Dozent und Unternehmer: «Es braucht einen langen Atem bis zum Erfolg»

19.09.2023
3/2023

Für Markus Roos ist es der krönende Höhepunkt seiner Karriere: Der ZHAW-Dozent für numerische Mathematik konnte ein von ihm erfundenes Sensorsystem an einen US-Konzern verkaufen. Der Weg dahin war vor allem das Ergebnis einiger unerwarteter Wendungen.

Um zu verstehen, was Markus Roos zu seiner Erfindung führte, ist ein Blick auf die Vorgeschichte wichtig. Von 1990 bis 1994 war Markus Roos beim Energiemanagement-Konzern Landis + Gyr als Physiker und Entwickler angestellt. Eine Gruppe von Physikern, Elektrotechnikern und Mathematikern, darunter auch Roos, entwickelte in dieser Zeit mit Forschenden der ETH die Software SESES (Semiconductor Sensor Simulation): Diese unterstützte die Entwicklung von Sensoren zur Leistungsmessung in Haushaltszählern.

Jedoch verkaufte Landis + Gyr dann den entwickelten Sensor inklusive der Fertigungslinie an die Firma AMS in Österreich. Die Software SESES selbst war nicht Teil des Verkaufs: «Daraufhin löste eine Gruppe von Entwicklern den Software-Anteil für einen symbolischen Franken aus Landis + Gyr heraus», erinnert sich Markus Roos. «Sie gründete im Anschluss 1992 die Firma Numerical Modelling, um die Software weiterentwickeln zu können mit dem Ziel, sie zu kommer­zialisieren.» Roos selbst war nicht unter den Investoren, beteiligte sich aber drei Jahre später an Numerical Modelling (NM).

Seit 26 Jahren an der ZHAW

«Ich erzähle meinen Studierenden jeweils von meiner Tätigkeit in der Firma Numerical Modelling und versuche vor allem aufzuzeigen, dass das im Unterricht vermittelte Wissen in der Industrie tatsächlich gebraucht werden kann.»

Nochmals zwei Jahre später, im Jahr 1997, startete Roos dann als Lehrbeauftragter seine Tätigkeit an der School of Engineering, seit 2002 ist er Dozent für Mathematik. «Ich erzähle meinen Studierenden jeweils von meiner Tätigkeit in der Firma Numerical Modelling und versuche vor allem aufzuzeigen, dass das im Unterricht vermittelte Wissen in der Industrie tatsächlich gebraucht werden kann», sagt er.

Bei Numerical Modelling arbeitete Roos seit 1995 an der Weiterentwicklung der Software SESES: Es entstand eine sogenannte Finite Element Software – eine Software, mit der sich physikalische Zusammenhänge numerisch abbilden lassen. Der Durchbruch dieser eigenen Software liess jedoch auf sich warten.

Gute Entwicklerinnen und Entwickler sind nicht unbedingt gut im Verkauf

«Bei der Entwicklung zu einem marktreifen Produkt ergab sich das erste Problem. Die Firma musste erkennen, dass gute Entwicklerinnen und Entwickler nicht automatisch gute Verkäuferinnen und Verkäufer sind», fasst Markus Roos die damalige Situation zusammen. «Es hat noch eine ganze Weile gedauert, bis klar war, dass man beim Vertrieb nicht weiterkommt. Es hätte Investierende gebraucht, die mit grossen Summen den Verkauf der Software hätten vorantreiben müssen», so der Physiker.

Zudem gab es eine gewichtige Konkurrentin für diese Simula­tionssoftware: die schwedische Firma COMSOL, die heute weltweit Marktführerin von Multiphysics-Simulationen ist. «Die Idee für eine solche Software hatte bei uns zwar bereits bestanden, bevor die Firma COMSOL sie hatte», so Roos. «Doch zum damaligen Zeitpunkt war COMSOL nicht mehr einzuholen und schon so stark, dass es kaum eine Chance gab, ein ähnliches Produkt auf dem Markt zu platzieren», erinnert sich der ZHAW-Dozent.

Neuausrichtung und Einstieg als Geschäftsführer

Darauf folgte im Jahr 2003 eine Neuausrichtung von Numerical Modelling. «Dies war auch der Moment, in dem ich in die Firma als Geschäftsführer eingestiegen bin», so der Unternehmer. Die Idee war es nun, die Simulationssoftware als Paket zusammen mit einer auf die Kundschaft zugeschnittenen Engineering-Dienstleistung anzubieten.

Der Fokus auf den Support stellte sich zumindest eine Zeit lang als Erfolg heraus. «Wir haben das gut gemacht, trotzdem konnten wir auf Dauer nicht wirklich neben der Konkurrenz von COMSOL bestehen, der kommerzielle Erfolg war schlicht zu gering. Auch konnten wir im Vergleich zu Fachhochschulen, die damals erst mit ihrer Forschungs­tätigkeit begannen, unsere Simulationen nicht selbst validieren oder Kontroll­messungen durchführen. Hier waren die Institute von den durch Innosuisse geförderten Fachhochschulen im Vorteil, da sie den Geschäftskunden beides – Simulieren und Validieren – anbieten konnten», führt Markus Roos an. «Mithalten war hier schwierig – und somit wandten sich erneut die finanziellen Spiesse gegen uns.»

«Das Messprinzip des Sensors zeichnet sich dadurch aus, dass es selbst merkt, wenn es nicht mehr korrekt misst.»

