Job-Rotation und flexible Arbeitszeitmodelle

Job-Rotation und flexible Arbeitszeitmodelle: Länger arbeiten und gesund bleiben

20.09.2022
3/2022

Um die Altersvorsorgesysteme zu sanieren, wird in der Schweiz auch über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit diskutiert. Doch wie lässt sich das mit der Gesundheit älterer Arbeitnehmender vereinbaren, vor allem in handwerklichen Berufen? Eine ZHAW-Studie hat dies untersucht.

Mit der Abstimmung über die AHV-Revision Ende September wird in der Schweiz auch über ein höheres Rentenalter für Frauen entschieden. Es soll auf 65 angehoben und damit dem der Männer angeglichen werden. Andere Initiativen fordern Rentenalter 66 Jahre für alle oder gar eine Koppelung an die Lebenserwartung. Doch welchen Effekt hätten diese Modelle vor allem für die Gesundheit der Arbeitnehmenden? Sind Menschen am Ende ihrer Arbeitskarriere heute gesund genug, damit eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit realistisch und sinnvoll wäre?

Eine Studie des ZHAW-Instituts für Public Health untersuchte anhand von repräsentativen Schweizer Daten (Schweizerisches Haushalts-Panel 1999 bis 2020) aus den vergangenen 20 Jahren den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Arbeitsmarktpartizipation bei älteren Arbeitnehmenden im Alter zwischen 50 und 65 Jahren. Analysiert wurden der Verlauf des selbst eingeschätzten Gesundheitszustandes sowie die gearbeiteten Stunden.

Höhere Bildung, gesünderer Lebensstil

«Die Richtung des Ursache-Wirkungs-Mechanismus zwischen Arbeitstätigkeit und Gesundheit am Ende der beruflichen Laufbahn ist komplex», sagt Studienleiterin Sonja Feer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Public Health. Die beiden Faktoren beeinflussten sich gegenseitig direkt, aber auch indirekt etwa über das Bildungsniveau: «Denn Menschen mit einer höheren Bildung pflegen meist einen gesünderen Lebensstil.»

Gesundheitlicher Nachteil für handwerklich Tätige

Bei der Analyse stellten Feer und ihr Studienteam fest, dass die Arbeitszeit bei älteren, handwerklich tätigen Personen, wie Mechanikerinnen und Mechanikern, heute schon länger ist als etwa bei vergleichbaren Altersgruppen mit Bürojobs. Zudem wurde deutlich, dass handwerklich Tätige, sobald gesundheitliche Probleme auftauchen, schlechter gestellt sind hinsichtlich der Arbeitsmarktbeteiligung, z.B. weil sie häufiger in Frührente gehen müssen, ungeachtet der finanziellen Einbussen bei den Altersersparnissen. Obwohl auch nicht handwerklich arbeitende Menschen zuweilen unter altersbedingten Beschwerden und Einschränkungen leiden, führen diese seltener zu einer reduzierten Arbeitstätigkeit oder gar einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben.

«Bei Bauarbeitenden mit körperlichen Beschwerden im Alter stellte sich manchmal die Frage, wie sie das verbleibende halbe Jahr bis zur Pensionierung noch bewältigen können.»

Sonja Feer,  Institut für Public Health

Einen möglichen Erklärungsansatz für diese Unterschiede sieht Feer darin, dass es für Menschen, die auf dem Bau, in Coiffeursalons, Bäckereien oder als Reinigungskräfte arbeiten, im Gegensatz zu Büroangestellten kaum Möglichkeiten gebe, bei Krankheit oder im fortgeschrittenen Alter auf weniger belastende Tätigkeiten auszuweichen. Auch von flexiblen Arbeitszeitmodellen oder Homeoffice können sie selten oder gar nicht profitieren. «New Work ist eher ein Thema für Büroangestellte», stellt Feer fest.

Aus ihrer früheren Erfahrung als Physiotherapeutin weiss sie, dass bei Menschen in handwerklichen Berufen muskuloskelettale Erkrankungen  für die höchste Rate an Arbeitsausfällen verantwortlich sind: «Bei Bauarbeitenden mit körperlichen Beschwerden im Alter stellte sich manchmal die Frage, wie sie das verbleibende halbe Jahr bis zur Pensionierung noch bewältigen können.»

Sollten Arbeitnehmende ihre Arbeitskarrieren aufgrund der Rentenpolitik verlängern müssen, dann sei es zentral, dass jene, die gesundheitlich angeschlagen sind, unterstützt würden und bessere Arbeitsbedingungen erhielten – vor allem jene Menschen, die handwerklich tätig sind, betont die Forscherin.

«Wir wollen deutlich machen, wo die Herausforderungen liegen könnten, um einer weiteren Verstärkung der gesundheitlichen Ungleichheiten bei älteren Arbeitnehmenden entgegenzuwirken.»

Sonja Feer, Studienleiteriin

Die evidenzbasierten Erkenntnisse aus der aktuellen Studie, die im August veröffentlicht wurde, seien als Grundlage für Diskussionen rund um die Erhöhung des Rentenalters zu verstehen, erklärt Sonja Feer. «Wir wollen deutlich machen, wo die Herausforderungen liegen könnten, um einer weiteren Verstärkung der gesundheitlichen Ungleichheiten bei älteren Arbeitnehmenden entgegenzuwirken.»

Angepasste Rentenpolitik und Arbeitsbedingungen

Die unterschiedlichen Auswirkungen auf verschiedene Berufsgruppen sollten bei der Rentenpolitik berücksichtigt werden. Als Lösungsansätze kann sich Feer einerseits finanzielle Abfederungsmassnahmen vorstellen, damit Menschen mit niedrigen Ersparnissen und Pensionskassen-Guthaben frühzeitig in Rente gehen können, falls es ihr Gesundheitszustand erfordert. Andererseits könnten die Arbeitgebenden einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit der Beschäftigten leisten, indem sie Teilzeitarbeit oder Modelle wie etwa Job-Rotationen ermöglichen, bei denen Mitarbeitende immer wieder verschiedene Aufgaben und Positionen innerhalb des Betriebs wahrnehmen und so vielfältige Fähigkeiten entwickeln können, erklärt Feer: «Gerade in körperlich anstrengenden Berufen könnte dieser Ansatz hilfreich sein.»

 

„Health and labor force participation among older workers of Switzerland“

"Health and labor force participation among older workers in Switzerland: a growth curve analysis" von Sonja Feer und den Co-Autor:innen Oliver Lipps, Julia Dratva und Isabel Baumann ist im August erschienen und eingebettet ins National­fonds­projekt «Gesundheitliche Ungleichheit im Kontext einer Verlängerung des Arbeitslebens». Das Projekt widmet sich unter anderem der Frage, unter welchen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen ein flexibles Rentenalter gesundheitsförderlich sein kann.

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