Flexibler geplant, weniger erschöpft

11.04.2024
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Können sich Gesundheitsfachpersonen nicht ausreichend erholen, wirkt sich das nicht nur auf ihr persönliches Wohlbefinden aus – es macht sich auch bei der Versorgungsqualität bemerkbar. Mit einfachen Massnahmen wie einer flexibleren Schichtplanung könnte man die Belastung reduzieren.

Sie hetzen. Von Patient zu Patientin, von Bett zu Bett, von Schicht zu Schicht. Die Kaffeepausen gestrichen, die Überstunden häufen sich. Für viele Gesundheitsfachkräfte ist das Realität. Eine Realität, die seit Jahren auch in Studien abgebildet wird – kürzlich etwa in «The Great Resignation – Why Women Health Workers Are Leaving». Der Bericht der Bewegung «Women in Global Health» (WGH) spricht von einem globalen Gesundheitsnotstand, weil die vornehmlich weiblichen Fachkräfte resigniert ihren Beruf aufgeben. Allein in den USA beabsichtigt etwa jede fünfte Pflegefachkraft, dem Gesundheitswesen bis 2027 den Rücken zu kehren. Die Corona-Pandemie hat den Exodus laut der WGH noch befeuert: Insbesondere weibliche Health Professionals seien unter extremem Stress gestanden und hätten zusätzlich die Belastung durch unbezahlte Care- und Hausarbeit getragen.

Ausbildungsoffensive soll helfen

Doch bereits vor der Pandemie gingen viele Gesundheitsfachkräfte auf dem Zahnfleisch – auch in der Schweiz. So zeigten Umfragen der Gewerkschaft Unia im Jahr 2019, dass sich 86 Prozent der befragten Pflegefachkräfte müde und ausgebrannt fühlten. Der Politik ist das Problem zumindest mit Blick auf die Pflege bewusst: Ab Mitte 2024 soll mit einer Ausbildungsoffensive – Bestandteil der  2021 angenommenen Pflegeinitiative – der Fachkräftemangel bekämpft werden. Doch es dürfte Jahre dauern, bis die Offensive sowie weitere Massnahmen der Initiative ihre volle Wirkung entfalten.

Magnetspitäler zeigen, wie’s geht

Was also tun, damit bis dahin nicht noch mehr Pflegende erschöpft den Beruf aufgeben? Antworten auf diese Frage findet man unter anderem bei Spitälern, die als Arbeitgebende besonders attraktiv sind. Laut Maria Schubert vom ZHAW-Institut für Pflege zeichnen sich solche Magnetspitäler durch einen angemessenen Personalschlüssel sowie eine Arbeitskultur aus, «in der die Pflege eine Stimme hat und aufeinander geschaut wird». Das bedeute einerseits Autonomie und eine interprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Und anderseits, dass «die Leitung dem Personal bezüglich der Arbeitsbelastung regelmässig den Puls nimmt».

«In den meisten Spitälern ist die Planung jedoch sehr starr und nimmt kaum Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse.»

Maria Schubert, Institut für Pflege

Einen wichtigen Beitrag für mehr Erholung bei der Belegschaft kann auch die Arbeitsplanung leisten: Eine Studie, an der Maria Schubert beteiligt war, zeigte 2018 auf, dass eine flexiblere Planung die emotionale Erschöpfung beim Spitalpflegepersonal reduziert. «In den meisten Spitälern ist die Planung jedoch sehr starr und nimmt kaum Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse», erläutert Schubert. Sie ist überzeugt: Mit den heutigen technologischen Mitteln könnte die Planung deutlich flexibler und bedürfnisgerechter erfolgen. «Die Pflegenden könnten ihre Schichtpräferenzen im System eintragen, Künstliche Intelligenz würde daraufhin die komplexe Planung übernehmen.»

