«Es ist die Erfüllung eines Traums»

19.09.2023
3/2023

Landwirtschaft nachhaltig betreiben: Das ist das Ziel von Priska Stierli. Die Umweltingenieurin und Landwirtin verfolgt es auf verschiedenen Wegen: auf dem Bauernhof ihrer Eltern und als Energieberaterin.

Dass sie einmal hier auf diesem lieblichen Hügel mitten unter leise gackernden Legehennen stehen und über die biologische Landwirtschaft sprechen würde, hätte sie noch vor einigen Jahren nicht gedacht. Obwohl der Hof, den Priska Stierli zusammen mit ihrem Mann betreibt, ihr alles andere als fremd ist. Wie ihre eigenen Töchter heute hatte sie als Kind auf dieser Wiese gespielt. Im Garten neben dem schönen Wohnhaus, auf den schattigen Streifen Land zwischen Kuhstall und Geräteschuppen oder auf den rund 16 Hektaren Weiden und Feldern, die zum Hof gehören, hatte sie sich zusammen mit ihren drei Schwestern die Zeit vertrieben, Verstecken gespielt und die Tiere gestreichelt.

Heute, inzwischen 36 Jahre alt und mit einem Abschluss als Umweltingenieurin in der Tasche, steht sie also hier und berichtet darüber, wie sie und ihr Mann diesen Hof auf biologische Landwirtschaft umstellen und verschiedene Biodiversitätsmassnahmen planen. Die Hühner, beschäftigt mit dem Picken der Körner, die Stierli in der Wiese verteilt, haben aufgehört zu gackern, die Sonne lugt hinter hellgrauen Wolken hervor, und vom Wohnhaus her ist Kinderlachen zu hören. 14 Monate alt ist die jüngere Tochter, drei Jahre die ältere.

Knospe-Label im Jahr 2024

«Ich bin aktuell zum grossen Teil mit Betreuungsarbeit beschäftigt. Die Arbeit auf dem Hof wird vor allem von meinem Mann und meinem Vater erledigt», sagt sie. «Unser Hof ist relativ klein und wir sind noch in der Umstellung zum Bio-Betrieb.» 2024 wird das Knospe-Label erworben sein. Stierli und ihr Mann wollen bald etwas Land dazupachten. Denn die aktuelle Grösse ist nicht ideal. «Zu klein zum Überleben, zu gross zum Sterben», sagt sie und lacht. An Perspektiven fehlt es ihr nicht.

«Es ist schön, wenn man sich von selbst Produziertem ernähren kann. Gerade beim Fleisch ist es uns wichtig, dass wir lokale Produkte essen.»

Priska Stierli, Landwirtin

Priska Stierli und ihr Mann gehen beide in Teilzeit einer externen Erwerbstätigkeit nach. Früher oder später will vor allem ihr Mann voll auf dem Hof arbeiten. «Für uns ist das die Erfüllung eines Traums. Auch wenn nicht alles perfekt und ausgereift ist. Das motiviert uns, den Betrieb weiterzuentwickeln, das ist spannend.» Neben den 50 Legehennen in einem mobilen Stall hält die Familie drei Mutterkühe, ein Kalb, ein Rind und einen «Muni», der bald «gemetzget» werden soll. Die Kühe weiden das ganze Jahr über. Früher, vor der Umstellung auf Bio, standen in diesem Stall mehr als dreimal so viele Kühe in Reih und Glied. «Finanziell lohnt sich die Bio-Fleischwirtschaft auf diesem kleinen Hof nicht», sagt Priska Stierli. Das Fleisch ist vor allem für den eigenen Verzehr.

