Durch Interdisziplinarität neue Industrien gestalten
Internet, Digitalisierung, Disruption. Unsere Industrielandschaft ist im stetigen Wandel. Traditionelle Branchengrenzen werden in rasendem Tempo aufgebrochen und neue Geschäftsmodelle über Industriegrenzen hinweg gespannt. Wie können sich Unternehmen in ihrem Innovationsmanagement besser darauf vorbereiten?
Wenn sich Geschäftsmodelle verändern und Branchen verschmelzen, dann spricht man auch von Konvergenz. Zu beobachten ist das z.B. bei der Annäherung zwischen Lebensmittel- und Pharmaindustrie, im Fintech-Bereich und vor allem bei der Verschmelzung der Informations- mit der Telekommunikationsbranche. Einst erfolgreiche Unternehmen wie der Handyhersteller Nokia haben sich längst vom Smartphone-Markt verabschiedet. Andere Player schreiben mit Smartphones und Wearable Computing neue Erfolgsgeschichten und durchbrechen dabei bestehende Produktkategorien, wie Apple mit der Ankündigung des Vision Pro.
Welches sind die treibenden Kräfte?
Fredrik Hacklin, Professor für Global Strategy and Entrepreneurship und Leiter der Abteilung International Business an der School of Management and Law, forscht seit vielen Jahren zum Thema Konvergenz: Welches sind die treibenden Kräfte? Mit welchen Strategien können Führungskräfte diese Entwicklungen antizipieren, mit welchen Geschäftsmodellen reagieren, damit ihre Unternehmen nicht auf der Strecke bleiben?
«Die Entstehung der modernen ICT-Industrie erfolgte nicht erst in den 90er Jahren, sondern schon viel früher.»
In seiner neusten Literaturstudie untersuchte Hacklin gemeinsam mit Kollegen der Chalmers University of Technology sowie der ETH Zürich Kollaborationsmuster von Forschungs- und Entwicklungsteams (F&E) in den Frühphasen der Entstehung der heutigen Informations- und Telekommunikationsbranche. Anhand einer bibliometrischen Studie mit über 200'000 Fachartikeln aus dem Web of Science konnten sie beleuchten, nach welchen Mustern und zu welchem Zeitpunkt die Innovationstätigkeiten in F&E-Teams Brücken schlagen konnten zwischen den – einst getrennten – wissenschaftlichen Communities.
Wissenschaftscommunities sind Vorreiter
Seine Beobachtungen: Lange bevor sich diese Entwicklungen auf der Industrieebene abzeichneten, brodelte es bereits in den wissenschaftlichen Communities. Dort diskutierten individuelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen über neuartige Produkt- oder Servicelösungen. Sie entwickelten neue Prototypen, bildeten neue Teams – interdisziplinär, über Branchengrenzen hinweg. «Dies ist nicht unbedingt intuitiv», so Fredrik Hacklin. «Die moderne ICT-Industrie ist bei Weitem nicht ein alleiniges Resultat aus Deregulierung sowie strategischem und unternehmerischem Handeln in den 90er Jahren – dieser schleichende Prozess hat schon viel länger stattgefunden.»
«Konvergenz zeichnet sich in einer langen Kette von Ereignissen ab. Und wir haben heute die Tools verfügbar, um dies zu erkennen.»
Damit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger künftig nicht negativ überrascht werden von solchen grundlegenden Veränderungen, hat er vor allem zwei Tipps: Zum einen müssen Innovationsteams interdisziplinär zusammengesetzt sein. «Dies kann man als eine neue Form des Entrepreneurial Mindset betrachten: Wie hoch ist meine Neugier, über den Tellerrand hinauszuschauen? Wie kann ich gezielt interdisziplinäre Teams konstruieren?», ist der Professor überzeugt.
KI hilft beim Innovationsmanagement
Zum anderen sollten wissenschaftliche Communities beobachtet werden. Diese Daten gibt es und sie sind leicht verfügbar. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, wissenschaftliche Veröffentlichungen auf Frühwarnsignale hin zu durchforsten: Welches sind die Themen, die am intensivsten diskutiert werden, wer zitiert wen? Die Beobachtungen können für die Ausrichtung des Innovationsmanagements massgebend sein: «Auf dem Gebiet tut sich was, schaut euch das doch mal an.»
Fredrik Hacklins Fazit: «Konvergenz passiert nicht über Nacht, sie zeichnet sich in einer langen Kette von Ereignissen ab. Und wir haben heute die Daten und Tools verfügbar, um dies zu erkennen.»
Hacklin, F., Wallin, M. W., Björkdahl, J., & von Krogh, G. (2021). The making of convergence: knowledge reuse, boundary spanning, and the formation of the ICT industry. IEEE Transactions on Engineering Management, 70(4):1518-1530 (open access)
Hacklin, F., Björkdahl, J., & Wallin, M. W. (2018). Strategies for business model innovation: How firms reel in migrating value. Long Range Planning, 51(1):82-110. (open access)
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