Für die Gesellschaft und nicht für die Schublade
Ist die Arbeit von Forschenden getan, wenn die Ergebnisse vorliegen, oder sollen sie sich auch um die Umsetzung kümmern? Angehörige der ZHAW erzählen, wie sie sich in die Gesellschaft einbringen und immer mal wieder an Grenzen stossen.
Wie eine klimaverträglichere Ernährung aussehen müsste, ist bereits bestens erforscht: weniger tierische Produkte, mehr hochwertige Nahrungsmittel auf Pflanzenbasis. Damit die Bauern ihre Produktion entsprechend umstellen können, müssten sie Kompensationszahlungen erhalten, sagt Christine Brombach, Professorin für Consumer Science am Departement Life Sciences und Facility Management. Als Mitautorin der wissenschaftlichen Publikation «Wege in die Ernährungszukunft der Schweiz» hat sie den Vertretenden der Politik Ideen vorgelegt. Passiert sei aber bislang wenig, bedauert sie. Angesichts der drängenden Zeit, um die Uno-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen, findet sie dies frustrierend.
Dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft nicht oder nur sehr zögerlich zur Umsetzung gelangen, ist ein Thema, das die Dozentin stark umtreibt. «Besonders Fachhochschulen mit ihrem anwendungsbezogenen Ansatz haben einen immensen Auftrag, fundierte Fakten von gesellschaftlicher Relevanz an den richtigen Stellen einzubringen», ist Brombach vehement der Meinung. Doch sie ist sich auch bewusst, dass die Veränderung eingespielter Gewohnheiten Zeit braucht. Gerade das Thema Ernährung sei sehr persönlich und emotional: «Jeder Mensch muss essen und hat das Gefühl, Experte zu sein.»
«Für mich ist die Verbreitung von fundiertem und anwendungsbezogenem Wissen eine Herzensangelegenheit.»
Zudem handle es sich um ein komplexes, weitreichend vernetztes System, gibt Brombach zu bedenken. Wie wir uns ernähren, hat Auswirkungen auf zahlreiche Lebens- und Umweltbereiche. Um Forschungsergebnisse in die Gesellschaft einfliessen zu lassen, nutzt die Forscherin diverse Möglichkeiten: Sie ist häufig in den Medien als Auskunftsperson präsent, hält Vorträge an Kongressen und beteiligt sich auch an einem Kochbuch namens «Klimatopf», mit dem Privathaushalte erreicht werden sollen. «Es braucht sowohl Massnahmen auf individueller als auch auf Verhältnisebene», betont sie. «Für mich ist die Verbreitung von fundiertem und anwendungsbezogenem Wissen eine Herzensangelegenheit, in die ich viel Zeit investiere.»
Zu hastig bei alpinen Solaranlagen
Ein weiteres topaktuelles Thema, zu dem in Wädenswil geforscht wird, sind erneuerbare Energien. Unter dem Stichwort Solarexpress forciert die Schweiz seit Kurzem den Ausbau von Solaranlagen – nicht nur auf Dächern, sondern auch in den Bergen. Mit einer Versuchsinstallation in Davos hat die Forschungsgruppe Erneuerbare Energien in den letzten fünf Jahren nachgewiesen, dass alpine Solaranlagen im Winter bis zu viermal mehr Strom liefern als diejenigen im Flachland. Das Projekt zeigte zudem auf, wie und wo die Anlagen am besten platziert werden. Diese Ergebnisse hat Projektleiter Jürg Rohrer bei Behörden und in der Politik eingebracht und zudem angeregt, auf Bundesebene einen Kriterienkatalog auszuarbeiten, der auch Aspekte wie Biodiversität, Nähe zu bestehender Infrastruktur und visuelle Faktoren enthalten sollte. Doch leider habe er kein Gehör gefunden, sagt der Professor. «Es hiess überall, man wolle jetzt nur aufs Tempo setzen.»
«Damit sich etwas ändert, braucht es den steten Tropfen.»
Mittlerweile mussten diverse grosse Projekte wie etwa jenes im Walliser Grengiols stark redimensioniert werden. Am Berninapass in Poschiavo stieg das EWZ wegen drohender Einsprachen der Umweltverbände aus. «Hätten wir uns ein, zwei Monate länger Zeit genommen, um das Ganze sorgfältiger aufzugleisen, wären wir jetzt nicht in dieser Situation», stellt Rohrer ernüchtert fest.
Langer Atem nötig
Um für die dringenden Themen in der Öffentlichkeit die gebührende Aufmerksamkeit zu erhalten, wendet er teilweise auch seine Freizeit auf. Zum Thema alpine Solaranlagen hat er zum Beispiel insgesamt rund 80 Interviews gegeben. Dabei hat er auch immer wieder betont, dass Stromsparmassnahmen ein rund zehnmal grösseres Potenzial haben als Photovoltaik in den Bergen. Dieser Aspekt sei aber in fast keinem der Artikel aufgegriffen worden, bedauert Rohrer. «Die Medien wollen anscheinend vor allem die Empörungskultur bedienen.»
