Verkannte Delikatessen

Die ungenutzten Schätze im Bienenstock

11.04.2024
1/2024

Während es die bedrohten Wildbienen zu schützen gilt, fällt bei den Honigbienen ein Überschuss an männlichen Larven an. Wenn es nach Irmak Uzundemir Bischof geht, landen diese Tiere schon bald auf unseren Tellern.

Bienendrohnen, also männliche Bienen, sind für die Imkerei in etwa so nutzlos wie männliche Küken in der Eierproduktion. Ihre einzige Aufgabe im Bienenvolk ist es, sich mit der Königin zu paaren. Tausende streben danach, aber den wenigsten gelingt es. Alle anderen machen den fleissigen Arbeiterinnen im Bienenvolk nur die Nahrung und den Wohnraum streitig. Die Drohnenbrut der Honigbiene wird in der Imkerei aus dem Bienenstock entfernt, um die schädliche Varroamilbe zu bekämpfen. Im Fachjargon ist vom Drohnenschnitt die Rede.

«Jedes Jahr werden in der Schweiz Bienendrohnen in der Grössenordnung von schätzungsweise 80 bis 100 Tonnen als Abfall entsorgt, vergleichbare Zahlen kennen wir auch aus Dänemark», erklärt Irmak Uzundemir Bischof, Masterstudentin in Preneurship for Regenerative Food Systems an der ZHAW. «Ich halte das für eine Ressourcenverschwendung, weil die Drohnen essbar sind.» Die Bienenbrut zähle zu den begehrtesten und qualitativ hochwertigsten essbaren Insekten überhaupt. Aber was in anderen Teilen der Welt ganz normal ist, steckt in Europa noch in den Kinderschuhen: Insekten als Lebensmittel für Menschen.

Verkannte Delikatessen 

Nachdem Mehl- und Buffalowürmer, Wanderheuschrecken sowie Hausgrillen bereits europaweit als sogenanntes Novel Food zugelassen worden sind, werden die Bienen voraussichtlich noch in diesem Jahr ebenfalls zum legalen Snack. Irmak Uzundemir Bischof hat bereits vor einigen Jahren erstmals Drohnenlarven gegessen – und der Geschmack hat die Gastronomie-Spezialistin auf Anhieb überzeugt. Im Rahmen eines von ZHAW sustainable geförderten Projekts hat sie einen Verarbeitungsprozess für die bis anhin ungenutzten Drohnenlarven entwickelt. Dazu hat sie mit einer Imkerin unweit des Campus Grüental in Wädenswil zusammengearbeitet. «Entscheidend ist, die Larven im Präpuppenstadium und vor dem Befall durch die Varroamilbe zu erwischen», so die Studentin. Dies erfordere tagelang stabile Temperaturen, Sonnenschein und keinen Regen in einem Zeitfenster von wenigen Wochen rund um den Monat Mai herum. Wenn es dann so weit ist, muss es schnell gehen: Die Larven werden mit flüssigem Stickstoff von der Wabe getrennt. Innerhalb von 20 Minuten müssen sie im Gefriertrockner landen, da sie sonst zu oxidieren beginnen.

Ein Nebenprodukt zum Honig

Trotz des technischen Aufwands bilden die Drohnenlarven eine ressourcenschonende Alternative, um proteinreiche Lebensmittel herzustellen. Im Gegensatz zu anderen essbaren Insekten müssen sie nicht eigens gezüchtet werden, sondern fallen in der Imkerei ohnehin an. Diese Möglichkeit konnte bereits in einem früheren Forschungsprojekt der ZHAW aufgezeigt werden. Der nun von Irmak Uzundemir Bischof entwickelte Verarbeitungsprozess kann von Imkerinnen und Imkern selbst angewendet werden, sofern sie über die technischen Möglichkeiten verfügen und die erforderlichen Hygienestandards einhalten. Ähnlich wie bei der Verarbeitung von Geflügelfleisch muss sehr sauber und mit kühlen Temperaturen gearbeitet werden, damit die Drohnen nicht verderben. Die Verarbeitung vor Ort scheint auch ökologisch sinnvoll. Dezentral verteilte Bienenhäuschen mit logistischem Aufwand abzuklappern, um die Drohnen zentral zu verarbeiten, kommt für Irmak Uzundemir Bischof nicht in Frage: «Mir geht es um die Sache und nicht darum, ein eigenes Startup zu gründen, um damit Geld zu verdienen.» Ihr Geschäftsmodell kommt den Imkereien zugute, die es anwenden und die Drohnen als Nebenprodukt zum Honig anbieten können.

Mit Schokolade zu mehr Akzeptanz

In ihrer Masterarbeit untersucht Irmak Uzundemir Bischof nun, wie es die Drohnen tatsächlich auf den Teller schaffen: «Honigbienen geniessen in unserer Gesellschaft ein hohes Ansehen als sympathische Helferlein.» Die Hemmschwelle, Bienen zu essen, sei deshalb höher als bei Heuschrecken oder Mehlwürmern. Neben dem guten Image gelte es gleichwohl auch, den Ekelfaktor zu überwinden. Die Studentin hat aber schon eine Idee: «Eine Möglichkeit ist es, sie mit Schokolade zu umhüllen. Ich kann mir vorstellen, dass dies bei uns in der Schweiz gut ankommt.» Mit diesem süssen Ansatz will sie das Eis zwischen der Gesellschaft und dem neusten Novel Food brechen und damit einem Abfallprodukt zu finanziellem und ökologischem Wert verhelfen.

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