Fertiggerichte sind besser als ihr Ruf

21.06.2022
2/2022

Wer ab und zu eine fertige Mahlzeit im Supermarkt kauft, muss kein schlechtes Gewissen haben: Wie eine Studie zeigt, sind sie nicht grundsätzlich ungesünder und umweltschädlicher als selbst gekochtes Essen.

Die Plastikschale in die Mikrowelle schieben, die Folie wegreissen, und nach fünf Minuten steht eine vollständige Mahlzeit auf dem Tisch. Fertiggerichte sind beliebt und der Markt wächst stetig. Bereits 2019 lag der Jahresumsatz in der Schweiz bei 731 Millionen Franken und stieg im Corona-Jahr 2020 auf 823 Millionen Franken an – obwohl industriell gefertigte Menüs gemeinhin als ungesund und umweltschädlich gelten.

Dieser Ruf ist aber nicht grundsätzlich gerechtfertigt, wie eine Studie der ZHAW zeigt. In den letzten vier Jahren haben Forschende des Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation (ILGI) und des Instituts für Umwelt und natürliche Ressourcen (IUNR) untersucht, wie sich Convenience-Menüs von solchen aus der Gemeinschaftsgastronomie und daheim gekochten unterscheiden.

Dabei wurden die drei Zubereitungsarten bezüglich Gesundheit, Ökologie und Geschmack beurteilt. Die Studie wurde von der SV Stiftung unterstützt, der Hauptaktionärin der SV Group, welche zahlreiche Betriebe der Gemeinschaftsgastronomie führt, unter anderem die Mensen an der ZHAW.

Für den Vergleich wurden ein Teigwarengericht mit Feta und  Cherry-Tomaten, ein Thai-Curry mit Poulet sowie Bratwurst mit Kartoffelstock und Karotten gewählt. Es handelt sich um die Bestseller eines führenden Anbieters von Fertiggerichten in Europa, der dem Forschungsteam Rezepturen und Zutaten zur Verfügung stellte und Zugang zum Betrieb gewährte.

Die Menüs wurden in der ZHAW-Küche in Wädenswil nachgekocht, einmal mit identischen Zutaten und Rezepturen und einmal mit im Supermarkt eingekauften Lebensmitteln und Rezepten aus Betty-Bossy- oder Tiptopf-Büchern – also unter typischen Bedingungen eines Privathaushaltes. Die beiden Vorgehensweisen wurden mit den Gerichten aus der Gemeinschaftsgastronomie wiederholt.

Hungrige werden nicht satt

Alle drei Gerichte seien grundsätzlich aus Gesundheitsperspektive nicht optimal, aber immer noch im grünen Bereich, betont Studienleiterin und Ernährungswissenschaftlerin Claudia Müller. «Sie enthalten tendenziell zu viel Fett und Salz, aber zu wenig Proteine, Kohlehydrate und Nahrungsfasern.»

Die industriell hergestellten Fertiggerichte erwiesen sich, auf 100 Gramm umgerechnet, als am kalorienreichsten. Aufgrund der kleinen Portionen liegt ihr Energiewert jedoch unter den Empfehlungen von gut 700 Kalorien für eine Mittagsmahlzeit. Dies könne dazu führen, dass sie nicht ausreichend sättigen und Zwischenmahlzeiten nötig sind, sagt Müller. Wer zu Hause kocht, habe die Möglichkeit, nachzuschöpfen. Dabei bestehe jedoch die Gefahr, dass man zu viel isst.

Daheim schmeckt’s besser

Beim Geschmack konnte die Privatküche jedoch punkten. Bei einem Testessen mit Proben, deren Herkunft nicht erkennbar waren, fiel den sieben speziell geschulten Personen auf, dass das Bratwurstgericht und das Curry aus der Haushaltsküche etwas intensiver schmeckten als die mehrere Tage bis Wochen im Kühlschrank gelagerten Mahlzeiten. Zudem fanden sie, die Peperoni und Bohnen des Haushalt-Thai-Currys sowie die Teigwaren aus der Kantine hätten mehr Biss.

«Wichtig ist die Abwechslung. Fertiggerichte können durchaus gelegentlich Platz haben im Speiseplan.»

Claudia Müller, Ernährungswissenschaftlerin

Wer selber kocht, braucht zwar viel Zeit, spart aber Geld. Dieselbe Menge gekochte Nahrung kostet nämlich in Form von Fertiggerichten rund doppelt so viel wie das Essen aus der eigenen Küche und in der Kantine sogar rund dreimal so viel.

