Grenzen der Freiheit

Ethische Verantwortung und Risiko des Missbrauchs

05.12.2023
4/2023

An Fachhochschulen sind Auftragsforschung und Kooperationen mit Unternehmen und Organisationen zentrale Bestandteile der Forschung. Es stellt sich daher die Frage, was mit den Forschungsergebnissen passiert, wenn ein Unternehmen die wissenschaftliche Arbeit mitfinanziert. Wie können die Risiken eines missbräuchlichen Umgangs mit Resultaten minimiert werden?

Die akademische Freiheit ist ein Grundrecht und in der schweizerischen Bundesverfassung verankert. Im Artikel 20 steht: «Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet.» Was die Verfassung kurz und bündig feststellt, kann Forschende im Alltag allerdings vor Herausforderungen stellen. Das gilt insbesondere, wenn Projekte ganz oder teilweise von externen Partnern finanziert werden.

Die ZHAW kooperiert mit öffentlichen Institutionen, Stiftungen oder mit Unternehmen. Denn ihr Auftrag lautet, praxisnah zu forschen. Kooperationsprojekte machen daher je nach Departement 60 bis 90 Prozent des Forschungsvolumens aus. Das Volumen kann von Jahr zu Jahr schwanken.

Ethikausschuss, Rechtsabteilung, Verhaltenskodex

Forschende müssen dabei jeden einzelnen Fall abwägen, ob eine Kooperation wissenschaftlichen und ethischen Standards entspricht. Hochschulinterne Richtlinien und Institutionen wie der Ethikausschuss oder die Rechtsabteilung sowie der schweizerischen Verhaltenskodex für wissenschaftliche Integrität geben dabei Orientierungshilfe (siehe Seite 46).

«Wir können frei forschen, auch wenn das Geld von aussen kommt».

Carmen Koch, Koordinatorin Forschung & Entwicklung am IAM

Carmen Koch, Projektleiterin und Koordinatorin Forschung & Entwicklung (F&E) am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW macht die Erfahrung, dass «wir frei forschen können, auch wenn das Geld von aussen kommt». Das gelte insbesondere, wenn die Projekte über öffentliche Stellen finanziert werden. Hier sei es selten, dass Partner ausserhalb der Hochschule eine mit-steuernde oder co-leitende Funktion einnehmen. Meist liege die Projektobhut bei der ZHAW oder anderen Universitäten, mit denen die ZHAW zusammenarbeite.

«Aktuell haben wir zum Beispiel ein Projekt zur Kommunikation von Schulen mit fremdsprachigen Eltern. Hier steuern wir das Projekt, sagen, welche Erhebungen wir machen möchten und wie wir konkret vorgehen», erklärt Koch. Die beiden Partnerschulen des Projekts vermitteln Interviewpartner und -partnerinnen, stellen Räume und geben Hinweise, welche Herausforderungen sich in der Kommunikation stellen.

Tagebücher von Jugendlichen auswerten?

Bei Kooperationen mit Stiftungen könne es sein, dass die Stiftung zusätzliche Aspekte in die Forschung aufnehmen wolle. «Das hat mit der Ausrichtung der Stiftung zu tun und beeinflusst nicht die Unabhängigkeit der Forschung», sagt Koch.

In ihrem Institut gebe es kaum Projekte, die ethische Fragen aufwerfen, berichtet die Forschungskoordinatorin. Sie erinnert sich an ein Projekt, bei dem Tagebücher von Jugendlichen ausgewertet wurden. Damals habe der Ethikausschuss der ZHAW noch nicht existiert. Deshalb habe die Partner-Universität, die an dem Projekt beteiligt war, die ethischen Aspekte abgeklärt.

«Eine Zusammenarbeit beginnt mit der Abklärung der Erwartungen aller Partner.»

Adriano Nasciuti, Leiter der Abteilung Maschinenbau, Energietechnik und Aviatik

Der Grossteil der F&E-Projekte an der ZHAW sind Kooperationen, bei denen die Hochschule und ein Anwendungspartner gemeinsam Drittmittel beantragen und selbst einen Teil zum Budget beitragen. Vor allem bei den Projekten die durch Innosuisse, der Innovationsförderagentur des Bundes, unterstützt werden, ist diese Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ein Muss. Gemeinsam wird nach Lösungen für konkrete Fragen des Umsetzungspartners gesucht und am Ende haben beide Parteien ein Anrecht auf die Forschungsresultate: Der Partner kann sie für wirtschaftliche Zwecke nutzen, die ZHAW, um weiter auf dem Gebiet zu forschen und die Erkenntnisse in die Lehre zu übertragen.

