Expertin für Sustainable Finance: «Mit meiner Forschung kann ich etwas bewirken»

11.04.2024
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Die Finanzwelt nachhaltiger gestalten: An diesem Ziel arbeitet Julia Meyer aktiv mit – und das wohl schon länger als manch andere Fachperson der Finanzwelt. Mit ihrer Forschung will die Professorin im Bereich Sustainable Finance ein besseres Verständnis dafür gewinnen, wie Nachhaltigkeitsinformationen die finanzielle Entscheidungsfindung beeinflussen.

Als Julia Meyer begann, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit im Finanzsektor zu befassen, da wollte noch kaum jemand etwas davon hören. Heute, rund 15 Jahre später, sieht die Sache komplett anders aus: An jeder wissenschaftlichen Konferenz handelt eine Vielzahl der Beiträge auf irgendeine Art und Weise von «Sustainable Finance». Die Investorinnen und Investoren wollen wissen, wie nachhaltig die Produkte und Firmen sind, in die sie zu investieren gedenken, und die Banken sind verpflichtet, ihre Kundenberaterinnen und -berater in Sachen Nachhaltigkeit zu schulen. Bald soll ein nationaler Standard eingeführt werden, der festlegt, was eigentlich ein nachhaltiges Finanzprodukt ist. Dies zeigt Julia Meyer, dass sich die Schweiz in Sachen Sustainable Finance in die richtige Richtung bewege. «Wenn dieser neue Standard erst einmal gilt, dann wird es sicher mehr nachhaltige Finanzprodukte geben, die den Vorstellungen der Kundinnen und Kunden besser entsprechen als die heutigen», ist die Professorin Sustainable Finance der ZHAW School of Management and Law überzeugt. An der Fachstelle Corporate Performance and Sustainable Financing lehrt und forscht die 41-Jährige, die vor Kurzem zur Professorin ernannt wurde.

Sich in die Forschung stürzen

Heute, so Meyer, sei unklar, wie man die Nachhaltigkeit von Firmen und Produkten in der Finanzwelt zuverlässig messen könne. Es gibt verschiedene Nachhaltigkeitsratings, die alle unterschiedliche Dinge messen. «Gewisse Ratings konzentrieren sich beispielsweise darauf, zu messen, ob eine Firma für allfällige ökologische Risiken gewappnet ist und diese finanziell tragen könnte. Anlegende könnten derweil verstehen, dass ein gutes Rating heisst, die Firma setze sich aktiv für Nachhaltigkeitsthemen ein und er oder sie könne mit einem entsprechenden Investment etwas Gutes tun», erklärt Meyer. Das wäre ein Missverständnis, das auch das Risiko involviert, dass die Anbieter von nachhaltigen Anlageprodukten bezichtigt werden, Greenwashing zu betreiben.

Darum geht die Expertin für Sustainable Finance in ihrer aktuellen Forschung der Frage nach, wie Nachhaltigkeitsinformationen genutzt werden und was Investorinnen und Investoren, aber auch andere Finanzmarktakteure wie Banken und Fonds unter Nachhaltigkeit im Detail verstehen. Ihre Forschung soll zeigen, inwiefern sich dieses Verständnis sowohl im ökologischen als auch im sozialen Sinn mit den vorhandenen Ratings deckt. Ihr Forschungsprojekt «The Anatomy of Sustainability» wird finanziell von der Schwyzer-Winiker Stiftung unterstützt. «Ich freue mich darauf, mich wieder mehr der Forschung zu widmen», sagt die umtriebige Professorin.

Das Forschungswissen in die Praxis transferieren

Zuletzt hat Meyer viel Zeit investiert in den Aufbau verschiedener Teaching-Produkte zum Thema. Einerseits im Hochschulumfeld und andererseits in der Praxis mit Finanzinstituten. Nachdem sie 2013 ihre Dissertation zu Microfinance und Impact Investing an der Universität Zürich abgeschlossen hatte, half sie dort beim Aufbau eines CAS-Lehrgangs für Sustainable Finance, der rasch grosse Beliebtheit erlangte. Seit sie 2020 zur ZHAW stiess, entwickelte sie auch hier entsprechende Weiterbildungsprogramme und Angebote für die Praxis. Zusammen mit ihrem Team baute sie Schulungen für Bankberaterinnen und -berater auf, die sie selbst umsetzt. In einer Kombination aus Videos zum Selbststudium und Schulung vor Ort lernen die Beraterinnen und Berater, das Thema Nachhaltigkeit einzubeziehen bei der Prüfung von Produkten und vor allem bei der Beratung von Kundinnen und Kunden.

«Ich bin nicht der Meinung, dass ab sofort jede Bank komplett grün sein muss.»

