Wearables und Hospital at Home

Ein Rezept für das Spital der Zukunft

19.09.2023
3/2023

Das Spital von morgen wird ein anderes sein, als wir es heute kennen. Ein interdisziplinäres Konsortium erforscht unter der Leitung der ZHAW, wie die digitale Transformation gelingen kann.

Ins Spital der Zukunft treten Patientinnen und Patienten besser vorbereitet ein, während ihres Aufenthalts wird ihr Gesundheitszustand genauer und kontinuierlich erfasst, zudem werden sie früher nach Hause entlassen und trotzdem optimal nachversorgt. Und dies alles ohne zusätzliche Belastung des Personals und ohne Qualitätseinbussen. Was fast zu schön klingt, um wahr zu sein, soll durch den konsequenten Einsatz neuer Organisationsformen, digitaler Technologien und mittels der Vernetzung von Abläufen und Daten ermöglicht werden. Dadurch sollen Spitäler kontinuierlich von einem teuren und schwerfälligen Akteur in ein intelligentes und agiles System transformiert werden. 

Bedürfnisorientiertes Vorgehen

Dieses Zukunftsszenario soll gegen Kostendruck, Personalmangel oder Überbelegung helfen und wird derzeit im Rahmen des ambitionierten Innosuisse-Projekts «Smart Hospital – Integrated Framework, Tools & Solutions», kurz SHIFT, erforscht. Dahinter steht ein Konsortium aus fünf Forschungspartnern, 20 Spitälern und 24 Industriepartnern. Ziel des Projekts, das 2022 startete und noch bis 2025 dauert, ist es, eine Daten- und Wissensplattform zu schaffen, die aufzeigt, wie diese Transformation praktisch gelingen kann. 

Für bessere Schlafqualität

Nach der ersten Phase des SHIFT-Projekts, in der die Bedrüfnisse aller Beteiligten erfasst und Konzepte entwickelt wurden, wird nun in der zweiten Phase alles konkret erprobt. Unter anderem in Basel am Universitätsspital. Dort kommen Wearables – kleine tragbare Computer wie Smartwatches etc. – zum Einsatz, die mittels mobiler Sensoren Vitalparameter wie Herz- und Atemfrequenz messen. Professor Jens Eckstein, ärztlicher Leiter von SHIFT und leitender Arzt und Chief Medical Information Officer am Universitätsspital Basel, hat damit viel Erfahrung. Er und sein Team setzen sich seit zehn Jahren mit dem Thema auseinander und sind deshalb prädestiert dafür, um Geräte, Abläufe und auch die Akzeptanz zu testen. Im Rahmen von SHIFT setzt Eckstein die Sensoren ein, um beispielsweise eine bessere Schlafqualität bei Patientinnen und Patienten zu erreichen und Nachtdienste zu entlasten: «Ein pflegerischer Nachtdienst ist für rund 30 Patientinnen und Patienten zuständig. Ohne Wearables geht der Nachtdienst mit einer Taschenlampe von Bett zu Bett.» Dabei würden jene, die aufgrund von Krankheit, Spitalumgebung, Bettnachbar etc. per se nicht optimal schlafen, geweckt und hätten oft Mühe, wieder einzuschlafen. Eine schlechte Nacht wirkt sich nicht optimal auf das Wohlbefinden aus.

«Die Bereitschaft für und der Wunsch nach Monitoring nehmen zu, sobald es einer Person schlecht geht.»