«Eine Zusammenarbeit beginnt mit der Abklärung der Erwartungen aller Partner», erklärt Adriano Nasciuti, Leiter der Abteilung Maschinenbau, Energietechnik und Aviatik. Kompetenzen, Kapazitäten und Erwartungen müssten überprüft und eine Risikoabschätzung getätigt werden, da umsetzbare Ergebnisse in der Forschung nicht garantiert werden könnten. «Wenn das nicht in Einklang gebracht werden kann, gehen wir lieber nicht auf die Zusammenarbeit ein», sagt Nasciuti, der auch Mitglied im Ethikausschuss der ZHAW ist.

Ergebnisse für Forschung und Lehre

Ein Weg, die Forschungsfreiheit zu wahren sei, dass die ZHAW die Ergebnisse normalerweise in Forschung und Lehre nutzen könne, auch wenn kommerzielle Rechte an einen Wirtschaftspartner gingen, erklärt Andreas Binkert, Leiter Forschungs- und Entwicklungs-Support an der ZHAW School of Engineering. Allerdings müssten die Interessen der Forschungspartner berücksichtigt werden, indem zum Beispiel Ergebnisse erst veröffentlicht werden, nachdem ein Patent angemeldet wurde.

«Seit einigen Jahren findet eine Sensibilisierung für ethische Fragestellungen statt»

Andreas Binkert, Mitglied des Ethikausschusses der ZHAW

Dass Forschungsergebnisse von Unternehmen in einem anderen Zusammenhang auch für gesellschaftlich schädliche Zwecke missbraucht werden könnten, könne man nicht immer ausschliessen, so Binkert, der auch Mitglied im Ethikausschuss der ZHAW ist. Ein Verbot einer Zusammenarbeit mit einer Firma oder einer Branche hält er für eine öffentliche Institution wie die ZHAW jedoch nicht für angemessen. Aufgrund des Mandats zur Förderung wissenschaftlicher Innovationen in heimischen Unternehmen wäre eine Verweigerung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, das sich an die schweizerischen Gesetze hält, nur sehr schwer zu rechtfertigen. So forscht die Abteilung Maschinenbau, Energietechnik und Aviatik zum Beispiel auch mit dem Flugzeughersteller Pilatus und dem Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern RUAG.«Seit einigen Jahren findet eine Sensibilisierung für ethische Fragestellungen statt», erklärt der Forschungssupportleiter.

SNF fordert Prüfung des Missbrauchsrisiko

Forschende müssen beispielsweise bei Finanzierungsanträgen der Europäischen Union und des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) angeben, ob das Projekt Dual-Use-Potential hat, das heisst, ob also ein Risiko besteht, dass die Ergebnisse in einem anderen Zusammenhang missbräuchlich eingesetzt werden könnten.

Tendenziell nimmt die Zahl der Projekte, die einer ethischen Abklärung bedürfen, nach Beobachtung Binkerts zu. Solche Abklärungen betreffen in erster Linie nicht die Zielsetzung, sondern vielmehr die angewendete Methode. Dieser Aspekt ist besonders in der Human- und Tierforschung kritisch und deshalb auch durch klare gesetzliche Vorschriften geregelt.

Binkert verdeutlicht das an einem Beispiel, bei dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen neuen Sensor entwickeln, der auf der Haut Veränderungen im Schweiss misst. Tritt ein wissenschaftlicher Mitarbeiter auf einem Ergometer in die Pedale und wertet die Signale aus, müsse man die kantonale Ethikkommission einbeziehen, sobald Daten systematisch gesammelt werden. Dann gilt der Versuch als genehmigungspflichtige Humanforschung. Doch ab welchem Zeitpunkt ist das Daten-Sammeln «systematisch»? Schon nach ein paar Minuten Treten, um erste Signale zu testen? Oder erst später, wenn man sich sicher ist, den Versuch fortzuführen und öfter auf dem Ergometer strampelt?

Wann ist ein Test ein Tierversuch?

Manchmal stehen die Forschenden auch vor Gesetzeshürden wie in einem Fall, bei dem Sensoren für ein Fitnesshalsband für Hunde entwickelt werden sollten. Dazu musste abgeklärt werden, ob die Bewegung des Tieres genügend elektrische Energie erzeugen kann, um die Elektronik zu versorgen. «Plötzlich stellte sich die Frage, ob das ein Tierversuch ist», erinnert sich Binkert. Ethische Probleme sah bei dem Projekt zwar niemand, aber es fehlte das Wissen zur Gesetzeslage. Und so liessen die Forschenden die Finger vom Projekt zur Hundefitness. Die Beispiele zeigen, dass die Forschungsfreiheit doch die ein oder andere Grenze hat.

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