Kaum Foodwaste in der Kantine 

Bei den Umwelteinflüssen hingegen schnitt die Gemeinschaftsgastronomie bei der Betrachtung gleicher Portionengrössen am besten ab. Die Vorteile bei der Kantinen-Verpflegung liegen hauptsächlich beim wegfallenden Transport und dem kleinen Foodwaste-Anteil, wie Matthias Stucki von der Forschungsgruppe Ökobilanzierung erklärt. In den Haushalten dagegen landet durchschnittlich ein Viertel der Lebensmittel im Abfall und die meisten erledigen ihre Einkäufe mit dem Auto.

Diese Faktoren wurden bei den Haushaltgerichten anteilmässig eingerechnet. Bei den Industrieprodukten dagegen spielt – neben dem Transport in die Läden und danach zum Endkunden – die Verpackung eine gewisse Rolle. Kaum relevant seien jedoch die Energiekosten bei der Zubereitung, führt Stucki aus. Auch wenn Haushalte wohl pro Portion deutlich mehr Strom benötigen als Grossküchen, fällt dies lediglich mit ein bis zwei Prozent ins Gewicht.

Auf die Zutaten kommt’s an

Der grösste Teil der Umweltbelastung geht sowieso aufs Konto der Zutaten, die in der Studie bei allen Varianten sehr ähnlich waren. Sie machen gut die Hälfte bis drei Viertel aus. «Am umweltfreundlichsten sind Gerichte mit wenig oder keinen tierischen Erzeugnissen», erklärt der Umweltwissenschaftler. Von den untersuchten Menüs verursacht denn auch das Bratwurst-Gericht die meisten Treibhausgase, am wenigsten das vegetarische.

«Am umweltfreundlichsten sind Gerichte mit wenig oder keinen tierischen Erzeugnissen.»

Matthias Stucki, Umweltwissenschaftler

«Ab und zu eine Fertigmahlzeit, wenn es pressiert, ist durchaus zu verantworten», kommt Matthias Stucki zum Schluss. Wer die Umwelt schonen will, sollte vor allem pflanzliche Lebensmittel bevorzugen, ohne Auto einkaufen und dafür sorgen, dass keine Lebensmittel verschwendet werden. Auch aus gesundheitlichen Aspekten seien die Zutaten viel ausschlaggebender als die Art der Zubereitung, ergänzt Studienleiterin Claudia Müller und weist auf die vegetarischen und veganen Angebote mit höherem Gemüseanteil hin, die heute vermehrt verfügbar sind.

«Industriell gefertigte Produkte sind nicht per se ungesünder als selber gekochte.» Da es bei der Verarbeitung und Lagerung von Convenience-Produkten zu Vitamin-Verlusten kommen kann, empfiehlt sie als Ergänzung frische Früchte und Gemüse. «Wichtig ist die Abwechslung. Fertiggerichte können durchaus gelegentlich Platz haben im Speiseplan.»

Ratgeber für weniger Lebensmittelabfälle

Viele Lebensmittel werden aufgrund ihres Ablaufdatums weggeworfen, obwohl sie eigentlich noch geniessbar wären. Um dieses Problem anzugehen, hat das Departement Life Sciences und Facility Management im Auftrag des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV zwei Leitfäden für die Foodbranche erarbeitet. Sie sollen helfen, Lebensmittelverluste bei der Datierung und bei der Abgabe von Lebensmitteln zu vermeiden. Gut zu wissen: Verbrauchsdatum und Mindesthaltbarkeitsdatum sind nicht dasselbe. Zwingend wegzuwerfen sind Lebensmittel nur bei Ablauf eines aufgedruckten Verbrauchsdatums. Produkte mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum können hingegen meist noch länger verwendet werden, zum Beispiel Joghurt.

Die beiden Leitfäden ebnen den Weg für tiefgreifende Änderungen im Warenmanagement der Detailhändler: Sie legitimieren die Betriebe, Lebensmittel auch nach Ablauf ihres Mindesthaltbarkeitsdatums für ein begrenztes Zeitfenster noch in Verkehr zu bringen, sofern sie die Produkte entsprechend kennzeichnen. Dadurch kann der Detailhandel einen Grossteil der jährlich über 100'000 Tonnen Lebensmittelabfälle im Detailhandel vermeiden. Die Leitfäden richten sich jedoch auch an die Kundinnen und Kunden. Im Haushalt ist das Potenzial zur Verrringerung von Foodwaste abgelaufener Produkte noch grösser als im Handel.

Der erste Leitfaden behandelt die Datierung und richtet sich an die Hersteller von Lebensmitteln und soll helfen, die Datierung von Lebensmitteln so zu optimieren, dass Produkte nicht unnötigerweise bzw. zu früh entsorgt werden. Der zweite Leitfaden liefert Herstellern, Inverkehrsbringern und Spendenorganisationen eine Entscheidungsgrundlage, um die Abgabe von Lebensmitteln hinsichtlich Lebensmittelverlusten weiter zu optimieren.

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