewohnt und wissen, dass von denen keine Gefahr ausgeht, so der Biologe: «Das ist das Schöne am Nationalpark, man kann am helllichten Tag wilde Tiere beobachten.»

Schon relativ tiefe Lärmbelastung stört

Für ihre Masterarbeit in Umwelt und Natürlichen Ressourcen hat die ZHAW-Studentin Ricarda Ferrari untersucht, welchen Einfluss Geräusche auf die Erholungsqualität haben. Im Naturpark Beverin und im Parc Ela befragte sie an verschiedenen Stellen 277 Erholungssuchende und mass den Lautstärkepegel. Dabei zeigte sich, dass die Störung nicht einfach parallel zum Lärmpegel ansteigt. Schon ab einer mittleren Lautstärke fühlten sich die Befragten gestört, wenn die Geräusche menschlichen Ursprungs waren, beispielsweise also von – weit entfernten – Autos, Töffs oder Quads stammten. Ricarda Ferrari schliesst daraus, dass Lärm schon ab einem Schwellenwert zwischen 34 und 39 Dezibel (dBA) negative Auswirkungen auf die Erholungsqualität hat. Zum Vergleich: 35 dBA entsprechen ungefähr dem Geräuschpegel eines Zimmerventilators.

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