Kreislaufwirtschaft auf dem Bauernhof

«Es ist schön, wenn man sich von selbst Produziertem ernähren kann. Gerade beim Fleisch ist es uns wichtig, dass wir lokale Produkte essen. Auf unseren Tellern ist fast alles direkt von hier», sagt Stierli. Inzwischen sitzt sie am Tisch in der gemütlichen Gartenlaube, die soeben gepflückten Brombeeren in einer kleinen Schüssel vor sich. Wichtig ist ihr auch der Kreislauf: Das Futter für die Kühe stammt zum grossen Teil aus der eigenen Produktion, die Gülle wird wiederum für die eigenen Felder genutzt. Auf rund 14 Hektaren baut die Familie Getreide, Sonnenblumen, Körner- und Zuckermais an. Kreisläufe zu schliessen, ist für Stierli gleichzeitig die grösste Herausforderung. «Aktuell müssen wir einiges an Nährstoffen für Tiere und Böden zukaufen. Daran arbeiten wir noch.»

Potenzial haben fast alle Betriebe

Ihre externe Erwerbstätigkeit will Stierli trotz der Freude am Hof auf keinen Fall missen. Beim Aargauer Bauernverband ist sie zuständig für den Bereich Energie und Klima und berät Landwirtschaftsbetriebe. Ist die Rede von dieser Arbeit, kommt Stierli in Fahrt. Sie schöpft aus dem Vollen: Aus dem Wissen, das sie sich im Studium an der ZHAW sowie in der Zusammenarbeit mit Energieingenieurinnen und -ingenieuren erarbeitet hat, und auch aus ihren Berufserfahrungen.

Dass Landwirtschaftsbetriebe gegenüber Energiesparen skeptisch seien, sehe sie selten. «Natürlich kommt es vor, dass jemand denkt, ich sei einfach eine Grüne und wolle reinreden.» Aber in der Regel sei das Interesse gross. «Bei den Stromkosten können viele Betriebe Tausende von Franken pro Jahr einsparen», sagt die Fachfrau. Eine Beratung zum Energiesparen lohne sich in solchen Fällen. Via «Energie Schweiz» kann die Hälfte der Beratungskosten vom Bund zurückgefordert werden. Gerade Betriebe mit hohem Stromverbrauch könnten von verhältnismässig einfachen Massnahmen profitieren, sagt Stierli.

Massnahmen, individuell auf den Betrieb zugeschnitten

«Jeder Landwirtschaftsbetrieb ist anders. Darum erstellen wir zuerst eine ausführliche Analyse, bevor wir passende Massnahmen vorschlagen und den Effekt berechnen», sagt Stierli. Eine der Massnahmen, die sehr oft sinnvoll sind, ist eine Photovoltaikanlage. «Mindestens für den Eigenverbrauch rechnet sich diese Investition fast immer», sagt Stierli. Je nach Grösse des Betriebes auch darüber hinaus. Gerade jetzt, wo die Einspeisetarife gut und die Fördergelder hoch seien. Stierli spricht von einem «Boom», den man jetzt nutzen sollte. «Natürlich empfehlen wir auch Massnahmen darüber hinaus, individuell auf die Betriebe zugeschnitten.»

Denn viele Betriebe könnten einen noch grösseren Beitrag leisten, um die Umweltprobleme anzugehen, die uns alle betreffen, findet Stierli. Die Arbeit als Umweltingenieurin und Landwirtin sei nicht nur inhaltlich spannend. «Ich finde es motivierend, mit meiner Arbeit einen Beitrag leisten zu können, um die Ressourcen und das Klima zu schonen.»

Auch wenn es kaum möglich sei, sich «perfekt» zu verhalten, was die Umwelt angehe, so hätten wir doch alle einen je eigenen Spielraum, den wir nutzen könnten. «Das war einer der Gründe, weshalb ich mich damals für den Studiengang Umweltingenieurwesen an der ZHAW entschieden habe. Diese Motivation verstärkte sich im Studium.» Den Hof ihrer Eltern im Hinterkopf, wählte sie den Schwerpunkt Biologische Landwirtschaft. «Das hat mir für vieles die Augen geöffnet. Zum Beispiel, wie komplex die Führung eines Landwirtschaftsbetriebs ist.» Sie lernte auch, welche Alternativen es zu chemischen Pflanzenschutzmitteln gibt. «Wir können davon wegkommen, wenn wir wissen, wie.»