Julia Meyer, School of Management and Law

«Diese Schulungen machen mir viel Spass. Wir gehen vor Ort auch auf die Produkte der spezifischen Bank ein, und das ergibt spannende Diskussionen. Die Teilnehmenden stellen manchmal kritische Fragen und schildern Herausforderungen aus der Praxis. Das ist für uns enorm lehrreich, und diese Voten dienen uns als Inspiration für aktuelle und zukünftige Forschungsprojekte», so Meyer. Oft sitzen – anders als in den Wahlmodulen an der Hochschule – in diesen Kursen auch Personen, die eigentlich vom Thema nicht angetan sind. «Das ist oft herausfordernd, aber ich finde das völlig okay. Ich bin nicht der Meinung, dass ab sofort jede Bank komplett grün sein muss. Man sollte sich mit dem Thema einfach auskennen, das ist nicht zu umgehen.» Am Ende hänge vieles von der jeweiligen Beratungsperson ab. Wer sich dafür interessiert, ist in der Schulung Feuer und Flamme und nimmt von dort wieder Motivation mit. Wichtig ist Meyer, zu betonen: «Es ist ein kompliziertes Gebiet, das sich noch sehr stark und rasch wandelt. Man kann gar nicht alles wissen darüber. Auch nicht als Bankberaterin.»

Viele Fragen, grosse Dynamik

Gerade diese Dynamik, der stete, rasante Wandel im Thema, begeistert Meyer. «Es ist noch so viel ungeklärt. Aus Forschungssicht ist das enorm spannend, weil es immer noch unendlich viele Themen gibt, die man bearbeiten kann, weil da noch so viele unbeantwortete Fragen sind.» Manchmal, so Meyer, sei das natürlich auch anstrengend, insbesondere in der Lehre. Sie lächelt und sagt: «Hin und wieder wünschte ich mir, ich wäre Mathe-Professorin und könnte eine Formel erklären und sagen: So ist es. Und so bleibt es auch.» Aber in diesem Bereich sei es schlicht unmöglich, die Unterlagen vom letzten Semester für das aktuelle zu zücken. «Wir müssen die Lehrinhalte stets neu aufbereiten.»

«Das gefällt mir allgemein am Fachhochschulumfeld. Es ist toll und motivierend, an Dingen forschen zu können, die in der Praxis tatsächlich genutzt werden.»

Julia Meyer, Expertin für Sustainable Finance

Was sie ebenfalls begeistert, ist der Transfer zwischen Forschung und Praxis, der unter anderem in den Schulungen mit den Bankberaterinnen und -beratern möglich ist. «Das gefällt mir allgemein am Fachhochschulumfeld. Es ist toll und motivierend, an Dingen forschen zu können, die in der Praxis tatsächlich genutzt werden.»

Motivierend findet Meyer auch, dass sie mit ihrem Forschungsthema eine Möglichkeit gefunden hat, sich einem Bereich zu widmen, den sie im grösseren Kontext als wichtig empfindet. «Nach meinem Wirtschaftsstudium war ich zuerst in der Beratung tätig und arbeitete damals schon oft mit Banken. Das fand ich spannend, aber ich wünschte mir, etwas Wirkungsvolleres mit der Analyse von Finanzkennzahlen tun zu können.» Als sie hörte, dass an der Universität Zürich ein Zentrum für Microfinance gegründet werden sollte, wusste sie plötzlich, wo ihr Weg sie hinführen sollte.

Natur erhalten – und kritisch nachfragen

Das Thema Nachhaltigkeit ist Meyer auch privat wichtig. «Auch wenn ich kein Beispiel bin für astrein nachhaltiges Verhalten, so achte ich im Alltag doch darauf.» Es gehe ihr nicht zuletzt darum, ihre drei Kinder zu sensibilisieren und die Natur für nachfolgende Generationen so intakt wie möglich zu hinterlassen. «Wir sind als Familie in unserer Freizeit beispielsweise sehr viel am und im See. Dass wir hier ohne Bedenken ins Wasser springen können, ist nicht selbstverständlich, weil das Wasser längst nicht mehr überall sauber genug ist. Ich finde das enorm wertvoll und möchte diese Qualität erhalten.»

«Meinen Ansprechpartner bei der Bank habe ich durchaus schon herausgefordert mit solchen Themen.»

Julia Meyer, Fachstelle Corporate Performance and Sustainable Financing

Meyer achtet auch darauf, sich als Kleinanlegerin nachhaltig zu verhalten. Dazu müsse man kritische Fragen stellen. «Meinen Ansprechpartner bei der Bank habe ich durchaus schon herausgefordert mit solchen Themen.» Das empfiehlt sie auch privaten Anlegerinnen, die auf Nachhaltigkeit achten wollen. Nachhaltigkeitsinformationen müsse man genau anschauen und herausfinden, was überhaupt gemessen werde. Und da die Ratings noch nicht aussagekräftig genug seien, müsse man kritische Fragen stellen. «Es gibt keine blöden Fragen. Gerade weil noch so viel unklar ist und die Firmen erst jetzt beginnen, offenzulegen, wie sie sich ökologisch und sozial verhalten, bleibt nichts anderes übrig, als möglichst genau hinzuschauen und nachzufragen.»

Meyer freut sich, sich weiter in dieser dynamischen Thematik vertiefen zu können. Im Mai und Juni weilt sie für einen Forschungsaustausch mit Swissnex in Boston, das als Hub für Sustainable Finance gilt, wo sie ihre Forschung präsentieren kann. «Da ergeben sich vielleicht auch Möglichkeiten für Kooperationen für weitere Forschungsprojekte. Ich bin gespannt.»

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