Gesundheitskosten: Ab Mitte 80 steigt der Pflegebedarf stark

22.03.2022
1/2022

Die steigende Anzahl älterer Menschen droht die Gesundheitskosten in unermessliche Höhen zu treiben. Mehr Prävention und Autonomie für ältere Menschen dämpft den Kostenanstieg – und steigert zudem die Lebensqualität.

Bis 2050 dürfte sich in der Schweiz die Zahl der Seniorinnen und Senioren ab 80 Jahren mehr als verdoppeln – ein Anstieg um 640'000 Personen auf 1,11 Millionen. In der Altersgruppe ab 90 Jahren ist mit einer Verdreifachung zu rechnen. «Ab Mitte 80 steigt bei vielen Menschen der Pflege- und Betreuungsbedarf stark an», sagt Flurina Meier, Gesundheitsversorgungsforscherin im Winterhurer Institut für Gesundheitsökonomie. Vermehrt komme es ab diesem Alter zum Eintritt in ein Alters- und Pflegeheim.

Dort verursacht ein Beherbergungstag im Durchschnitt Kosten von 319 Franken. Die Betriebskosten aller schweizerischen Alters- und Pflegeheime summierten sich 2020 auf 10,8 Milliarden Franken. Ein erheblicher Anteil geht auf die Fragilität der Hochaltrigen ab 80 Jahren zurück, oft gekoppelt mit Demenz und anderen kognitiven Einschränkungen. Für Flurina Meier ist klar: «Vor allem die steigende Anzahl hochaltriger Personen wird zu einem deutlichen Anstieg der Gesundheitskosten führen.» Teils kann dies verringert werden durch Prävention – also Verlängerung der gesunden Jahre im Alter –, teils durch eine Verstärkung der Versorgung zu Hause.

Die Angehörigen nicht überlasten

Dieser Trend zu mehr Versorgung zu Hause ist bereits zu beobachten und wirkt bremsend auf die Kosten. «Immer mehr ältere Menschen können heute zu Hause versorgt werden», sagt Meier. Zugleich ist aber wichtig, dass dabei die Angehörigen nicht überlastet werden. Bei Gebresten wird die spitalexterne Pflege (Spitex) beigezogen. Ist die Pflegebedürftigkeit nicht allzu ausgeprägt, funktioniert ein solches Arrangement auch über mehrere Jahre. Und es hilft, hohe Heimkosten zu vermeiden.

«Immer mehr ältere Menschen können heute zu Hause versorgt werden.»

Flurina Meier, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie

Allerdings ist es entscheidend, dass die Betroffenen zu Hause ausreichend versorgt sind, um langfristig Kosten zu sparen. Das Problem liegt weniger bei den Pflegeleistungen. In vielen Fällen kann mit einigen Einsätzen die Pflege sichergestellt werden. Die Betreuung ist aber oft zeitaufwändiger und teilweise ist eine ständige Anwesenheit nötig.  «Lücken vermutet man vielmehr bei der Betreuung», sagt Flurina Meier. Vielleicht braucht jemand eine 24-Stunden-Überwachung zu Hause oder kann nicht allein zum Arzt fahren, benötigt Unterstützung in finanziellen Dingen oder möchte ab und zu plaudern, weil die soziale Vereinsamung bedrückt.

Problem Betreuungskosten

Betreuungsleistungen gehen grundsätzlich zulasten der betroffenen Person. Das kann ein Problem werden, wenn benötigte Leistungen mit Blick auf die anfallenden Kosten nicht bezogen werden. Es droht ein verfrühter Heimeintritt, was die Kosten für alle Beteiligten erhöht. Hinzu kommt ein Fehlanreiz: Ab einem gewissen Grad der Pflegebedürftigkeit ist die Spitex für eine Krankenkasse teurer als das Heim, weil dort die öffentliche Hand einen grösseren Anteil übernimmt. Auch das kann dazu führen, dass jemand früher als nötig im Alters- oder Pflegeheim landet.

Unbürokratische Ansätze gefragt

«Es ist wichtig, die Beratungsangebote für die Betroffenen zu verstärken», fordert Flurina Meier. Dies, damit sie ausreichend pflegerisch und betreuerisch versorgt sind und gegebenenfalls ein Antrag für Ergänzungsleistungen gestellt werden kann. So können frühzeitige Heimeintritte vermieden werden. Auch unbürokratische Ansätze seien gefragt: «In Luzern zum Beispiel kann die Anlaufstelle Alter ‹Gutscheine für selbstbestimmtes Wohnen› vergeben.» Zeige sich, dass zum Beispiel mit 2000 Franken für eine schwellenlos zugängliche Dusche ein Heimeintritt vermeidbar ist, sei ein entsprechender Beitrag möglich.

«Gute Betreuung beugt Pflegebedürftigkeit vor.»

Martina Filippo, Zentrum für Sozialrecht

Allerdings hat der Staat die bürokratischen Hürden ausgerechnet bei den Ergänzungsleistungen erhöht. Seit 2021 gilt nach dem Tod eine Rückerstattungspflicht der Erben, sofern der Nachlass den Betrag von 40’000 Franken übersteigt. «Das setzt einen falschen Anreiz», sagt Martina Filippo vom Zentrum für Sozialrecht an der School of Management and Law.

Hinzu kommt, dass Ergänzungsleistungen bei älteren Menschen in einem Eigenheim schlecht funktionieren. Denn zuerst muss das Vermögen weitgehend aufgebraucht – sprich das Eigenheim verkauft – werden. Das Ziel, möglichst autonom zu Hause zu leben, wird damit vereitelt. Die Ergänzungsleistungen seien ohnehin kein taugliches Instrument zur Finanzierung der Pflege, sagt Filippo. Sie spricht sich für eine gesamtschweizerischen Pflegeversicherung aus – inklusive Deckung oder Teilfinanzierung der Betreuungskosten: «Denn gute Betreuung beugt Pflegebedürftigkeit vor.»

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