Jens Eckstein, ärztlicher Leiter von SHIFT

«Wenn die Patientinnen und Patienten Wearables tragen und der Nachtdienst auf einem Bildschirm ihre Werte überprüft, kann er sich auf die Personen mit schlechten Werten konzentrieren und die anderen schlafen lassen», so Eckstein. Er betont dabei, dass diese Technik im Rahmen der Studie zusätzlich zur sonst üblichen Versorgung zum Einsatz komme. «Wir übernehmen diese Routine erst, wenn wir sicher sind, dass wir bei gleicher Qualität Ressourcen sparen, die Sicherheit erhöhen und die Pflege nicht zusätzlich stressen.» Die Frage, ob sich Patientinnen und Patienten beim Einsatz von Wearables nicht von Geräten und Algorithmen überwacht fühlten, verneint Eckstein klar. «Während der Covid-19-Pandemie setzten wir zur Überwachung von isolierten Patientinnen und Patienten Wearables ein und stellten fest: Es hilft ihnen, sich nicht allein gelassen zu fühlen.» Gesunde Personen würden sich eher gegen eine ständige Überwachung und Anzeige ihres Gesundheitszustands aussprechen. «Die Bereitschaft für und der Wunsch nach Monitoring nehmen zu, sobald es einer Person schlecht geht.» 

«Neue Abläufe in bestehende Strukturen einzubringen, ist schwieriger, als nur neue Technologien zu etablieren»

Jens Eckstein, Chief Medical Information Officer am Universitätsspital Basel

Ein weiteres SHIFT-Projekt setzt darauf, Patientinnen und Patienten bereits vor ihrem Eintritt ins Spital besser vorzubereiten, Fachleute sprechen von prähabilitieren. Wie das aussehen könnte, beschreibt Eckstein so: «Nehmen wir an, eine Person mit Hüftproblemen bewegt ihr Bein kaum noch. So werden die Muskeln schwach und das Bein ist unzureichend auf die OP vorbereitet.» Mobile Sensoren können den Bewegungsmangel erkennen und die Person mit motivierenden Apps und Videos gezielt zum Training anregen. «Ist das Bein in einem besseren Zustand, verkürzt sich in der Regel die Aufenthaltsdauer im Spital.»

Hospital at Home

«Hospital at Home» nennt sich ein weiteres Projekt – für Jens Eckstein das heikelste, denn der Übergang vom Spitalaufenthalt in die häusliche Versorgung stellt eine kritische Phase im Behandlungsprozess dar. In der SHIFT-Pilotstudie werden aktuell 53 Patientinnen und Patienten bei ihrem frühzeitigen Übertritt nach Hause in enger Absprache mit den zuständigen Hausärztinnen und -ärzten aktiv begleitet durch die digitale Gesundheitsplattform Medgate. «Dies erfordert eine dichte Kommunikation zwischen allen Beteiligten – viele Prozesse mussten aufgegleist werden, um den Informations- und Datenfluss zu gewährleisten», sagt Eckstein. Dies gilt ganz grundsätzlich für alle SHIFT-Projekte: «Neue Abläufe in bestehende Strukturen einzubringen, ist schwieriger, als einfach nur neue Technologien zu etablieren», erklärt der ärztliche Leiter. Ein neuer Prozess müsse die sicherere und bessere Betreuung der Patientinnen und Patienten gewährleisten. «Auch müssen diese mitmachen und die Sensoren tragen. Dafür ist eine positive Kommunikation unabdingbar.» Aber auch die Mitarbeitenden müssten vom Mehrwert von Neuerungen wie Wearables überzeugt werden. «Wenn das Spitalpersonal das Gefühl hat, es sei durch den Einsatz – beispielsweise durch das Aufladen der Geräte – zusätzlich be- und nicht entlastet, ist das hinderlich.»

Vertrauen der Hausärztinnen und -ärzte gewinnen

Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Etablierung neuer Strukturen sei nicht, ob man das als Institution wolle, sondern ob alle Beteiligten einen Mehrwehrt darin sehen. «Ein zentraler Punkt der aktuellen Studie ist deshalb auch, das Vertrauen der Hausärztinnen und Hausärzte in diese neuen Strukturen zu gewinnen. Wir sind auf gutem Weg und sehen, wie unser Projekt erste Früchte trägt», sagt Eckstein. 

«Die Projekte ergeben in der Summe ein Rezept voller transdisziplinärer Innovationen, das jedem Spital die Zutaten für die digitale Transformation liefert.»

