Hilfe erhalten, wenn das Leben aus der Balance gerät

21.06.2022
2/2022

Psychologinnen und Psychologen der ZHAW beraten Menschen, die in eine Lebenskrise geraten sind. Angeboten wird eine auf die Klientinnen und Klienten zugeschnittene Therapie. Denn die Forschung zeigt: Die Zeiten der Therapieschulen à la Freud & Co. sind vorbei.

Lisa hat Knatsch mit dem Partner, Stress mit dem Chef – und dann kommt noch die Nachricht, sie habe eine Prüfung nicht bestanden. Von aussen betrachtet keine grosse Sache. Doch wenn ihre Psyche zuvor bereits aus dem Lot war, kann es sein, dass die Neuigkeit Lisa in eine Krise stürzt. Sie bekommt vielleicht Bauchschmerzen, kann nicht mehr schlafen, ist ständig angespannt. 

Was ist eine Krise?

«Eine Krise bedeutet, dass ein Ungleichgewicht besteht zwischen den Herausforderungen, denen man sich stellen muss, und den Bewältigungsmöglichkeiten, die man zur Verfügung hat», erklärt Professorin Imke Knafla, Co-Leiterin des Zentrums Klinische Psychologie und Psychotherapie am IAP Institut für Angewandte Psychologie

Individuelle Auslöser

Wann eine persönliche Krise vorliegt, hängt vom subjektiven Empfinden ab: Denise geniesst es beispielsweise, den Vortrag vor 250 Menschen zu halten, Roman hat nur schon beim Gedanken daran schlaflose Nächte. Timo ist nach einer Trennung einfach sehr traurig, Hannah fühlt sich in ihrem ganzen Sein in Frage gestellt.

«Wir haben Menschen mit individuellen Erfahrungen vor uns, deshalb gibt es auch für jede und jeden eine andere Lösung.»

Imke Knafla, Co-Leiterin des ZHAW-Zentrums Klinische Psychologie und Psychotherapie

So individuell wie die Auslöser, so individuell sind auch die Lösungsansätze. «Wir haben Menschen mit individuellen Erfahrungen vor uns, deshalb gibt es auch für jede und jeden eine andere Lösung», erläutert Imke Knafla. Sie und ihr Team beraten bei Bedarf Mitarbeitende und Studierende der ZHAW, aber auch andere Hilfe suchende Personen. 

Angewandte Forschung

Die Beratungsstelle ist an das Zentrum für Klinische Psychologie und Psychotherapie der ZHAW angegliedert und damit Teil der Hochschule. Das bedeutet, dass aktuelle Erkenntnisse der Forschung in die Beratung einfliessen und an der psychologischen Beratungsstelle auch teilweise geforscht wird – mit Einverständnis der Klientinnen und Klienten. Derzeit ist eine Masterarbeit im Entstehen, die untersucht, ob sich der Verlauf einer Beratung verbessert, wenn die Klientinnen und Klienten gleichzeitig Zugang zu therapeutischen Online-Tools haben. 

Integrierte Beratung

Im ZHAW-Zentrum wird eine sogenannte «Integrierte Beratung und Psychotherapie» angeboten, die keiner einzelnen Lehre oder Methode folgt. Die Zeiten der Therapieschulen à la Freud, Jung oder Amsler seien vorbei, sagt Knafla. «Aktuelle Ergebnisse zeigen, dass die Wahl der Therapieschule keine Rolle spielt für die Wirksamkeit einer Behandlung.» Die Therapieschulen beschreiben vor allem verschiedene Herangehensweisen an ein Problem. Vergleichbar sei das etwa mit der Frage, wie man bei Fieber vorgehen solle: Wadenwickel machen, ein fiebersenkendes Medikament nehmen oder einfach abwarten? Übertragen auf eine psychologische Beratung, wägten Fachleute ab, ob zum Beispiel mit Bildern oder mit direkten Fragen gearbeitet werden soll, um sich einem Problem anzunähern. «Bei uns wendet die Therapeutin oder der Therapeut je nach Situation jene Technik an, die ihr oder ihm situativ passend erscheint.» Es gehe um Hilfe zur Selbsthilfe, darum, die brachliegenden Ressourcen einer Person zu aktivieren. Wichtig sei eine gute Beziehung zwischen der beratenden Person und der Klientin oder dem Klienten.

«Es wäre gut, wenn die Menschen nicht zu lange warten würden, bis sie sich Unterstützung holen. Psychische Störungen können sich nämlich chronifizieren.»

Imke Knafla, IAP Institut für Angewandte Psychologie an der ZHAW

Wer sich bei der Psychologischen Beratungsstelle der ZHAW meldet, erhält in erster Linie eine Beratung. Bei Bedarf ist aber auch eine Therapie möglich. Auch wenn die Grenzen zwischen diesen Angeboten fliessend sind, gibt es doch einen grundsätzlichen Unterschied, wie Knafla erklärt: «In der Beratung arbeiten wir ressourcen- und lösungsorientiert, in der Psychotherapie zusätzlich problemorientiert, das heisst, wir versuchen, gemeinsam mit der Klientin oder dem Klienten die Ursache zu finden, zu verstehen und ihr oder ihm dann neue Erfahrungen zu ermöglichen.» Sie verdeutlicht das am Beispiel eines Autos, das in einem Graben gelandet ist. «In der Beratung fragen wir uns, wie es da wieder rauskommt. Wenn das Auto aber immer wieder in den Graben fährt, dann fragen wir in der Psychotherapie vielleicht auch, warum sich das wiederholt.»

Mehr Krisen durch Pandemie

Auch äusserliche Ereignisse wie eine Pandemie können Menschen in eine Krise stürzen. In der Corona-Pandemie nahm das Ungleichgewicht zwischen Herausforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten bei vielen zu. Die Belastungen stiegen: Angst vor Ansteckung, Jobverlust, finanzielle Probleme und beengte Wohnverhältnisse durchs Homeoffice. Gleichzeitig sanken die Bewältigungsmöglichkeiten: Die Sportstudios waren geschlossen, die strukturgebende Schule zu, Freunde konnten nur beschränkt getroffen werden. «Das war für viele schwierig», sagt Imke Knafla, «aber für gewisse Menschen kippte die Situation». Das habe sich mit einer zeitlichen Verschiebung auch in den Zahlen der psychologischen Beratung gezeigt. 

Zahlen nahmen seit der Gründung zu

Im Ausnahmezustand während des Lockdowns sei die Nachfrage gar nicht besonders hoch gewesen. «Aber danach ist sie gestiegen.» Allerdings nähmen die Zahlen seit der Gründung der Beratungsstelle vor zehn Jahren kontinuierlich zu und es sei schwierig zu sagen, wie viel Corona dazu beigetragen habe. Der psychischen Gesundheit werde in der Gesellschaft allgemein mehr Beachtung geschenkt. Für junge Menschen werde es selbstverständlicher, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dennoch hat Imke Knafla einen Wunsch: «Es wäre gut, wenn die Menschen nicht zu lange warten würden, bis sie sich Unterstützung holen. Psychische Störungen können sich nämlich chronifizieren.»

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