Image of frazzled female entrepreneur working remotely on computer appearing anxious fatigued and flooded.
Pandemie-Spätfolgen

Lernen, die begrenzte Kraft einzusetzen

11.04.2024
1/2024

Wie können Menschen mit einer Post-Covid-Erkrankung in den Alltag und an die Arbeit zurückkehren? Ergotherapie-Fachpersonen der ZHAW tragen mit Forschung und Energiemanagement-Schulung zur Antwort bei.

Monate nach einer überstandenen Corona-Infektion leiden viele immer noch unter Langzeitfolgen wie Fatigue (Müdigkeit), Kurzatmigkeit und kognitiven Problemen. Das Bundesamt für Gesundheit bezeichnet dies als Post-Covid-19-Erkrankung, in Anlehnung an die Weltgesundheitsorganisation WHO. Andere sprechen von Long Covid. Fest steht: Die Betroffenen sind in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und fallen oft längere Zeit aus. Bisher über 5000 Anmeldungen bei der Invalidenversicherung IV belegen das Problem.

«Es sind Menschen wie du und ich, die ihren normalen Alltag zurückhaben möchten – mit Arbeit, Familie, Freizeit und Kontakten.»

Michael Sy, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ergotherapie

Michael Sy, Ergotherapeut und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ergotherapie der ZHAW, betont, dass es sich nicht um Spitalpatientinnen oder -patienten einer Reha-Klinik handelt: «Es sind Menschen wie du und ich, die ihren normalen Alltag zurückhaben möchten – mit Arbeit, Familie, Freizeit und sozialen Kontakten.» Um die Rückkehr zu unterstützen, sichtet der Ergotherapeut in einem Forschungsprojekt systematisch das vorhandene Wissen seiner Fachdisziplin. Er hat fast 30 internationale Studien ausgewertet und veröffentlicht die Resultate demnächst.

Zwei Erkenntnisse lassen sich laut Michael Sy bereits nennen. Erstens sollte die Wiedereingliederung von Menschen mit Post-Covid als Prozess betrachtet werden, der verschiedene Bereiche berücksichtigt. Es geht nicht nur starr darum, an den alten Arbeitsplatz zurückzukehren, sagt er. Möglicherweise sind Anpassungen am Arbeitsplatz, eine Umschulung, ein Jobwechsel oder Massnahmen zur Entlastung im Privatleben und zur Förderung sozialer Teilhabe erforderlich, damit eine Reintegration gelingt.

Zweitens ist eine breit gefasste Begleitung für die Betroffenen am hilfreichsten. Neben Gesundheitsfachkräften können Sozialarbeitende, Lehrpersonen, Versicherungsfachleute, Job Coaches oder auch die gemeinnützige Gartengruppe im Quartier Teil des Unterstützungsnetzwerks sein. Die Ergotherapie spielt eine wichtige Rolle. Sie kann den Betroffenen helfen, trotz eingeschränkter Gesundheit so handlungsfähig wie möglich zu bleiben oder wieder zu werden.

Pausen und Stehhocker

Ein Beispiel dafür ist die Energiemanagement-Schulung, die im Therapie-, Trainings- und Beratungszentrum Thetriz auf dem Campus des ZHAW-Departements Gesundheit in Winterthur angeboten wird. In diesem wissenschaftlich evaluierten Konzept lernen Menschen mit Fatigue, «wie sie haushälterisch mit ihrer Energie umgehen und ihre begrenzte Kraft effektiv einsetzen können». Das sagt Maren Kneisner, Ergotherapeutin, Psychologin und Dozentin. Sie arbeitet im Thetriz mit und ermöglicht Studierenden Einblicke in die Praxis.

«Die Schulung findet in der Regel in Gruppen statt, um die Betroffenen zu ‹empowern› und den Austausch von Erfahrungen zu fördern.»

Maren Kneisner, Ergotherapeutin, Psychologin und Dozentin an der ZHAW

Die Energiemanagement-Schulung wird ärztlich verordnet. Es sind unterschiedliche Menschen mit Post-Covid, die sie in Anspruch nehmen, von der gestandenen Hausärztin über den Handwerker bis zur 17-jährigen Schülerin. Einige sind krankgeschrieben, andere tasten sich mit reduziertem Pensum wieder an die Arbeit heran. Die Schulung findet in der Regel in Gruppen statt, «um die Betroffenen zu ‹empowern› und den Austausch von Erfahrungen zu fördern», wie Maren Kneisner sagt. Sie beschäftigen sich mit Strategien, um im Alltag Energie einzusparen, etwa im Gestalten von Pausen oder beim Vereinfachen von Aufgaben. So erleichtert jetzt ein Stehhocker einer im Verkauf tätigen Frau die Arbeit.

Bedürfnisse äussern

Da die Post-Covid-Symptome nicht sichtbar sind, lernen die Betroffenen in der Schulung zudem, ihre Bedürfnisse auszudrücken und auf Vorbehalte zu reagieren, etwa wenn sie gefragt werden, warum sie schon wieder müde seien. Einige kommen zur Einzeltherapie ins Thetriz, so auch die erwähnte Kanti-Schülerin. Fast zwei Jahre nach ihrer Corona-Infektion kämpft sie immer noch mit den Folgen. Für sie geht es laut Maren Kneisner auch darum, welche Massnahmen und Ausgleichsregelungen als Unterstützung erforderlich sind, damit sie ihre schulische Ausbildung fortsetzen kann.

In anderen Fällen werden die Arbeitgebenden einbezogen, teilweise finanziert die IV die berufliche Wiedereingliederung. Im Gegensatz zu anderen Krankheiten wie Multipler Sklerose, bei denen ebenfalls Fatigue auftritt, mangelt es bei Post-Covid noch an Wissen über Ursachen, Verläufe und Therapien. «Die unsichere Perspektive und die Konfrontation mit Vorurteilen belasten die Betroffenen sehr», weiss die Expertin der ZHAW. Was Hoffnung gibt: Die Mehrheit jener, die an der Energie-Schulung im Thetriz teilgenommen haben, konnte an die Arbeit zurückkehren oder mit einer begleiteten Reintegration starten.

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