Johanna Stahl, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie der ZHAW

Insgesamt umfasst SHIFT elf Unterprojekte. «Sie ergeben in der Summe ein Rezept voller transdisziplinärer Innovationen, das jedem Spital die Zutaten und Vorgehensweisen für die digitale Transformation mitliefert», sagt Johanna Stahl vom Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie (WIG)  der ZHAW. Stahl ist für das operative Management des Projekts zuständig. «In einer ersten Phase haben wir die Projekte konzeptualisiert und die Bedürfnisse aller Beteiligten erfasst.» Vor allem in der ersten Phase habe sich gezeigt, dass in Spitälern zwar viele technologische Innovationen zum Einsatz kämen, oft aber ohne die Gesamtorganisation zu berücksichtigen. «Digitale Transformationsprojekte werden aktuell als IT-Projekte behandelt», erklärt Stahl. Dabei werde der Fokus auf den Menschen und auf den Change-Prozess generell nicht ausreichend berücksichtigt. «Bei SHIFT arbeiten wir bedürfnisorientiert und klären beispielsweise ab, wie wir bei Personal und Patientinnen und Patienten Akzeptanz für Künstliche Intelligenz und Virtual Reality schaffen können.» 

Fokus auf Kernkompetenzen

Zudem werde erforscht, wie die vielen Prozesse des Spitalalltags effizienter und effektiver gestaltet werden können. Stahl verdeutlicht das an einem Beispiel: «Trete ich als Frau in gewissem Alter ins Spital ein, muss ich bei jeder neuen Kontaktperson die Frage beantworten, ob ich schwanger bin. Dabei könnte diese Information einmal erfasst und an alle Spitaleinheiten weitergegeben werden.» Durch technologische Unterstützung der Prozesse würde das medizinische Personal mehr Zeit für seine Kernaufgaben erhalten. Die letzte und entscheidende SHIFT-Phase startet im nächsten Jahr: Dann sollen die Ergebnisse aus den Pilotprojekten nachhaltig implementiert werden – das Rezept muss sich bewähren. 

Das Innosuisse-Flagship-Projekt SHIFT

SHIFT steht für «Smart Hospital – Integrated Framework, Tools & Solutions». Es handelt sich dabei um ein Innosuisse-Flagship-Projekt, das unter der Leitung der ZHAW von Januar 2022 bis Juni 2025 mit vier Forschungspartnern (Universitätsspital Basel, Universitäten Basel und Zürich, FH Nordwestschweiz), 20 Spitälern und 24 Industriepartnern erforscht, wie sich die digitale Transformation im Spital umsetzen lässt. Die Ergebnisse sollen eine Vorlage für das gesamte Gesundheitswesen schaffen. Das von den ZHAW-Professoren Alfred Angerer (Leiter Management im Gesundheitswesen am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie) und Sven Hirsch (Schwerpunktleitung ZHAW Digital Health Lab) geleitete Projekt mit einem Volumen von 5,7 Millionen Franken umfasst elf Unterprojekte, die sich in drei Bereiche einteilen lassen:

  • Mit neuen Technologien eine nahtlose Behandlung ermöglichen und die Qualität steigern.
  • Die Kompetenzen des Personals erhöhen und Patientinnen und Patienten ermächtigen.
  • Prozesse effektiver und effizienter managen.

Innosuisse fördert mit der Flagship-Initiative Innovationen in systemrelevanten Bereichen. SHIFT ist eines von 15 Forschungsprojekten, die im Rahmen der Flagship-Ausschreibung 2021 bewilligt wurden. Ende Juni wurde das SHIFT-Projekt mit dem Prix d'excellence santeneXt ausgezeichnet, der Spitzenleistungen im Bereich Gesundheitsinnovation und digitale Transformation ehrt. Auf der SHIFT-Wissensplattform können die bisher erarbeiteten Inhalte aller Unterprojekte eingesehen werden.

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