Obwohl er sich nicht als grossen «Cüplitrinker» bezeichnet, pflegt Rohrer zahlreiche Kontakte zu Politikerinnen und Politikern sowie Verbänden. Im Umwelt- und Klimabereich könne ein Erfolg nie eindeutig einem Forschungsprojekt zugeordnet werden, ist ihm bewusst. «Damit sich etwas ändert, braucht es den steten Tropfen.»
Impact erhält zu wenig Gewicht
Wie ein politischer Richtungswechsel die intensive Aufbauarbeit für effektiven Klimaschutz kurz vor dem Ziel zunichtemachen kann, erfuhr Regina Betz im Zusammenhang mit einem Auftrag des australischen Staates. Die heutige Leiterin des ZHAW-Zentrums für Energie und Umwelt an der School of Management and Law lebte bis 2010 auf diesem Kontinent und entwickelte ein Instrument, um Emissionsrechte zu versteigern. «Es war alles fertig getestet und die Auktion hätte 2014 eingeführt werden sollen», blickt die Professorin zurück. «Dann wurde eine konservative Regierung gewählt, die alles abblies.» Später kam zwar wieder eine Labour-Regierung ans Ruder, welche das Modell aber nicht wieder aufnahm.
«Impact sollte bei der jährlichen Beurteilung von Forschenden eine Rolle spielen.»
Das erworbene Know-how in diesem Themenbereich kam Betz jedoch weiterhin zugute. Letztes Jahr hat sie ein Buch über die Herausforderungen im Emissionshandel herausgegeben und konnte es an der Uno-Klimakonferenz in Glasgow vorstellen. Zudem spricht sie häufig an Konferenzen und vor Politikern. Sie würde es begrüssen, wenn bei den jährlichen Feedback- und Beurteilungsgesprächen, das Thema «welcher Impact erzielt wurde», auch adressiert würde.
Sich den Medien anpassen
Auch Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes bewegt sich in einem Gebiet von hoher gesellschaftlicher Relevanz. «Es fehlt keineswegs an Erkenntnissen, sondern an der Umsetzung», stellt der Studiengangleiter Mobility Science an der School of Engineering fest. Schon lange sei bekannt, dass der zunehmende motorisierte Individualverkehr Probleme wie Staus und Umweltbelastung stetig verstärkt.
«Um Routinen aufzubrechen, braucht es auch kommunikative Tricks.»
Für eine Verkehrswende müsse man unter anderem auf Gemeindeebene ansetzen, sagt der Professor. Um die Verantwortlichen zu erreichen, hat er gemeinsam mit Partnerorganisationen das Portal schrittmacher.in entwickelt. Auf der grafisch ansprechenden Website finden Gemeinden praktische Tipps, um die Mobilität nachhaltiger zu gestalten – zum Beispiel das Ausarbeiten eines mutigen, zukunftsfähigen Parkierungskonzepts oder die Förderung der Nicht-Mobilität mit einer guten Nahversorgung in den Quartieren und Co-Working Spaces. «Um Routinen aufzubrechen, braucht es auch kommunikative Tricks», betont der von den Medien gefragte Experte. Dabei müsse man sich auf kurze Darstellungsformen einlassen und Zuspitzungen aushalten. «Wenn man den Fortschritt tatsächlich auf die Strassen bringen möchte, darf man sich als Wissenschaftler nicht zu wichtig nehmen.»
Wasserverschwendung stoppen
Ein weiteres wichtiges Projekt der ZHAW ist das sogenannte KREIS-Haus (Klima- und Ressourcen-Effizientes Suffizienz-Haus) von Devi Bühler. Der Modellbau im zürcherischen Feldbach besteht fast vollständig aus natürlichen, rezyklierten und wiederverwerteten Materialien. Im Betrieb entstehen kaum Abfälle: Mittels einer Trockentoilette werden Fäkalien gesammelt, aufbereitet und im Dachgarten für den Gemüseanbau verwendet. Leicht verschmutztes Abwasser wird direkt im Gebäude gereinigt und für die Bewässerung und die Waschmaschine genutzt. Durch die Rückmeldungen der Gäste, die im Gebäude übernachten, wird das System dauernd optimiert.
«Mit einer aktiveren Kommunikation könnte man noch mehr erreichen.»
Die Informationen sind auf der Website alle frei zugänglich. Zudem gibt es einen Podcast und ein Buch. Initiantin Devi Bühler ist insgesamt zufrieden mit der Resonanz des Projekts. Doch mit einer aktiveren Kommunikation könnte man noch mehr erreichen, ist sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen in Wädenswil bewusst. Zurzeit ist sie mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt, doch sobald sie wieder mehr Ressourcen zur Verfügung hat, will sie die Erkenntnisse aus dem KREIS-Haus stärker verbreiten. So zum Beispiel, wie die Wasserverschwendung reduziert werden kann. Auch heute noch werde fast überall Trinkwasser für die Toilettenspülung verwendet, stellt die Umweltingenieurin fest. Mit der zunehmenden Wasserknappheit sei dies nicht zukunftsfähig. «Der Baubereich ist noch viel zu wenig nachhaltig.»
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