Die Karriere führt zurück zu den Wurzeln

Noch Anfang Studium hatte Priska Stierli allerdings nicht vor, den Hof der Eltern zu übernehmen und tatsächlich in die Landwirtschaft einzusteigen. Mit einer kaufmännischen Grundausbildung und mit der klaren Vorstellung, etwas anderes als ihre Eltern zu machen, war sie ins Berufsleben gestartet. Stierli denkt eine Weile nach und sagt dann: «Das war für mich damals wohl deshalb klar, weil mein Vater je länger, je mehr seine Mühe hatte mit seinem Berufsstand.» Das Führen eines Bauernhofs wurde immer komplexer, die Rahmenbedingungen wurden schwieriger, die Verdienstmöglichkeiten kleiner.

«Ich fand die Idee inspirierend, mich vertieft mit der Umweltthematik auseinanderzusetzen.»

Priska Stierli, Umweltingenieurin

Heute, mit der gestiegenen Nachfrage nach biologischen Produkten, ergibt sich für viele eine neue Perspektive. Nach einer Weile im kaufmännischen Bereich wusste Priska Stierli, dass sie sich weiterentwickeln wollte. Ein Fachhochschulstudium sollte es sein und das Umweltingenieurwesen hatte es ihr bald angetan. «Ich fand die Idee inspirierend, mich vertieft mit der Umweltthematik auseinanderzusetzen.» Erst im Laufe des Studiums wurde ihr klar: biologische Landwirtschaft! Das war doch ein Bereich, zu dem sie Zugang hatte, der wunderbar passte. Und bald schien auch die Vorstellung, selbst in der Landwirtschaft tätig zu sein, ganz natürlich.

Durch Zufall in die Energieberatung

«Dass ich mich heute beruflich so intensiv mit Energie und Klima auseinandersetze, ist ein Zufall, da bin ich quasi hineingerutscht», sagt Stierli und lächelt. Mit einem kleinen Engagement startete sie nach dem Studium beim Verein AgroCleanTech, der Beratungen und Förderprogramme in den Bereichen Energieeffizienz und Klimaschutz für die Landwirtschaft macht. Das Engagement wurde nach und nach ausgebaut, bis sie als Co-Leiterin die Geschäftsführung übernahm. «Das war eine spannende Zeit», so Stierli.

Als sie vor eineinhalb Jahren zusammen mit ihrem Mann den Hof der Eltern im Aargau übernahm, war das zweite Kind unterwegs und Stierli suchte eine passende Stelle mit einem kürzeren Arbeitsweg. «So ist es für mich viel leichter, die verschiedenen Aufgaben zu vereinen», sagt Stierli. Was nicht bedeutet, es sei einfach, Familie, Beruf und Betrieb gerecht zu werden.

Näher an der Basis

In ihrer neuen Aufgabe beim Bauernverband Aargau geht es um dieselbe Sache wie als Co-Geschäftsführerin von AgroCleanTech: Landwirtschaftsbetriebe darin unterstützen, nachhaltig zu arbeiten. Neu sei sie aber näher an der Basis. «Auf den Betrieben zu sein, Landwirtinnen und Landwirte zu treffen und mit ihnen zusammen nach passenden Lösungen zu suchen, das erweitert meinen Horizont», sagt Stierli.

Sie hebt den Blick und schaut über die Aargauer Hügel. Ihre dreijährige Tochter sitzt inzwischen auf ihrem Schoss und singt. Die Hühner haben wieder zu gackern begonnen. Ihr Vater hat im Geräteschuppen die Schleifmaschine angeworfen, seine kleine Enkelin springt auf: «Opi! Schleifen!», und saust davon.

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