Doch statt in bessere Arbeitsbedingungen zu investieren, entwickeln sich viele Spitäler und Kliniken in die entgegengesetzte Richtung. «Der Druck aufs Personal hat sich weiter erhöht», sagt die Pflegeexpertin. Zu den Gründen gehörten fortlaufende Sparbemühungen, aber auch die immer früheren Austritte der Patientinnen und Patienten, die zu einem höheren Durchlauf führen – und damit zu mehr Betreuungsarbeit und einem grösseren administrativen Aufwand. Solche Entwicklungen erhöhen das Risiko zusätzlich, «dass die Überlastung zum Dauerzustand wird», so Schubert. Das führe zu Frust, weil die Zeit für eine angemessene Betreuung fehle. Zudem könnten sich die Pflegenden nicht mehr ausreichend erholen. «Das wirkt sich auch negativ auf die Versorgungsqualität aus.»

Nachtschichten zehren an Substanz

Mit einfachen Massnahmen wie einer flexibleren Arbeitsplanung liesse sich die Situation auch bei den Hebammen verbessern. Wie Pflegende arbeiten auch sie meistens in Schichten. Und wie diese haben sie eine hohe Arbeitsbelastung und einen grossen Anteil an Berufsaussteigerinnen. Einer der Hauptgründe dafür ist die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, wie eine Studie unter Beteiligung des ZHAW-Instituts für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit (IHG) 2021 ergab. «Die Schichtarbeit ist eine Belastung, vor allem die Nachtschichten zehren an der Substanz», sagt Co-Autorin Susanne Grylka. Das Bedürfnis, sich in der Freizeit auszuruhen, sei hoch, da bleibe wenig Zeit und Energie für ein Privat- und Sozialleben. Für die Forschungsleiterin am IHG müssten Hebammen die Schichten viel autonomer planen können. Stattdessen vergraule man sie vielerorts mit einem von oben verordneten Arbeitsplan, der nicht ihren Bedürfnissen entspreche.

«Es gab in den letzten Jahren in verschiedenen Regionen der Schweiz Hinweise auf einen Hebammenmangel.»

Susanne Grylka, Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit

An anderer Stelle wurden laut Susanne Grylka dagegen Massnahmen ergriffen, um die Belastung zu reduzieren. So hätten gewisse Spitäler etwa die zeitliche Kompensation für Nacht- und Wochenendschichten über das gesetzliche Mindestmass hinaus erhöht. Das sei richtig und wichtig, es müsse aber noch mehr getan werden, so Grylka. Denn: «Es gab in den letzten Jahren in verschiedenen Regionen der Schweiz Hinweise auf einen Hebammenmangel.» Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Hochschule Genf sowie eines Denkraums am IHG geht sie diesem Mangel nach. «Wir möchten einen besseren Überblick über sein Ausmass und seine Ursachen erhalten.» Es sollen aber auch jene Faktoren identifiziert werden, die dazu beitragen, dass sich Hebammen genügend erholen können, zufriedener sind und im Beruf verbleiben. «Diese Daten sollen der Politik und den Spitälern als Grundlage dienen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.»

Resilienz und Selbstfürsorge stärken

In der Ausbildung von Gesundheitsfachpersonen wiederum wird versucht, diese bestmöglich auf die herausfordernden Arbeitsbedingungen vorzubereiten. Das beginnt schon bei der Eignungsabklärung fürs Studium, etwa beim Bachelor Hebamme am IHG. «Wir schildern den Bewerberinnen, was sie im Beruf erwartet – auch mit Blick auf Schichtarbeit», sagt Cynthia Meili, Dozentin und Modulverantwortliche. Gewisse Belastungen seien in dem Beruf unumgänglich. «Geburtshilfe ist oft nicht planbar, sie erfordert viel Flexibilität und Einsatzbereitschaft.» Im Bachelor seien deshalb Angebote zur Stärkung der Resilienz und Selbstfürsorge fest im Lehrplan integriert. «Die Studentinnen eignen sich Strategien an, wie sie mit Stress und schwierigen Situationen im Berufsalltag besser umgehen und gesundheitsfördernde Ressourcen ausbauen können.»

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