Markus Roos, Dozent an der School of Engineering

Auch wenn letztlich diese Strategie von Numerical Modelling nicht zum kommerziellen Erfolg führte, konnte Markus Roos durch die Support-Zusammenarbeit mit der Kundschaft im Automobilsektor viel Wissen im Bereich elektromagnetischer Sensoren sammeln.

Das Know-how im Automobilsektor inspirierte ihn schliesslich im Jahr 2015 zu einer Produktidee, die sich als persönlicher Game Changer seiner Karriere herausstellen sollte. «Dabei handelt es sich um einen Winkelsensor, der beispielsweise im Automobilbereich eingesetzt werden kann, um die Posi­tion des Bremspedals zu erfassen», erklärt Roos. In Elektroautos kann damit gleichzeitig auch die Position des Rotors, also des sich drehenden Teils eines Elektromotors, erfasst werden: «Diese Position muss erfasst werden, damit der elektrische Antriebsstrom energieeffizient und für die bestmögliche Antriebsleistung geschaltet werden kann», erklärt Roos. «Mein Messprinzip zeichnet sich dadurch aus, dass es selbst merkt, wenn es nicht mehr korrekt misst.»

Bei der Bestimmung der Position des Bremspedals bestehen die herkömmlichen Rohmesswerte aus zwei Messdaten, die dem Cosinus und Sinus eines Winkels entsprechen. Diese beiden Werte ergeben damit immer einen Winkel, und wenn dieser nicht stimmt, sind die Messwerte entsprechend falsch und das Bremspedal funktioniert nicht mehr korrekt. «Bei meiner Methode werden mehr als zwei Messungen durchgeführt, das heisst, es wird redundant gemessen», so Roos. Mit der Redundanz lässt sich feststellen, ob die Eichung des Sensors nicht mehr stimmt. «Damit beinhaltet das Messprinzip eine inhärente Fehlerdetektion», so Markus Roos. Er nennt gleich einen möglichen Einsatz des Systems: «Wenn durch langsam fortschreitende Abnützung etwa die Bremsfunktion eines Autos nicht mehr korrekt funk­tioniert, kann mithilfe dieser Funk­tion eine Fehlermeldung ausgelöst werden.» Diese Veränderung kann normalerweise nur ein zusätzlicher Sensor erkennen. Roos hat zusammen mit seinem Team dies alles in einem System verbaut.

Um zum Anfang der Geschichte zurückzukommen: Das wichtigste Werkzeug für Roos’ Erfindung war die Simulationssoftware SESES. «Die ganze Idee beruht auf einem physikalisch-mathematischen Zusammenhang, und das ganze physikalische System konnte ich mithilfe der Simulationssoftware SESES berechnen, ohne es vorher bauen zu müssen», erklärt Roos.

«Patentierung und Verkauf waren aufwendig und komplex. Ich habe gemerkt, dass ich selbst mehr Wissenschaftler und Tüftler bin als Entrepreneur.»

Markus Roos, Erfinder und Entwickler

Zunächst plante Roos gar nicht, seine Erfindung weiterzuentwickeln oder sie gar zu verkaufen. «Ein Kollege, der viel Erfahrung in der Autoindustrie sammeln konnte, schlug mir vor, das System patentieren zu lassen», so Roos. Numerical Modelling ging mit der Firma dieses Kollegen, der Maglab AG, ein Joint Venture ein. Sie steuerte nebst finanziellen Mitteln auch das Know-how zur Markttauglichkeit in der Automobilindustrie bei.

Erfindung weckt Interesse von US-Konzern

Roos‘ Messsystem mit dem Namen COBROS (Calibra­tion and Operation Based on Rota­tional Symmetry) fand schliesslich im US-Automobilzulieferer CTS Corporation einen Käufer. COBROS hat für den US-Konzern das Potenzial, die Effizienz von Elektromotoren zu steigern. «Gleichzeitig liefert es Angaben über die Position des Rotors und über mögliche Fehlfunktionen und schlägt somit zwei Fliegen mit einer Klappe», ergänzt Roos.

Doch dem erfolgreichen Verkauf ging ein langer und komplexer Patentierungsprozess voraus, der erst im Februar dieses Jahres abgeschlossen werden konnte. «Die Patentierung der Erfindung in Europa und in den USA war hochkomplex. Und auch der Verkauf beanspruchte viel Zeit und Geld. Ich habe noch eine ganze Menge hinzulernen können und habe bemerkt, dass ich selbst mehr Wissenschaftler und Tüftler bin als Entrepreneur», sagt Roos.

Nach Verkauf Beraterfunktion

Zwar hat  er seine Erfindung nun aus der Hand gegeben, doch begleitet er sie noch bis zu seiner Pensionierung als beratender Angestellter von CTS Corporation. «Im Rückblick lässt sich sagen, dass zwar die Geschäftsidee mit Numerical Modelling nicht so aufgegangen ist, wie es geplant war, aber ohne das Wissen, das ich mir mit der Entwicklung der Software über die Jahre angeeignet habe, und die breite Unterstützung eines starken Teams hätte ich COBROS nie realisieren können», sagt Roos. «Vielleicht kann ich sogar noch erleben, wie meine Erfindung als Produkt in E-Autos eingesetzt wird. Das wäre sehr schön», fügt er hinzu und lächelt zufrieden.  

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